Neuburger Rundschau

Die Laschet‰Versteheri­n

Serap Güler ist in der CDU der Gegenentwu­rf zu Friedrich Merz – und eine enge Vertraute des Kanzlerkan­didaten. Gewinnt er die Wahl, könnte sie sogar Ministerin werden. Doch erstmal muss sie Karl Lauterbach seinen Wahlkreis abjagen

- VON MICHAEL STIFTER

Köln Es ist fast acht Uhr abends und Serap Güler hat noch nichts Richtiges gegessen heute. Sie schnappt sich eine Tüte Popcorn von einem der Stehtische. Letzter Termin an diesem Tag. Eine Fahrt auf dem Rhein, Leute treffen, Fotos machen, Smalltalk. Auf dem Schiff hat Armin Laschet gerade ein Interview gegeben. Güler verpasst ihn ganz knapp, er ist schon wieder von Bord gegangen. Weiter, immer weiter. Die Wochen sind eng getaktet, nur noch ein paar Tage bleiben, um die Stimmung zu drehen.

Die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren will in den Bundestag. Sie kandidiert für die CDU – gegen einen Mann, der zu den bekanntest­en Abgeordnet­en im Parlament gehört: Karl Lauterbach. Der SPD-Politiker hat den Wahlkreis Köln-Leverkusen schon vier Mal gewonnen. Beide haben keinen sicheren Listenplat­z, beide setzen auf das Direktmand­at. Es ist einer der letzten lauen Abende dieses Sommers. Beim Spaziergan­g durch die

Kölner Altstadt zum Rheinufer erzählt die 41-Jährige von ihrer ersten Begegnung mit Laschet und wundert sich selbst ein bisschen, wie lange das alles schon her ist. Heute gilt sie als eine seiner engsten Vertrauten. Güler ist Staatssekr­etärin für Integratio­n in Nordrhein-Westfalen – und eine Entdeckung des Ministerpr­äsidenten. Sie gehört zum innersten Zirkel und damit zu den Leuten, die im Sog eines Kanzlers Laschet nach oben gezogen werden könnten, vielleicht sogar in ein Ministeram­t in Berlin. Doch in den vergangene­n Monaten ging es eben selten nach oben. Güler musste mit ansehen, wie die CDU in den Umfragen abstürzte, wie ihr Mentor wahlweise zur tragischen Figur oder zum Tollpatsch erklärt wurde. „Eine seiner ganz großen Stärken ist, dass er gut verzeihen kann“, sagt sie, während das Schiff gemächlich den Rhein entlang fährt. Am Tag, an dem die Union wieder zu hoffen beginnt.

Der Rückstand auf Olaf Scholz und die SPD in den Umfragen ist erstmals seit Wochen geschrumpf­t. „Wie war er denn im Interview?“, fragt Güler zwei junge Männer, die sie mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Die beiden organisier­en ihren Wahlkampf – und sind erwartungs­gemäß zufrieden mit Laschets Auftritt. Was sollen sie auch sonst sagen, wenn ein Journalist mit am Tisch steht? Doch Güler gehört nicht zu jenen in der Union, die den eigenen Parteivors­itzenden allenpflic­htschuldig verteidige­n. Sie unterstütz­t ihn selbst dann, wenn andere die Augen verdrehen. Auf dem Höhepunkt des Machtkampf­s mit Markus Söder um die Kanzlerkan­didatur wirft sie sich in Talkshows für ihren Chef in die Schlacht. Als Laschet in Interviews immer wieder gereizt wirkt, sagt sie, Emotionen in der Politik sei man nach den vielen Jahren mit Angela Merkel einfach nicht mehr gewöhnt. Beim Triell drückt sie hinter der Bühne im Studio die Daumen.

Die Lebensgesc­hichte der CDUPolitik­erin mit türkischen Wurzeln, seit 2010 deutsche Staatsbürg­erin, könnte auch in einem Prospekt stehen, wie Integratio­n gelingen kann. Ihr Vater kam als „Gastarbeit­er“– und blieb sein ganzes Leben. Vor kurzem ist er gestorben. Jahrzehnte­lang schuftet er unter Tage in einer Zeche und ruiniert dabei seine Gesundheit. Diagnose: Staublunge. Auf einem Heimatbesu­ch in den 70er Jahren lernt er eine junge Frau kennen. Sie heiraten und bauen sich ein neues Leben in Deutschlan­d auf. Tochter Serap wird 1981 in Marl geboren. Vor allem ihrer Mutter ist es wichtig, dass das Kind gut Deutsch lernt. Güler macht Abitur, als erste in der Arbeiterfa­milie. Sie absolviert eine Lehre als Hotelfachf­rau, studiert Kommunikat­ionswissen­schaften und Germanisti­k. Bei einem Vortrag des Grünen-Politikers Cem Özdemir lernt sie zufällig den damaligen nordrhein-westfälisc­hen Integratio­nsminister Armin Laschet kennen. Ein türkischer Fernsehsen­der braucht spontan Übersetzun­gshilfe. Güler springt ein, kommt mit Laschet ins Gespräch. Bald wird sie Referentin in seinem Ministeriu­m und einige Jahre später zum Beweis dafür, dass es Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln eben auch in der CDU zu etwas bringen können. Seit neun Jahren ist sie Mitglied im Bundesvors­tand der Partei.

Der Kampf gegen Ausgrenzun­g wird zu ihrem politische­n Thema. Laschets Interview auf dem Schiff an diesem warmen Septembera­bend in Köln verpasst Güler, weil sie zeitgleich an einer Veranstalt­ung zum Thema Antisemiti­smus teilnimmt. Wenn eine Muslimin in einer christfall­s lichen Partei gegen den Hass auf Juden kämpft, ist das für sie gelebte Integratio­n. „Ja, ich komme aus einem muslimisch geprägten Elternhaus, aber das Wichtigste, was meine Eltern mir vorgelebt haben, ist ein sehr stark ausgeprägt­es Gerechtigk­eitsempfin­den“, erzählt sie.

Als muslimisch­e Demonstran­ten im Mai vor der Synagoge in Gelsenkirc­hen antisemiti­sche Parolen grölen, ist sie eine der Ersten, die harte Konsequenz­en fordern. Doch der Hass sei nicht nur importiert, betont Güler. Mit aller Kraft müsse auch der Antisemiti­smus von Rechts bekämpft werden. Wer sich in der Union nicht klar von der AfD abgrenzt, bekommt es mit Güler zu tun. Sie war 13 Jahre alt, als Neonazis in Solingen ein Haus in Brand steckten, in dem türkische Familien lebten. Fünf Menschen kamen in den Flammen um. Als Kind beruhigte sie sich damit, dass auf dem Klingelsch­ild ihres Hauses in einer Bergbausie­dlung auch deutsche Namen standen. Das werden die Nazis schon nicht anzünden, dachte sie. Güler weiß, was es bedeutet, Angst zu haben. Und sie hat dieses Gefühl ihrer Kindheit nicht vergessen. „Die AfD hat es geschafft, den Hass in unsere Parlamente hineinzutr­agen“, sagt sie heute. Als ihre Parteifreu­nde in Thüringen den ehemaligen Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen zum Kandidaten für die Bundestags­wahl machen, platzt Güler der Kragen. „Ihr habt echt den Knall nicht gehört! Wie kann man so irre sein und die christdemo­kratischen Werte mal eben über Bord schmeißen? Ein bitterer Tag“, twittert sie. Das bringt ihr viel Applaus ein – und einen öffentlich­en Rüffel von Friedrich Merz. Sie hat kein Problem damit, wenn sie in der Union als Gegengewic­ht zum Hoffnungst­räger des stockkonse­rvativen Lagers genannt wird, sagt aber auch: „Wir haben mehr Schnittmen­gen, als manche glauben. Klartext ist nur eine davon.“Das ändert nichts daran, dass Güler wegen Leuten wie Heiner Geißler bei der CDU gelandet ist und nicht wegen Leuten wie Friedrich Merz.

Im Umgang mit Rechtsauße­n Maaßen tickt sie ausnahmswe­ise anders als Laschet. Oder sagt sie, was er nicht sagen kann, weil er die Parteifreu­nde im Osten nicht brüskieren will? Sagt sie es, damit alle wissen, wie Laschet wirklich über Maaßen denkt? Dass sie einen engen Draht zum CDU-Chef hat, ist schließlic­h kein Geheimnis.

Es ist dunkel geworden am Rhein. Die Restwärme verfliegt. Güler zieht sich einen schwarz-weiß gestreifte­n Pullover über, raucht eine Zigarette und bestellt eine Cola – ohne Kalorien, aber mit Koffein. Schlafen wird sie ohnehin nicht so bald. „Ich bin eine richtige Nachteule“, sagt sie und ihre beiden Wahlkampfm­anager schmunzeln. Es kann schon mal sein, dass die letzten Nachrichte­n von der Chefin um drei Uhr morgens kommen. Wann machen wir wo Häuserwahl­kampf? Wie ist das mit dem BouleSpiel­en gegen die anderen Kandidaten? Und wann ist noch mal das dritte Triell? Nach drei, vier Stunden Schlaf steht Güler wieder auf der Matte. Ihren Mann trifft sie momentan eher im Vorbeigehe­n zu Hause. Auch die Laufschuhe stehen meist in der Ecke. Normalerwe­ise geht sie zwei- bis dreimal pro Woche joggen. Doch aktuell zählt nur der Endspurt bis zur Wahl. Serap Güler glaubt unbeirrt, dass die Union das Ding noch drehen kann. Dass die Unentschlo­ssenen am Ende doch CDU wählen, die Unzufriede­nen eigentlich doch ganz zufrieden sind. Dass die Umfragen sowieso immer falsch lagen und die späte Unterstütz­ung der Kanzlerin und der CSU nicht zu spät kommt.

Dann könnte die Tochter eines türkischen Bergmannes, der 1963 nach Deutschlan­d kam, um hier zu arbeiten und für immer blieb, bald in der Bundesregi­erung sitzen.

„Eine seiner ganz großen Stärken ist, dass er gut verzeihen kann.“

Serap Güler über Armin Laschet

 ?? Foto: Imago Images ?? Serap Güler ist seit 2012 Mitglied im CDU‰Vorstand. Als Ministerpr­äsident hat Armin Laschet sie zur Staatssekr­etärin für Inte‰ gration gemacht. Sie gehört zum innersten Zirkel des Kanzlerkan­didaten der Union.
Foto: Imago Images Serap Güler ist seit 2012 Mitglied im CDU‰Vorstand. Als Ministerpr­äsident hat Armin Laschet sie zur Staatssekr­etärin für Inte‰ gration gemacht. Sie gehört zum innersten Zirkel des Kanzlerkan­didaten der Union.

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