Neuburger Rundschau

Studieren wie früher

Für viele Studierend­e waren die letzten drei „Corona-Semester“schwierig – sozial und finanziell. Im Oktober kehren viele von ihnen wieder zurück in die Hörsäle, manche betreten sie zum ersten Mal. Was sie dort erwartet

- VON ANDREAS DENGLER

München Statt Videokonfe­renzen besuchen die Studentinn­en und Studenten ab Oktober wieder Seminarräu­me und Hörsäle. Nach drei „Corona-Semestern“in der Onlinelehr­e kehrt an den Universitä­ten und Hochschule­n in Bayern wieder Leben zurück. „Die Präsenzleh­re wird die Regel und nicht die Ausnahme sein“, kündigte der bayerische Wissenscha­ftsministe­r Bernd Sibler (CSU) an. Die Zeit der „Schlafanzu­g-Vorlesunge­n“gehört damit der Vergangenh­eit an.

Die Freude über das Zurück hält sich bei Laura Freilinger in Grenzen. Die 20-jährige Studentin wird in ihrem dualen Bachelorst­udium Business Administra­tion kein normales Semester mehr erleben, selbst wenn an ihrer Uni, der FriedrichA­lexander-Universitä­t in ErlangenNü­rnberg, nun wieder Normalität einkehrt. Sie ist schon zu weit mit ihrem Studium: Im kommenden Semester wird sie ihr Praxis- und danach ein Auslandsse­mester absolviere­n. „Es ist schon seltsam, dass ich kein normales Studentenl­eben erlebt habe“, sagt sie. Nach zwei Jahren kennt sie noch immer niemanden aus ihrem Studiengan­g.

Damit ist sie aber nicht alleine. Die meisten Studierend­en, die bereits die Hälfte ihres Studiums geschafft haben, konnten noch kein soziales Netz aufbauen. Viele von ihnen sind nicht einmal an den

Hochschulo­rt gezogen. Statt im WG-Zimmer meistern sie vom Kinderzimm­er aus das Studentenl­eben in der Pandemie. Damit soll nun Schluss sein. „Kommen Sie an die Hochschulo­rte“, fordert Sibler die jungen Menschen auf. Das Studium sei eine wichtige Phase im Leben. An den Universitä­ten werde nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Herz und Charakter geformt, sagt der Wissenscha­ftsministe­r.

Mit seiner Restart-Initiative will der Minister gemeinsam mit den Hochschule­n und den Studierend­envertretu­ngen die Rückkehr begleiten. Intensivku­rse, Tutorien oder Kennlernta­ge sollen wissenscha­ftliche und soziale Lücken der vergangene­n Semester schließen. Allein das Wissenscha­ftsministe­rium stellt eine halbe Million Euro für die Initiative zur Verfügung, die Universitä­ten und Hochschule­n stocken die Summe mit eigenen Mitteln auf.

Ab Oktober gilt an den bayerische­n Hochschule­n die 3G-Regel. Die rechtliche Grundlage dazu bietet die aktuelle Infektions­schutzvero­rdnung. Die Studierend­en müssen entweder geimpft, genesen oder getestet sein, um an den Lehrverans­taltungen teilzunehm­en. Im Moment prüfen die Universitä­ten, wie

die Verordnung umsetzen lässt. Denkbar sei eine technische Lösung mit QR-Codes oder Einlasskon­trollen mit Sicherheit­skräften, sagt Vizepräsid­ent Klaus Kreulich von der Hochschule München.

Viele Studenten und Studentinn­en haben wegen der Pandemie emotional eine schwierige Zeit durchlebt, sagt Paul Thieme. Er studiert Politikwis­senschafte­n an der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt und ist seit eineinhalb Jahren Sprecher der Landes-AStenKonfe­renz Bayern. Dass die Landespoli­tik die Studierend­en während der Pandemie vergessen hätte, findet er aber nicht. „Sie hat uns zugehört“, sagt Thieme. Das zeige sich jetzt auch an der geplanten Rückkehr im Winterseme­ster. Dass beispielsw­eise die CoronaTest­s für Studierend­e weiterhin kostenlos bleiben, habe er sich nicht träumen lassen, sagt Thieme.

Das Corona-Management der Bundespoli­tik kritisiert er hingegen scharf. „Der Bund ist bei seiner Corona-Politik gegenüber den Studierend­en komplett gescheiter­t“, urteilt er. Denn neben der sozialen Isolation traf die Corona-Pandemie viele Studierend­e finanziell hart. Werkstuden­tenverträg­e wurden während der Krise nicht verlängert, Eltern mussten in Kurzarbeit, und die Jobs in Gastronomi­e und Handel wurden wegen des Lockdowns gestrichen. Die Überbrücku­ngshilfen vom Bund in Höhe von bis zu 500 Euro hätten nicht geholfen wie erhofft, sagt Thieme. Die CoronaFörd­erungen vom Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung waren extrem bürokratis­ch, kritisiert Thieme weiter.

Lola Zschiedric­h kennt aus eigener Erfahrung, wie belastend Geldnot im Studium sein kann. Die Corona-Hilfe hat sie nicht beantragt, ihr Nebenjob ist zum Glück krisensich­er. Doch ohne staatliche Unterstütz­ung würde sie es nicht schaffen. Die 23-jährige Münchnerin studiert Management sozialer Innovation­en und engagiert sich in der Hochschulv­ertretung. Seit sie studiert, erhält sie Unterstütz­ung nach dem Bundesausb­ildungsför­derungsges­etz, kurz Bafög. Aber das reicht in einer Stadt wie München nur für die Miete.

Der Bund unterstütz­t mit Bafög seit 50 Jahren junge Menschen, die sich ohne die Förderung kein Studium leisten könnten. Bafög sei ein beispiello­ser nationaler Kraftakt für Chancenger­echtigkeit in Deutschlan­d, sagte Bundesbild­ungsminist­esich

Symbolfoto: Sebastian Gollnow, dpa rin Anja Karlizcek (CDU) anlässlich des Jubiläums.

Das Deutsche Studentenw­erk, das sich um die Bearbeitun­g der Bafög-Anträge und die Auszahlung kümmert, fordert eine grundlegen­de Reform, da die Leistung nicht mehr zur Lebensreal­ität passe. Immer mehr junge Menschen studieren, aber die Bafög-Empfängeri­nnen und -Empfänger werden immer weniger. Im Jahr 2012 wurden 979000 Studierend­e, Schülerinn­en und Schüler unterstütz­t, im Jahr 2020 nur noch 639000. Zeitgleich stieg während der Pandemie die Nachfrage nach Studentenk­rediten um 60 Prozent. Das geht aus einer Studie des Centrums für Hochschule­ntwicklung hervor.

Die Plattform „Arbeiterki­nd“berät Menschen, die als Erste in ihrer Familie studieren. Dort erklärt man sich die schrumpfen­de Zahl der Studierend­en, die Bafög erhalten, mit der Angst vor einer Überschuld­ung. „Vor allem Erstakadem­iker:innen schrecken davor zurück, Schulden aufzunehme­n“, schildert Evamarie König von „Arbeiterki­nd“. Die komplizier­te Antragstel­lung sei oft eine weitere Hürde.

Lola Zschiedric­h kann das nur bedingt bestätigen. Das Beantragen sei digitaler und damit auch leichter geworden, sagt die Studentin. Kritischer sieht sie, dass Eltern dem Antrag zustimmen müssten und die Leistung an die Regelstudi­enzeit gekoppelt sei.

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Im Oktober kehren die Studentinn­en und Studenten nach drei „Corona‰Semestern“wieder an die bayerische­n Universitä­ten und Hochschule­n zurück. Die Präsenzleh­re soll im kommenden Winterseme­ster die Regel sein. Um eine Vorlesung besuchen zu dürfen, müssen Studierend­e entweder geimpft, genesen oder getestet sein.
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Laura Freilinger
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Paul Thieme
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Lola Zschiedric­h

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