Harte Attacken, schwache Argumente?
Geldwäsche, Wirecard, Digitalisierung: Die Kandidaten machen sich heftige gegenseitige Vorwürfe. Doch nicht alle Aussagen stimmen
Berlin Beim zweiten „TV-Triell“sparen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nicht mit gegenseitigen Vorwürfen. Besonders wenn es um die Rolle von Bundesfinanzminister Scholz ging, blieb vieles im Unklaren. Die Hauptstreitfragen im Faktencheck.
● Streit um GeldwäscheEinheit Die Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls soll Verdachtsmeldungen der Banken über mögliche Geldwäsche und Terrorfinanzierung analysieren und sie an Polizei und Staatsanwaltschaften weiterleiten. Die Einheit gilt seit Jahren als überlastet, nachdem die Verdachtsmeldungen ständig stark steigen. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen zwei Mitarbeiter der FIU in Köln, weil sie Verdachtsmeldungen über Millionenüberweisungen nach Afrika trotz Terrorfinanzierungsverdacht nicht rechtzeitig weitergegeben haben. Die Staatsanwaltschaft hatte am Donnerstag das Bundesfinanzministerium und Justizministerium durchsuchen lassen, aber nicht als Beschuldigte, sondern um an Informationen über die Kölner FIU-Zentrale zu gelangen.
Laschet sagte, Scholz werde seiner Fachaufsicht nicht gerecht, die Union wolle die FIU beim Bundeskriminalamt ansiedeln, weil seine Partei „die Defizite“kenne. Scholz betonte, er habe die Behörde von seinem Vorgänger übernommen und deutlich aufgestockt, es werde trotz der Durchsuchung nicht gegen sein Ministerium ermittelt.
Tatsächlich sieht beim Thema FIU nicht nur Scholz, sondern auch die Union nicht gut aus. Denn es war CDU-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der erst kurz vor der Bundestagswahl 2017 die Zuständigkeit weg vom BKA zum Zoll holte. Schon damals warnte der Bund Deutscher Kriminalbeamter, dass die Behörde „völlig unzureichend“ausgestattet sei und ihrer Aufgabe, Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen, kaum nachkommen könne, weil die keinen Zugriff auf polizeiliche Datenbanken habe.
Scholz hat tatsächlich die Einheit von 165 Beschäftigten auf 469 ausgebaut, sie kann nun auch auf Daten des BKA zugreifen. Anders als von Laschet behauptet, hat Scholz keine Fachaufsicht mit Weisungsrecht über die FIU, da die Einheit unabhängig arbeitet. Allerdings kritisierte der Bundesrechnungshof sowohl den Bund als auch die Länder, dass es bis heute „keine wirksame Geldwäscheaufsicht“gebe. Experten schätzen, dass jährlich 100 Milliarden Euro aus krimineller Herkunft in Deutschland gewaschen werden.
● Streit um Wirecard Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im Sommer 2020 eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro nicht existieren. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“. Die Bundesfinanzaufsicht
BaFin ging sowohl unter CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble als auch unter Scholz unzähligen Vorwürfen gegen Wirecard nicht nach. Im Gegenteil, sie zeigte Journalisten, die über den Bilanzfälschungsverdacht berichteten, an. Im Februar 2019 verbot die BaFin sogar Spekulationen gegen Wirecard.
Laschet warft Scholz vor, im Fall Wirecard keine Verantwortung für das Versagen der Finanzaufsicht übernommen zu haben. Scholz sagte, er habe Konsequenzen mit härteren Gesetzen gezogen.
Tatsächlich übernahm Scholz für Versäumnisse der BaFin lange keine politische Verantwortung. Erst Ende Januar 2021 schasste er BaFinChef Felix Hufeld wegen des Skandals. Unter Scholz bekam die BaFin als Konsequenz aus dem Skandal jedoch zusätzliche Befugnisse für die Bilanzkontrolle. Auch die Regeln für Abschlussprüfer wurden verschärft und sie können nun stärker in Haftung genommen werden.
● Streit um Hamburger Bank Als früherer Hamburger Bürgermeister steht Scholz im Verdacht, in der Cum-Ex-Affäre um die WarburgBank zugunsten der Hamburger Privatbank Einfluss genommen zu haben, dass das Finanzamt 2016 Steuerrückforderungen von 47 Millionen Euro verjähren ließ. Scholz traf zuvor die beiden Bank-Eigentümer
Christian Olearius und Max Warburg. Danach forderte das Finanzamt das Geld anders als zunächst angekündigt wenig später doch nicht zurück. Als der Bundesgerichtshof die entsprechenden Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung wertete, musste die Warburg-Bank doch noch 176 Millionen Euro Steuern zurückzahlen.
Baerbock warf Scholz vor, Protokolle des Finanzausschusses über seine Rolle in der Warburg-BankAffäre nicht veröffentlichen zu wollen. Tatsächlich fordern Oppositionspolitiker im Bundestags-Finanzausschuss, das Protokoll einer Befragung von Olaf Scholz zum Cum-ExSkandal vom Juli 2020 zu veröffentlichen. Das Finanzministerium will dies rechtlich prüfen. Tatsächlich dürfte die Veröffentlichung bis nach der Wahl hinausgezögert werden.
● Streit um Digitalisierung Spätestens seit der Corona-Krise wurde allen klar: Die Digitalisierung im Land wurde über Jahre, Jahrzehnte hinweg sträflich vernachlässigt. Und dabei geht es nicht nur um die Technik von morgen, sondern die von heute: Noch immer ist der Handyempfang auf dem Land oftmals schlecht. Um „weiße Flecken“zu schließen, werden laut Verkehrsministerium bis zu 5000 Standorte für neue Mobilfunkmasten benötigt. Entlang der Bahnstrecken gibt es ebenfalls Nachholbedarf: Vor kurzem haben die Deutsche Bahn und die Telekom angekündigt, das gesamte Streckennetz lückenlos mit dem Mobilfunknetz der Telekom zu versorgen – bis Ende 2026. Im Koalitionsvertrag von 2018 steht zudem: „Unser Ziel lautet: Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus.“
Baerbock wirf Union und SPD vor, das Thema Digitalisierung vernachlässigt statt zur „Chefsache“gemacht zu haben. Die Grüne nannte hier Spanien als Beispiel. Sie betonte, dass der Staat dort die Verantwortung übernommen hat und sich um das Ziel des flächendeckenden Glasfaserausbaus kümmert.
Experten raten schon längst, dass, ähnlich wie beim Stromanschluss, der Staat Anbieter zu einer Versorgung der Haushalte verpflichten müsse. Tatsächlich belegen Zahlen der OECD, dass der Anteil von Glasfaseranschlüssen an den Breitbandanschlüssen in Spanien dank staatlicher Regulierung bei mehr als 70 Prozent liegt – in Deutschland bei gut fünf Prozent. Bis 2025 soll Spanien eine Glasfaser-Abdeckung von 100 Prozent erhalten. Tatsächlich kritisieren Experten, dass bislang auch dort der ländliche Raum vernachlässigt wird.
● Streit um Ökostromausbau Für den Klimaschutz muss der Anteil von erneuerbaren Energien deutlich steigen, der Ausstieg aus den Kohlekraftwerken ist beschlossen. Doch seit vielen Jahren bleibt der Ausbau hinter den Zielen zurück.
Unionskanzlerkandidat Laschet warf SPD und Grünen Blockade vor, Scholz konterte, die Union habe lange bestritten, dass für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft überhaupt mehr Strom nötig sei.
Tatsächlich drängen Wirtschaftsverbände schon lange darauf, die erneuerbaren Energien schneller auszubauen, weil der Strombedarf in Deutschland steigt. Erst recht, wenn das Land zunehmend auf Elektromobilität umsteigen will. Erst in diesem Jahr ließ CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine neue Studie anfertigen, die dann genau das belegte, was längst angemahnt wird. Demnach liegt der Stromverbrauch 2030 zwischen 645 und 665 Terawattstunden. Vorher ging die Bundesregierung von einem Stromverbrauch in Höhe von nur 580 Terawattstunden aus. Die Ausbauziele für Windkraft und Solarenergie müssten erhöht werden, sagte Altmaier damals – wie genau, sagte er nicht.
Tatsächlich bremsen auch lange Planungs- und Genehmigungsverfahren und viele Klagen vor allem aus Artenschutzgründen den Ausbau erheblich. Gerade Letzteres zeigt, dass der Vorwurf keineswegs nur der Union gemacht werden kann, sondern auch die Grünen in der Frage gespalten sind. Doch die Zeit drängt. Bayern kann seinen steigenden Strombedarf längst nicht mehr durch Eigenproduktion decken und muss Strom importieren. Wenn Ende 2021 der Atommeiler Gundremmingen und ein Jahr später als Letztes das Akw Isar 2 vom Netz gehen, dürfte Bayerns Energiebilanz noch defizitärer ausfallen.