Der Mensch und der Krieg
Was ein Blick auf die blutigen Konflikte der Vergangenheit uns heute zu sagen hat
„Es ist nur gut, dass der Krieg so schrecklich ist, wir würden sonst vielleicht Gefallen an ihm finden.“Das soll Konföderiertengeneral Robert E. Lee in der Schlacht von Fredericksburg 1862 im amerikanischen Bürgerkrieg angesichts vieler ebenso vergeblicher wie verlustreicher Angriffe der Unionstruppen bemerkt haben. Muss man dann aber nicht fragen: Warum das alles?
Wie Konflikte die Menschheit prägten, untersucht die kanadische Historikerin Margaret MacMillan in ihrem Buch „Krieg“. Mehr als zwei Jahrtausende umfasst dieser große, souveräne Überblick der langjährigen Oxford-Professorin. Sie kommt dabei zu einem gerade heute virulenten Befund: „Wenn wir nicht begreifen, wie weit Krieg und Gesellschaft miteinander verknüpft sind, übersehen wir eine wichtige Dimension der menschlichen Geschichte.“
Am Ende gibt es Hoffnung: „… die lange enge Verknüpfung von Krieg und Gesellschaft könnte an ihr Ende gelangen oder sollte dies – nicht, weil wir uns verändert haben, sondern weil die Technologie sich verändert. Angesichts neuer, noch schrecklicherer Waffen, der zunehmenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz, von automatischen Tötungsmaschinen und von Cyberkrieg sind wir mit der Möglichkeit des Endes der Menschheit konfrontiert. Wir müssen über den Krieg nachdenken – mehr als je zuvor.“
Die historische Bestandsaufnahme zuvor ist so breit wie präzise. Sie erzählt mit derselben Genauigkeit über Kriegsbegeisterung wie über Opfer; sie prangert Kriegsverbrechen an, egal, wer sie begangen hat; sie ist auf allen Schauplätzen zu allen Zeiten präsent, beschreibt authentisch mit O-Tönen, kennt sich in der internationalen Kriegs- und Antikriegsliteratur bestens aus, bezieht auch Vergil und Homer, Shakespeare und Remarque, Ernst Jünger und Wassili Grossman ein. Sie zitiert mörderische Stellen aus dem Alten Testament oder aus der HimmlerRede vor SS-Kommandeuren in Posen.
Wie wird der Mensch zum Krieger?
Die hohle Fairness ritterlicher Tugenden wird entlarvt, aber auch die Feldweihnacht in Frankreich 1914 über Schützengräben hinweg. Es geht um heldenhafte Krieger, aber auch geschätzt zwei Millionen von sowjetischen Soldaten vergewaltigte deutsche Frauen … Und um einen kanadischen General, der seine Truppe im Ersten Weltkrieg einen von Deutschen gehaltenen Hügel stürmen ließ, tausende von eigenen Verlusten in Kauf nahm und später als Held verehrt wurde – aber in jüngerer Zeit in Kanada nur noch als „Schlächter“bezeichnet wurde.
Wie prägt der Krieg den Fortschritt? Der Mensch als Erfinder jedenfalls vollzog den Schritt von Stein- und Bronzeinstrumenten zur Waffe früh. Das führte zu solchen Feinheiten wie die, dass mongolische Reitervölker, die im späten Mittelalter bis nach Europa vordrangen, ihre Krieger mit seidenen Unterhemden ausstatteten. Die Seide nämlich wickelte sich um feindliche Pfeilspitzen und verhinderte bei Verletzungen entzündliche Verwundungen. Das führte letztlich bis zur Atombombe. Und zu vollautomatischen Angriffswaffen. Der Cyberkrieg der Zukunft zeichnet sich bereits ab – zugleich aber gibt es auch eine Rückkehr ins Archaische: Aufständische in Afghanistan etwa, deren Funk von den USA abgehört worden war, übermittelten in der Folge Nachrichten nur noch durch Boten (per Motorrad).
Immer wieder: ungeheure wirtschaftliche Anstrengungen der Kriegsparteien, Tote über Tote, ein mühseliger Wiederaufbau. Es mag irritieren, wenn MacMillan da auch die Bewunderung eines kanadischen Militärs für einen eigenen Giftgasangriff in Ersten Weltkrieg zitiert – und zugleich die vielfältigen verzweifelten völkerrechtlichen Vereinbarungen gegen den Krieg beschreibt. Aber so ist der Mensch offenbar. Immerhin: Auch das Rote Kreuz wurde auf einem blutgetränkten Schlachtfeld erfunden.
» Margaret MacMillan: Krieg – Wie Konflikte die Menschheit prägten Aus dem Englischen von KlausDieter Schmidt, Propyläen 381 S., 30 ¤