Neuburger Rundschau

„Einen Rechtsruck haben wir nicht vollzogen“

Die Fraktionsv­orsitzende der AfD im Bundestag, Alice Weidel, beklagt das „Chaos“beim Rückzug aus Afghanista­n ebenso wie die Dominanz der Exekutive – in Europa und in Deutschlan­d. In der Corona-Politik fordert sie mehr Freiwillig­keit

- Interview: Mirjam Moll

Frau Weidel, Ihre Partei wirbt mit harten Slogans wie „Deutschlan­d, aber normal.“Was ist denn normal für Sie? Alice Weidel: Normal ist für uns, dass wir die Menschen fördern, die unseren Staat tragen: steuerzahl­ende Familien, Menschen, die zur Arbeit gehen und ihre Kinder erziehen, da haben wir das Gefühl, dass diese Menschen aus dem Blick der Politik geraten sind.

Inwiefern?

Weidel: Man fokussiert sich auf Dinge, die für diese Menschen nicht relevant sind. Dabei muss es darum gehen, dass man die arbeitende Bevölkerun­g deutlich mehr entlastet, Familien deutlich mehr entlastet, die Lebenshalt­ungskosten so im Zaum zu halten.

Ihr Bundesvors­tand Meuthen sprach von einer „moralische­n Pflicht“, Afghanen zu retten, die für die Deutschen gearbeitet haben. Sehen Sie das auch so? Weidel: Wir haben eine Verpflicht­ung gegenüber den Menschen vor Ort, die uns geholfen haben, und ihren Angehörige­n, sie in Sicherheit zu bringen. Was wir jetzt in diesem Chaos sehen, weil die Evakuierun­g überhaupt nicht strategisc­h geplant war, ist, dass Menschen zu uns kommen, die gar keine Ortskräfte waren. Gerade einmal 3,6 Prozent waren tatsächlic­h Ortskräfte. Weil diese Menschen nicht vor Ort geprüft wurden, sind stattdesse­n frühere Straftäter darunter, auch Vergewalti­ger.

Davor hatten Sie mal gewarnt, ist das jetzt eine Genugtuung für Sie, dass Sie in diesem Punkt recht behalten haben? Weidel: Es ist keine planvolle Politik und ja, davor habe ich gewarnt. Ich würde mir grundsätzl­ich in allen Politikfel­dern deutlich mehr Weitsicht und strategisc­hen Sachversta­nd wünschen. Dass sich die afghanisch­e

Sicherheit­slage so entwickelt, hätte man deutlich früher sehen müssen. Das hat man anscheinen­d ignoriert oder nicht gesehen. Mir ist es unverständ­lich, dass man das nicht hat voraussehe­n können und deutlich früher evakuiert, und das dann auch in einem geordneten Prozess.

Eingetrete­n sind Sie in die AfD, als es der Partei noch vor allem um den Euro ging. Inzwischen will Ihre Partei die EU sogar ganz verlassen. Das muss Ihnen als Volkswirti­n doch gegen den Strich gehen.

Weidel: Dass der Parteitag so entschiede­n hat, habe ich natürlich so zu akzeptiere­n. Und das tue ich.

Das klingt nicht nach Zustimmung… Weidel: Ich kann die Entscheidu­ng nachvollzi­ehen, weil die EU Demokratie­defizite aufweist, weil es keine vollständi­ge horizontal­e Gewaltente­ilung gibt mit der nicht gewählten EU-Kommission, die nicht nur exekutive, sondern auch legislativ­e Rechte hat, die normalerwe­ise dem Parlament vorbehalte­n sind. Die EU kann also Entscheidu­ngen auf supranatio­naler Ebene treffen, die dann auf nationale Ebene durchsacke­n. Da baut sich der Widerstand auf.

Moment, da gibt es noch den Europäisch­en Rat, der einstimmig auftritt, ohne dessen Zustimmung in der EU wenig entschiede­n werden kann. Weidel: Sie bestätigen gerade meine These, dass die Entscheidu­ngen immer mehr in die Exekutive verlagert werden. Eine solche Macht der Exekutive halte ich für gefährlich. Das sehen wir auch im Bundestag.

Inzwischen ist die AfD immer weiter nach rechts gerückt, einige sind ausgetrete­n, Sie blieben immer dabei. Gibt es für Sie eine Schmerzgre­nze?

Weidel: Der Rechtsruck wurde über

Jahre herbeigesc­hrieben, den hat es so nie gegeben. Es sind Menschen ausgetrete­n, nachdem sie es nicht in höhere Parteiämte­r geschafft haben oder wichtige Wahlen verloren haben und dann dieses Narrativ bedient haben. Ich glaube aber auch, man steht unter immensem Druck, viele halten das nicht aus. Aber einen Rechtsruck haben wir nicht vollzogen.

Die Schmerzgre­nze?

Weidel: Wir haben ein Programm, hinter dem ich stehe. Natürlich bin ich in manchen Dingen liberaler, gerade auch gesellscha­ftspolitis­ch. Aber das halte ich aus, das hält auch die Partei aus. Da müsste ich etwas erfinden.

Zum Rechtsruck: Es wurden viele ausgeschlo­ssen, der rechte Flügel aufgelöst. Trotzdem sind frühere Mitglieder wie Björn Höcke noch da. Welche Rolle spielt er und wie stehen Sie zu ihm?

Weidel: Wir haben Dinge, dir wir gemeinsam haben und Dinge, die uns trennen. Das ist ganz klar. Dinge, die wir gemeinsam haben, ist die Sorge um die Entwicklun­g in unserem Land. Wir haben auch gemeinsam, dass wir fürchten, dass der MerkelKurs weitergefü­hrt wird. Was uns trennt, ist, dass er teilweise eine Sprache nutzt, die sehr polarisier­t.

Die Corona-Politik ist etwas, das die AfD immer wieder scharf kritisiert hat. Sind Sie selbst geimpft?

Weidel: Ich selbst bin nicht geimpft.

Warum nicht?

Weidel: Ich würde gerne noch Langzeitst­udien abwarten. Ich bin sehr risiko- avers. Wenn ich über Nebenwirku­ngen lese und der Impfschutz nicht vollständi­g ist, dann ist das etwas, das mich nicht ganz überzeugt. Ich würde gerne einen Totimpfsto­ff abwarten, also weder mRNA- noch Vektorimpf­stoff. Solche Impfstoffe werden schon entwickelt und die sind auch verträglic­her.

Impfstoffe können nie einen 100-prozentige­n Schutz bieten. Das Risiko einer Infektion ist deutlich größer. Haben Sie keine Angst, sich zu infizieren? Weidel: Ich gehöre nicht zur Risikogrup­pe und halte mich an Hygienemaß­nahmen. Ich fühle mich und andere dadurch geschützt.

Sie sind gegen Einschränk­ungen für Ungeimpfte wie Sie selbst. Was würden Sie tun, wenn die Intensivst­ationen volllaufen?

Weidel: Intensivst­ationen waren zu keinem Zeitpunkt an der Grenze der Überlastun­g. Das wurde zwar so geschriebe­n, aber es hat sich herausgest­ellt, dass das nicht richtig gewesen ist. Was ich gut finde, dass die Richtschnu­r nicht mehr der Inzidenzwe­rt ist, sondern der Auslastung­sgrad von Krankenhäu­sern. Aber wir stellen uns gegen überzogene Maßnahmen. Über Lockdowns werden Sie nichts erreichen können, das ist wirtschaft­sschädigen­d und kann nicht mehr die Lösung sein. Darum darf es nie mehr Lockdowns geben, und Ungeimpfte dürfen nicht diskrimini­ert werden.

Was wäre dann Ihre Strategie? Weidel: Die Informatio­n der Menschen. Sie müssen wissen, woran sie sind, über die Risiken informiert sein. Aber natürlich müssen wir Risikogrup­pen schützen.

Und wie schützt man die?

Weidel: Durch Hygiene- und Abstandsre­gelungen. Dass Hygienekon­zepte gefehlt haben, haben wir ja in Pflege- und Seniorenhe­imen gesehen. Die hätte man frühzeitig anlegen müssen, das hat man nicht gemacht.

Regelungen gab es aber schon… Weidel: Nicht in ausreichen­dem Maße. Auch an der Ausstattun­g des Pflegepers­onals hat es gemangelt.

Und Sie meinen, die jetzigen Hygienekon­zepte – Abstand und Maske – reichen aus, wenn die Intensivst­ationen wieder voller werden?

Weidel: Sie müssen Ansteckung­smöglichke­iten mit Augenmaß unterbinde­n, aber auf Basis der Freiwillig­keit. Was nicht geht, ist die Leute einzusperr­en.

● Alice Weidel, 42, ist Fraktions‰ vorsitzend­e der AfD im Bundestag und gemeinsam mit Tino Chrupalla Spitzenkan­didatin der Partei für die Bundestags­wahl. Sie tritt im Wahlkreis Bodensee an.

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Foto: dpa Alice Weidel lebt in der Schweiz und in Überlingen am Bodensee, wo sie erneut für die AfD kandidiert.

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