Neuburger Rundschau

Ins Jenseits an der Hand von Dante

Der vor 700 Jahren gestorbene Florentine­r war der Schöpfer der „Göttlichen Komödie“. Keine andere Dichtung hat eine solche Wirkung entfaltet wie das Epos, das in die Hölle hinab und ins Paradies hinaufführ­t

- VON STEFAN DOSCH

Die Frauen, so hat es Giovanni Boccaccio uns Nachgebore­nen hinterbrac­ht, die Frauen hätten beim Anblick des Dichters Dante Alighieri auf der Straße getuschelt, da komme der, der Zutritt zu der Hölle habe, so dunkel, wie der Teint seines Gesichtes sei – geschwärzt ganz offenbar vom Ruß jener Unterwelt, in der das Feuer die verstorben­en Sünder peinigt. Wie hoch der Wahrheitsg­ehalt dieser Anekdote des DanteZeitg­enossen und „Decamerone“-Verfassers Boccaccio über seinen Dichter-Kollegen auch immer zu bewerten sein mag, illustrier­t er doch aufs Schönste, was die Faszinatio­n Dantes über viele Jahrhunder­te hinweg ausmacht: Die unerhört bildmächti­ge Beschreibu­ng jener Sphären, über die zumindest der gläubige Mensch sich zwar seine Gedanken macht, derer ansichtig er jedoch erst nach seinem Tode wird – das Jenseits.

Die Schilderun­g der Hölle und ihrer Qualen, auf welche der Dichter die Darstellun­g der Gefilde der Läuterung und schließlic­h den Aufstieg zum Paradies mit der verheißene­n Ansicht Gottes folgen lässt, ist Gegenstand von Dantes Hauptwerk, der „Göttlichen Komödie“. Ein Werk, das ihn nicht nur zum Nationaldi­chter Italiens gemacht und sein Konterfei – mit Adlernase unter Lorbeerkra­nz und Lederkappe – auf Olivenöl und Zwei-Euro-Münzen aufgeprägt hat, sondern das auch in so gut wie alle Literaturs­prachen der Welt übertragen wurde. Eine dreiteilig­e Dichtung von 100 „Gesängen“mit insgesamt über 14 233 Versen, die trotz der mittlerwei­le beträchtli­chen historisch­en Ferne auch in der heutigen, weit mehr auf das Dies- als auf das Jenseits ausgericht­eten Welt nach wie vor in Bann zu ziehen vermag.

Wer ist dieser Dante, der vor 700 Jahren, am 14. September 1321, gestorben ist? Dass sein Ableben in Ravenna erfolgte und er dort auch begraben ist, wurmt seine Vaterstadt Florenz, wo er im Frühjahr 1265 zur Welt kam, bis auf den heutigen Tag. Doch die Vaterstadt trägt selber Schuld daran. Dante, dem niederen Adel entstammen­d und früh dichterisc­h tätig, war im Florentine­r Rat politisch tätig, wählte im damals schwelende­n Streit zwischen Kaiserlich­en und Papstanhän­gern jedoch die falsche Partei und wurde, als die Papstanhän­ger die Macht errangen, 1302 aus der Stadt verbannt. Florenz sah er nie wieder, die verbleiben­den Jahre seines Lebens verbrachte er überwiegen­d in Verona und zuletzt in Ravenna. In diesen knapp zwei Jahrzehnte­n entstand die „Komödie“.

Das Epos spiegelt die Krise, in die Dante geraten war. Und das nicht nur in übertragen­em, sondern auch in buchstäbli­chem Sinn, denn Dante tritt dort selbst auf, er ist der Wanderer, der als Lebender die drei Jenseitsre­iche durchschre­itet. „Nel ist nach dem Muster aba, bcb, cdc…, mal in Prosa. Emp‰ fehlenswer­te Übertragun­gen der „Komödie“aus jüngerer Zeit sind diejenigen von Hartmut Köh‰ ler (bei Reclam) sowie die Pro‰

mezzo del cammin di nostra vita“, „Mittwegs auf unsres Lebens Reise…“, so hebt das Dante-Ich mit der Erzählung an, um fortzufahr­en (in der Übersetzun­g von Friedrich von Falkenhaus­en): „ … fand / In finstren Waldes Nacht ich mich verschlage­n, / Weil mir die Spur vom graden Wege schwand.“In dieser aussichtsl­os scheinende­n Lage begegnet Dante der römische Dichter Vergil, der ihn fortan durch das Inferno führt, jene neun immer enger werden Kreise der Hölle, in den allerhand Missetäter, Mörder und Ehebrecher, Räuber und Verräter, mythische und reale Figuren ihre Strafen verbüßen, indem sie von der Schar der Teufel malträtier­t werden.

Dann, jenseits des tiefsten Kreisaüber­setzung von Kurt Flasch (Fischer Ta‰ schenbuch). Beide Ausgaben verfügen über einen ausge‰ zeichneten Kom‰ mentar.

● Franziska Meiers Rezeptions­geschichte der

geht es spiegelbil­dlich im „Purgatoriu­m“den Läuterungs­berg hinauf, diesmal unter Führung der früh verstorben­en Beatrice, einer Jugendflam­me Dantes, und erneut begegnet der Jenseitsfa­hrer einer ganzen Reihe von Gestalten, die ihm ihre Geschichte erzählen, diesmal jedoch in Aussicht göttlicher Vergebung. Und so steigt Dante schließlic­h weiter durch die Stufen des „Paradieses“, um ganz oben angelangt das göttliche Licht zu erblicken.

Schon Dantes Zeitgenoss­en erkannten und bewunderte­n, dass in der „Comedia“– das Beiwort „Divina/Göttlich“stammt nicht vom Autor selbst, wurde erst posthum hinzugefüg­t – mehr als nur die christlich­e Jenseitsvo­rstellung ins

„Göttlichen Komödie“ist unter dem Titel „Besuch in der Hölle“bei C.H.Beck erhältlich. Hier auch, von derselben Autorin, der knapp gehaltene Band „Dantes Göttliche Komödie – Eine Einführung“.

● Giovanni Boccaccios „Büchlein zum Lob Dantes“, die wohl erste Biografie von Dante überhaupt (ge‰ schrieben um 1350), ist in einer Neuüberset­zung im Verlag Das kultu‰ relle Gedächtnis erschienen. (sd)

Bild gefasst wurde, dass hier vielmehr religiöse, philosophi­sche, ethische und moralische Vorstellun­gen zu einem sehr eigenen und zugleich tragfähige­n Konstrukt zusammenfi­nden. Eine Eigenschaf­t, die es der „Göttlichen Komödie“im Lauf ihrer Verbreitun­g ermöglicht­e, auch für gänzlich andere und keineswegs nur christlich-religiöse Konzepte anpassungs­fähig zu sein – und zugleich Voraussetz­ung ist für stets sich erneuernde Aktualität.

Bedeutsam ist das Hauptwerk Dantes aber auch in literarisc­hsprachlic­her Hinsicht. Denn verfasst ist es nicht in der damals gebotenen Sprache für gehobene Themen, dem Latein. Der Florentine­r Dichter hat vielmehr ein dem Allses, tagsgebrau­ch entstammen­des Toskanisch verwendet, worüber die Renaissanc­e-Humanisten noch lange die Nase rümpften. Umsonst, denn Dantes volgare, die Sprache des Volkes, wurde stilbilden­d für die Dichtung seines Landes, ja für die italienisc­he Sprache überhaupt.

Die zunächst ganz und gar ungewöhnli­che Sprachwahl verhindert­e auch nicht, dass die „Göttliche Komödie“schon bald außerhalb der italienisc­hen Städte gelesen wurde. Man behalf sich mit Übersetzun­gen, kurioser wie naheliegen­der Weise erst einmal in Latein – die Göttinger Romanistin Franziska Meier hat gerade in „Besuch in der Hölle“, einer aspektreic­hen Rezeptions­geschichte der „Komödie“, diese Vermittlun­gspfade nachgezeic­hnet.

Dass Dantes Schilderun­gen, ob nun von Höllentort­uren oder von göttlichem Licht, so ungemein assoziatio­nsstark waren, hatte und hat Auswirkung­en auf vielerlei Künste, nicht zuletzt die Bildenden. Der Renaissanc­e-Maler Sandro Botticelli widmete dem Epos einen Zyklus von Zeichnunge­n; noch nachhaltig­eren Einfluss entfaltete der Franzose Gustave Doré im 19. Jahrhunder­t mit seiner Folge von Stichen zur „Göttlichen Komödie“. In der Dichtkunst fand Dante gerade im 20. Jahrhunder­t starken Widerhall, nicht so sehr durch moderne Jenseitsfa­hrten als durch eine Vielzahl von Reverenzen. Die Nähe des Dante’schen Infernos zu den Lagern totalitäre­r Regime schien zudem naheliegen­d, und der AuschwitzÜ­berlebende Primo Levi beispielsw­eise spricht in seinem Erfahrungs­bericht „Ist das ein Mensch?“mehrfach von Dante. Dagegen hat Martin Walser als Beobachter der Frankfurte­r Auschwitz-Prozesse auf die Problemati­k aufmerksam gemacht, als Außenstehe­nder die Leiden der Holocaust-Opfer durch Parallelse­tzung mit dantesken Höllenbesc­hreibung erfahrbar machen zu wollen – ein vergeblich­er Versuch, wie Walser meinte.

Die globale Gültigkeit von Dantes „Weltlitera­tur“steht heute nicht mehr auf solch felsenfest­em Grund wie noch im 19. Jahrhunder­t, als die europäisch­e Romantik den Dichter und seine „Komödie“vergöttert­e. Mancher Dante-Leser aus postkoloni­aler Kultur beklagt, in dem Gedicht schlichtwe­g nicht vorzukomme­n. Andere gehen noch weiter und halten dem Verfasser Islamophob­ie und Rassismus vor, weil er im „Inferno“den Propheten Mohammed schlimme Pein für seine Religionsa­bspaltung erleiden lässt.

Und doch ist das nur die eine Seite heutiger Wahrnehmun­g. Mangas und Computersp­iele mit Bezug auf den Dichter und die „Göttliche Komödie“zeigen, dass beide inzwischen sogar in der Popkultur Wurzeln zu schlagen vermögen. Der Weg Dantes und seines „Jahrtausen­dbuchs“(Franziska Meier) wird auch im 21. Jahrhunder­t nicht an ein Ende kommen.

 ?? Fotos: Tauwald Pictures/Archivist, stock‰adobe.com ?? Gustave Doré schuf einen Zyklus von Grafiken zu Dantes „Göttlicher Komödie“– hier Dante, von Vergil begleitet, beim Gang in die Unterwelt. Unten die Büste des Dichters in Florenz.
Fotos: Tauwald Pictures/Archivist, stock‰adobe.com Gustave Doré schuf einen Zyklus von Grafiken zu Dantes „Göttlicher Komödie“– hier Dante, von Vergil begleitet, beim Gang in die Unterwelt. Unten die Büste des Dichters in Florenz.
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