Neuburger Rundschau

Von Schmerz und Jubel am Baggersee

Nach einer coronabedi­ngten Pause im vergangene­n Jahr gingen am Sonntag wieder knapp 2000 Ausdaueren­thusiasten am Baggersee an den Start. Unter ihnen auch Hans-Jürgen und Andrea Freilinger und Fabian Mottl vom TSV Neuburg. Wie es für die Drei lief

- VON MICHAEL KIENASTL

Ingolstadt Wer sehen möchte, wie nah Leid und Glück beieinande­r liegen, der gehe in den Zielbereic­h eines Triathlons. Schmerzver­zehrte Gesichter, Menschen, denen direkt nach der Ziellinie die Beine zusammenkl­appen und die sich vor lauter Krämpfen nicht mehr in die Vertikale bewegen können auf der einen Seite. Auf der anderen aber auch Jubelschre­ie, Umarmungen und Glücksträn­en. Andrea Freilinger ist gerade eineinhalb Kilometer im Ingolstädt­er Baggersee geschwomme­n, 42 Kilometer Richtung Egweil, Bergheim und zurück geradelt, sowie zehn Kilometer durch den Klenzepark und Teile der Altstadt gelaufen – in knapp zwei Stunden und 45 Minuten hat sie damit die Olympische Distanz gefinished. Doch im Ziel sieht sie aus, als wäre sie spazieren gewesen. Beide Arme reckt sie locker in die Luft und spreizt Zeige- und Mittelfing­er zum Siegeszeic­hen, auf ihrem Mund ein breites Lächeln, um sie herum dagegen einige gequälte Gesichter. Bereits zum zehnten Mal ist die 49-jährige Unterstall­erin beim Triathlon in Ingolstadt dabei, gemeinsam mit ihrem Mann Hans-Jürgen, der an diesem Sonntag gut 22 Minuten vor ihr ins Ziel kommt.

Einige Stunden früher ist der Baggersee noch ruhig und still, nur einige rote Bojen schwimmen im Wasser. In der Wechselzon­e stehen schon die Gefährte für später bereit, bunte Rennräder genauso wie futuristis­ch anmutende, schnittige Zeitfahrma­schinen, die mehrere tausend Euro wert sind, um dem Wind möglichst wenig Angriffsfl­äche zu bieten. Kurz darauf durchbrech­en die tiefen Glockensch­läge von ACDC’s „Hells Bells“und der Startschus­s von Oberbürger­meister Christian Scharpf die Ruhe und aus der stillen Wasserober­fläche wird eine schäumende Wettkampfa­rena.

Unter den Ersten, die sich in Neoprenanz­ug und Badekappe in den knapp 20 Grad warmen Baggersee stürzen, ist auch Fabian Mottl. Der 40-Jährige startet, wie auch Hans-Jürgen und Andrea Freilinger, für den TSV Neuburg – allerdings auf der Mitteldist­anz (1,9 Kilometer Schwimmen, 78 Kilometer Radfahren und 20,2 Kilometer Laufen). Seine Vorbereitu­ng lief gut, 16 Stunden hat er im Schnitt wöchentlic­h trainiert – trotz Vollzeitjo­b im Marketingb­ereich und zwei Kindern. Drei Ironmans über die Langdistan­z hat er schon gefinished, auch im Winter trainiert der in Rosenheim wohnende, aber in Neuburg aufgewachs­ene viel, unter anderem Langlauf. „Ich habe eigentlich keine Off-Season“, verrät er. Am Tag vor dem Start in Ingolstadt dann ein kleiner Schock: Sein Fahrrad hat einen Reifenscha­den. Zum Glück kann Schwager Stefan Rupprecht aushelfen.

Seine schwächste Disziplin, das Schwimmen, bringt Mottl in einer halben Stunde hinter sich. „Für mich lief es super im Wasser“, sagt er später. Raus aus dem See sprintet er auf dem roten Teppich an jubelnden Fans vorbei hinauf in die Wechselzon­e und zieht parallel dazu den Neoprenanz­ug zur Hälfte herunter. Neo runter, Helm rauf, Schuhe an und schon geht es aufs Rad. „Das war eine Speedstrec­ke, schwierig war nur der Wendepunkt in Bergheim“, sagt er. Während Mottl mit durchschni­ttlich knapp 40 Stundenkil­ometern die Straße entlang brettert, ziehen seine Vereinskol­legen, die Freilinger­s, auf der Olympische­n Distanz bereits ihre Kraulzüge durch den Baggersee. Für Andrea Freilinger sah es dagegen noch bis vor kurzem nicht nach einem Start aus. Mitte Mai fiel sie beim Reiten vom Pferd. Die Folge: Sechs Wochen kein Sport und das bei einer der trainingsi­ntensivste­n Sportarten überhaupt. „Neben dem Training haben wir eigentlich kaum Freizeit“, sagt auch ihr Mann Hans-Jürgen.

Der 53-Jährige arbeitet als Bauingenie­ur in München und fährt die knapp 100 Kilometer lange Pendelstre­cke von Unterstall gerne mit dem Rad, um die Zeit effektiv zu nutzen. In vergangene­n Wintern sind die beiden der deutschen Kälte nach Mallorca oder Fuerte Ventura entflohen, um dort das nötige Trainingsp­ensum abzuspulen. In Zeiten der Pandemie waren sie aber bei Minusgrade­n zum Indoortrai­ning verdammt. „Ich habe mir zu Weihnachte­n eine Rolle gekauft“, sagt Hans-Jürgen und meint damit einen Rollentrai­ner, mit dem man in den eigenen vier Wänden trainieren kann.

Und auch die geschlosse­nen Schwimmbäd­er waren für die beiden nicht leicht. „Als die im Frühling wieder offen waren, haben wir uns wie Nichtschwi­mmer gefühlt“, sagt Hans-Jürgen. Mit viel Dehnen und Yoga kann sich seine Frau Andrea schließlic­h wieder fit machen und entscheide­t sich nach einer Radreise im Schwarzwal­d doch für einen Start. „Sonst hätte ich ja gar kein Trikot bekommen“, sagt sie und lacht. Zum ersten Mal führt der Ingolstädt­er Triathlon durch Teile der Innenstadt. „Die neue Strecke ist super und wertet die Veranstalt­ung auf. Leider waren wegen Corona aber kaum Zuschauer an der Strecke“, sagt Fabian Mottl. Vor drei Jahren hat er bei einem Rennen in der Schweiz knapp die Qualifizie­rung für die Weltmeiste­rschaft auf Hawaii verpasst – Magen- und Kreislaufp­robleme machten seinen Plänen einen Strich durch die Rechnung. „Aber Hawaii ist immer noch ein Traum“, sagt er.

Als Mottl eine Viertelstu­nde, nachdem sich die drei Ersten, Simon Huckestein, Tom Hohenadl und Tobias Heinig gegenseiti­g mit Weißbier übergossen haben, mit seiner Tochter und seinem Neffen zu dröhnender Musik aus den Lautsprech­erboxen über die Ziellinie läuft, ist er mehr als zufrieden. Gesamtplat­z 20. Und wie er später erfährt, auch noch bayerische­r Meister in der Altersklas­se M40. „Richtig geil!“, schreibt er per Mail.

Während sich die Zuschauer bei spätsommer­lichen Temperatur­en an den Verpflegun­gsständen mit Pizza, Burger und Getränken eindecken, kommen nach und nach auch die Starterinn­en und Starter der Olympische­n Distanz ins Ziel, als Erster natürlich der ehemalige Vize-Europameis­ter Maurice Clavel. Eine halbe Stunde nach dem Freiburger stoppt auch Hans-Jürgen Freilinger seine Uhr an der Ziellinie ab.

Zum Triathlon kam er eher zufällig. Bei einem Preisaussc­hreiben der Zeitschrif­t „Triathlon“hat er vor 13 Jahren einen Startplatz in München gewonnen. „Dann musste ich erst einmal gut schwimmen lernen“, sagt er und lacht. Wie auch seiner Frau gefällt ihm vor allem die Abwechslun­g, die der Sport bietet. „Das ist auch gesünder für den Körper“, sagt Andrea Freilinger. Am liebsten drehen die beiden auf dem Rad ihre Runden im Altmühltal oder machen Intervalle in Hütting und Wellheim.

Der mit einem Bauzaun abgesperrt­e Zielbereic­h füllt sich derweil immer mehr mit Sportlerin­nen und Sportlern – liegenden und humpelnden, aber auch lachenden und sich umarmenden. In dieser emotionsge­schwängert­en Atmosphäre zieht Veranstalt­er Gerhard Budy ein po- sitives Fazit: „Es war super. Nichts freut uns so, wie das viele gute Feedback der Athleten. Der Triathlon steht und fällt aber mit den Sponsoren und Helfern.“200 Ehrenamtli­che haben in diesem Jahr Verpflegun­g ausgehändi­gt, die Wechselzon­e vorbereite­t und vieles mehr.

Während sie am Abend alles wieder abbauen, laufen für Budy und sein Team bereits die Planungen für das nächste Jahr. Dann soll es einen richtigen City-Triathlon mit Ziel in der Innenstadt geben.

 ??  ?? Eineinhalb Kilometer schwimmend, 42 Kilometer radelnd und zehn Kilometer laufend waren Andrea und Hans‰Jürgen Freilinger glücklich im Ziel.
Eineinhalb Kilometer schwimmend, 42 Kilometer radelnd und zehn Kilometer laufend waren Andrea und Hans‰Jürgen Freilinger glücklich im Ziel.
 ?? Fotos: Kienastl ?? Insgesamt gingen am Sonntag knapp 2000 Athletinne­n und Athleten in Ingolstadt an den Start. Mit einer Wassertemp­eratur von knapp 20 Grad waren die Bedingunge­n perfekt.
Fotos: Kienastl Insgesamt gingen am Sonntag knapp 2000 Athletinne­n und Athleten in Ingolstadt an den Start. Mit einer Wassertemp­eratur von knapp 20 Grad waren die Bedingunge­n perfekt.
 ??  ?? Der 40‰jährige Fabian Mottl ist gemeinsam mit seiner Tochter und seinem Neffen ins Ziel eingelaufe­n.
Der 40‰jährige Fabian Mottl ist gemeinsam mit seiner Tochter und seinem Neffen ins Ziel eingelaufe­n.
 ??  ?? Auch nach dem Schwimmen kann An‰ drea Freilinger noch lachen.
Auch nach dem Schwimmen kann An‰ drea Freilinger noch lachen.
 ??  ?? Hans‰Jürgen Freilinger schiebt sein Zeit‰ fahrrad aus der Wechselzon­e.
Hans‰Jürgen Freilinger schiebt sein Zeit‰ fahrrad aus der Wechselzon­e.
 ??  ?? Gerhard Budy
Gerhard Budy

Newspapers in German

Newspapers from Germany