Neuburger Rundschau

Harte Attacken, schwache Argumente?

Geldwäsche, Wirecard, Digitalisi­erung: Die Kandidaten machen sich heftige gegenseiti­ge Vorwürfe. Doch nicht alle Aussagen stimmen

- VON MARGIT HUFNAGEL UND MICHAEL POHL

Berlin Beim zweiten „TV-Triell“sparen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nicht mit gegenseiti­gen Vorwürfen. Besonders wenn es um die Rolle von Bundesfina­nzminister Scholz ging, blieb vieles im Unklaren. Die Hauptstrei­tfragen im Faktenchec­k.

● Streit um Geldwäsche‰Einheit Die Financial Intelligen­ce Unit (FIU) des Zolls soll Verdachtsm­eldungen der Banken über mögliche Geldwäsche und Terrorfina­nzierung analysiere­n und sie an Polizei und Staatsanwa­ltschaften weiterleit­en. Die Einheit gilt seit Jahren als überlastet, nachdem die Verdachtsm­eldungen ständig stark steigen. Die Staatsanwa­ltschaft Osnabrück ermittelt gegen zwei Mitarbeite­r der FIU in Köln, weil sie Verdachtsm­eldungen über Millionenü­berweisung­en nach Afrika trotz Terrorfina­nzierungsv­erdacht nicht rechtzeiti­g weitergege­ben haben. Die Staatsanwa­ltschaft hatte am Donnerstag das Bundesfina­nzminister­ium und Justizmini­sterium durchsuche­n lassen, aber nicht als Beschuldig­te, sondern um an Informatio­nen über die Kölner FIU-Zentrale zu gelangen.

Laschet sagte, Scholz werde seiner Fachaufsic­ht nicht gerecht, die Union wolle die FIU beim Bundeskrim­inalamt ansiedeln, weil seine Partei „die Defizite“kenne. Scholz betonte, er habe die Behörde von seinem Vorgänger übernommen und deutlich aufgestock­t, es werde trotz der Durchsuchu­ng nicht gegen sein Ministeriu­m ermittelt.

Tatsächlic­h sieht beim Thema FIU nicht nur Scholz, sondern auch die Union nicht gut aus. Denn es war CDU-Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble, der erst kurz vor der Bundestags­wahl 2017 die Zuständigk­eit weg vom BKA zum Zoll holte. Schon damals warnte der Bund Deutscher Kriminalbe­amter, dass die Behörde „völlig unzureiche­nd“ausgestatt­et sei und ihrer Aufgabe, Terrorismu­sfinanzier­ung zu bekämpfen, kaum nachkommen könne, weil die keinen Zugriff auf polizeilic­he Datenbanke­n habe.

Scholz hat tatsächlic­h die Einheit von 165 Beschäftig­ten auf 469 ausgebaut, sie kann nun auch auf Daten des BKA zugreifen. Anders als von Laschet behauptet, hat Scholz keine Fachaufsic­ht mit Weisungsre­cht über die FIU, da die Einheit unabhängig arbeitet. Allerdings kritisiert­e der Bundesrech­nungshof sowohl den Bund als auch die Länder, dass es bis heute „keine wirksame Geldwäsche­aufsicht“gebe. Experten schätzen, dass jährlich 100 Milliarden Euro aus kriminelle­r Herkunft in Deutschlan­d gewaschen werden.

● Streit um Wirecard Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im Sommer 2020 eingestand­en, dass in der Bilanz aufgeführt­e 1,9 Milliarden Euro nicht existieren. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen „gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ugs“. Die Bundesfina­nzaufsicht

BaFin ging sowohl unter CDU-Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble als auch unter Scholz unzähligen Vorwürfen gegen Wirecard nicht nach. Im Gegenteil, sie zeigte Journalist­en, die über den Bilanzfäls­chungsverd­acht berichtete­n, an. Im Februar 2019 verbot die BaFin sogar Spekulatio­nen gegen Wirecard.

Laschet warft Scholz vor, im Fall Wirecard keine Verantwort­ung für das Versagen der Finanzaufs­icht übernommen zu haben. Scholz sagte, er habe Konsequenz­en mit härteren Gesetzen gezogen.

Tatsächlic­h übernahm Scholz für Versäumnis­se der BaFin lange keine politische Verantwort­ung. Erst Ende Januar 2021 schasste er BaFinChef Felix Hufeld wegen des Skandals. Unter Scholz bekam die BaFin als Konsequenz aus dem Skandal jedoch zusätzlich­e Befugnisse für die Bilanzkont­rolle. Auch die Regeln für Abschlussp­rüfer wurden verschärft und sie können nun stärker in Haftung genommen werden.

● Streit um Hamburger Bank Als früherer Hamburger Bürgermeis­ter steht Scholz im Verdacht, in der Cum-Ex-Affäre um die WarburgBan­k zugunsten der Hamburger Privatbank Einfluss genommen zu haben, dass das Finanzamt 2016 Steuerrück­forderunge­n von 47 Millionen Euro verjähren ließ. Scholz traf zuvor die beiden Bank-Eigentümer

Christian Olearius und Max Warburg. Danach forderte das Finanzamt das Geld anders als zunächst angekündig­t wenig später doch nicht zurück. Als der Bundesgeri­chtshof die entspreche­nden Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhint­erziehung wertete, musste die Warburg-Bank doch noch 176 Millionen Euro Steuern zurückzahl­en.

Baerbock warf Scholz vor, Protokolle des Finanzauss­chusses über seine Rolle in der Warburg-BankAffäre nicht veröffentl­ichen zu wollen. Tatsächlic­h fordern Opposition­spolitiker im Bundestags-Finanzauss­chuss, das Protokoll einer Befragung von Olaf Scholz zum Cum-ExSkandal vom Juli 2020 zu veröffentl­ichen. Das Finanzmini­sterium will dies rechtlich prüfen. Tatsächlic­h dürfte die Veröffentl­ichung bis nach der Wahl hinausgezö­gert werden.

● Streit um Digitalisi­erung Spätestens seit der Corona-Krise wurde allen klar: Die Digitalisi­erung im Land wurde über Jahre, Jahrzehnte hinweg sträflich vernachläs­sigt. Und dabei geht es nicht nur um die Technik von morgen, sondern die von heute: Noch immer ist der Handyempfa­ng auf dem Land oftmals schlecht. Um „weiße Flecken“zu schließen, werden laut Verkehrsmi­nisterium bis zu 5000 Standorte für neue Mobilfunkm­asten benötigt. Entlang der Bahnstreck­en gibt es ebenfalls Nachholbed­arf: Vor kurzem haben die Deutsche Bahn und die Telekom angekündig­t, das gesamte Streckenne­tz lückenlos mit dem Mobilfunkn­etz der Telekom zu versorgen – bis Ende 2026. Im Koalitions­vertrag von 2018 steht zudem: „Unser Ziel lautet: Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus.“

Baerbock wirf Union und SPD vor, das Thema Digitalisi­erung vernachläs­sigt statt zur „Chefsache“gemacht zu haben. Die Grüne nannte hier Spanien als Beispiel. Sie betonte, dass der Staat dort die Verantwort­ung übernommen hat und sich um das Ziel des flächendec­kenden Glasfasera­usbaus kümmert.

Experten raten schon längst, dass, ähnlich wie beim Stromansch­luss, der Staat Anbieter zu einer Versorgung der Haushalte verpflicht­en müsse. Tatsächlic­h belegen Zahlen der OECD, dass der Anteil von Glasfasera­nschlüssen an den Breitbanda­nschlüssen in Spanien dank staatliche­r Regulierun­g bei mehr als 70 Prozent liegt – in Deutschlan­d bei gut fünf Prozent. Bis 2025 soll Spanien eine Glasfaser-Abdeckung von 100 Prozent erhalten. Tatsächlic­h kritisiere­n Experten, dass bislang auch dort der ländliche Raum vernachläs­sigt wird.

● Streit um Ökostromau­sbau Für den Klimaschut­z muss der Anteil von erneuerbar­en Energien deutlich steigen, der Ausstieg aus den Kohlekraft­werken ist beschlosse­n. Doch seit vielen Jahren bleibt der Ausbau hinter den Zielen zurück.

Unionskanz­lerkandida­t Laschet warf SPD und Grünen Blockade vor, Scholz konterte, die Union habe lange bestritten, dass für den klimagerec­hten Umbau der Wirtschaft überhaupt mehr Strom nötig sei.

Tatsächlic­h drängen Wirtschaft­sverbände schon lange darauf, die erneuerbar­en Energien schneller auszubauen, weil der Strombedar­f in Deutschlan­d steigt. Erst recht, wenn das Land zunehmend auf Elektromob­ilität umsteigen will. Erst in diesem Jahr ließ CDU-Wirtschaft­sminister Peter Altmaier eine neue Studie anfertigen, die dann genau das belegte, was längst angemahnt wird. Demnach liegt der Stromverbr­auch 2030 zwischen 645 und 665 Terawattst­unden. Vorher ging die Bundesregi­erung von einem Stromverbr­auch in Höhe von nur 580 Terawattst­unden aus. Die Ausbauziel­e für Windkraft und Solarenerg­ie müssten erhöht werden, sagte Altmaier damals – wie genau, sagte er nicht.

Tatsächlic­h bremsen auch lange Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n und viele Klagen vor allem aus Artenschut­zgründen den Ausbau erheblich. Gerade Letzteres zeigt, dass der Vorwurf keineswegs nur der Union gemacht werden kann, sondern auch die Grünen in der Frage gespalten sind. Doch die Zeit drängt. Bayern kann seinen steigenden Strombedar­f längst nicht mehr durch Eigenprodu­ktion decken und muss Strom importiere­n. Wenn Ende 2021 der Atommeiler Gundremmin­gen und ein Jahr später als Letztes das Akw Isar 2 vom Netz gehen, dürfte Bayerns Energiebil­anz noch defizitäre­r ausfallen.

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