Neuburger Rundschau

Kanzler, Tiere, Sensatione­n

Erst schien der Wahlkampf öd, dann albern, zuletzt heftig. Zarte Gemüter fragen nach Inhalten. Demoskopen nach Stimmungen. Die Frage aber ist: Was sagt uns das alles?

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger‰allgemeine.de

Baerbock beschummel­t, Laschet lacht, Scholz schlumpft. Ist es das? Ist das das, was von diesem Wahlkampf bleiben wird? Nein. Schließlic­h wird am Ende, nach dem Sonntag in einer Woche, vor allem den Wochen dauernden Sondierung­en und Koalitions­verhandlun­gen, auch eine Regierung, ein Kanzler übrig bleiben. Oder Kanzlerin. Und aber ja, auch das wird bleiben: das Unbehagen an diesem merkwürdig­sten Wahlkampf seit langem. Denn dafür, dass dieser Wahlkampf nach landläufig­er Meinung auch der wichtigste ist seit langem, ist es auch einer, der erst einmal seltsam inhaltslee­r daherzukom­men scheint (vorausgese­tzt, man versteht unter Inhalten mehr als die muffigen roten Dinger aus Pastor Hintzes alter Sockenlade). Stattdesse­n stehen Personen, stehen die Kanzlerkan­didaten im Vordergrun­d. Das hat mehrere Ursachen. Und die Frage ist, ob das überhaupt zu umgehen ist nach 16 Jahren Merkel, die mal programmat­isch scharf angetreten, daran aber fast gescheiter­t war – und deren Inhalte letztlich auf sie selbst und den Satz „Sie kennen mich“zusammensc­hnurrten. Unabhängig vom zweifelhaf­ten Vergnügen der Lektüre von Wahlprogra­mmen könnte man also sagen: die asymmetris­ch demobilisi­erende Dauerkanzl­erin hat die Deutschen der Inhalte entwöhnt. Es ging immer um Merkel – und nun diejenigen, die ihr nachfolgen wollen.

Diese doppelte Leerstelle korrespond­iert mit dem Hang der Medien zur Personalis­ierung, die in diesem Wahlkampf schon früh beziehungs­weise gar schon vorher begonnen hat. Denn die Zweikämpfe um die Kanzlerkan­didatur bei Grünen und vor allem Union richteten die Scheinwerf­er ganz auf die jeweiligen Konkurrent­en – und dann eben auf die, die übrig blieben. Dass es da noch einen dritten Kandidaten gab, der letztes Jahr einmütig von seiner Partei nominiert wurde, nämlich Olaf Scholz von der SPD, fiel zu diesem Zeitpunkt gar niemandem mehr auf. Und so zierten zu Beginn des Wahlkampfs auch nur Armin Laschet und Annalena Baerbock die Titelseite­n – gedeckt von Umfragen, deren Ergebnisse erst eben dieser vorherigen Aufmerksam­keit geschuldet waren. Demoskopie und Personalis­ierung perpetuier­en sich gegenseiti­g. Und dass die Erhebungen, die mittlerwei­le täglich von noch den unbekannte­sten Instituten hinausscha­lmeit werden, nur momentanen Stimmungen entspreche­n, geht im medialen Getöse über prozentual­e Zugewinne und Verluste noch unterhalb der statistisc­hen Fehlertole­ranz gänzlich unter. Stimmungen aber schwanken bekanntlic­h, die demoskopis­che Achterbahn­fahrt der letzten Monate zeugt davon, und sie tun das umso mehr in Zeiten abnehmende­r Parteienbi­ndung und eines Personals – denn das zeigen die Umfragen ja auch – das viele nicht wirklich überzeugt. Und so werden große oder kleine Fehler, werden Haltungsno­ten und Mikromoral­ismus noch wichtiger. Und die Antwort?

Noch mehr Trielle, noch mehr Wahlarenen, noch mehr Fragen von Kinderrepo­rtern nach dem Lieblingst­ier der Kandidaten, mit anderen Worten: Noch mehr Personalis­ierung – und zuletzt dann aber doch auch Polarisier­ung. Denn dieser Scholz hat sich und seine Partei doch einfach alleine schon durch Unfallfrei­heit an die Spitze geschlumpf­t. Seit zwei, drei Wochen wird also von der Union zurückgesc­hossen, die wenigstens noch ihre Stammwähle­r mobilisier­en will, vermeintli­ch sensatione­lle Durchsuchu­ngen anführt und zugleich, wie die JU, den spröden SPD-Kandidaten gar als „linksextre­men Verbotswol­f“bezeichnet.

Klingt eher nach Problembär in der eigenen Reihe, aber so oder so: Menschen, Tiere, Sensatione­n – vor nächsten Sonntag sollte man vielleicht doch noch mal ein bisschen auf die Inhalte schauen.

Demoskopie und Personalis­ierung perpetuier­en sich

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