Bauen ohne Sand und Kies
Nachhaltig und klimafreundlich sind Beton und Zement nicht. Und die Rohstoffe werden knapp. Forscher entwickeln Alternativen / Von Stefan Parsch
Wie Sand am Meer“– so sagt man, wenn etwas in riesiger Menge vorhanden ist. Ausgerechnet auf Sand, der sich zum Bauen eignet, trifft das nicht mehr zu. Längst ist in Fachkreisen von einer weltweiten Sandknappheit die Rede. Auch Deutschland importiert inzwischen Sand, der zusammen mit Kies ein wichtiger Bestandteil des bedeutendsten Baustoffs überhaupt ist: Beton.
Ein weiterer entscheidender Inhaltsstoff von Beton ist Zement, zusammen mit Wasser das Bindemittel für Sand und Kies. Bei der Aufbereitung von Kalkstein für die Zementproduktion entweichen große Mengen Kohlendioxid (CO2). Pro Tonne Zement gelangen etwa 0,7 Tonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre. Etwa ein Drittel davon entfällt auf den hohen Energiebedarf, wenn die Zementklinker bei bis zu 1450 Grad Celsius gebrannt werden. Insgesamt ist die Zementproduktion für acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich – fast dreimal so viel wie der weltweite Flugverkehr (2,8 Prozent).
Vor diesem Hintergrund ist Bauen in der heutigen Weise nicht nachhaltig. Hinzu kommt, dass der Bedarf an Baustoffen rapide wächst: Einer Studie der OECD zufolge wird der globale Bedarf an Sand, Kies und Schotter bis 2060 auf 55 Milliarden Tonnen steigen – gegenüber 23 Milliarden Tonnen im Jahr 2011. Deshalb gibt es zunehmend Bemühungen, das Bauen und die Baustoffindustrie nachhaltig und klimafreundlich zu gestalten.
Welche Auswirkungen die Sandknappheit in einigen Teilen der Welt hat, beschrieben Aurora Torres von der Université Catholique de Louvain in Louvain-la-Neuve (Belgien) und ihre Kollegen 2017 in Science: „Der Sandabbau zerstört Korallen, Algen und Seegraswiesen durch direkte Entfernung während der Baggerarbeiten, Sedimentation und Verringerung der Lichtverfügbarkeit, die die Photosynthese beeinträchtigt.“
Und im vietnamesischen Mekong-Delta dringt wegen des Sandabbaus zunehmend salziges Meerwasser ins Landesinnere vor und erhöht die Versalzung von Kulturland. In Indonesien verschwanden 20 Inseln, und in Indien beschreiben Medienberichte eine mit äußerst brutalen Mitteln arbeitende „SandMafia“.
Der abgebaute Sand wird oft über große Entfernungen transportiert, woraus – neben Energieverbrauch und CO2-Ausstoß – eine weitere Gefahr resultiert: das Einschleppen invasiver Arten. Das Team um Torres nennt als Beispiel die Grobgerippte Körbchenmuschel. Sie stammt ursprünglich aus Südostasien und wurde inzwischen in vielen Teilen der Welt nachgewiesen, auch in Deutschland.
Marten Winter vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig, der im Fachjournal One Earth mit Torres und anderen Forschern einen Weg zu einer nachhaltigen globalen Sandnutzung skizziert, untersucht
Mikroorganismen und Sporen im Sand. „Welche Lebewesen im Sand zu finden sind, ist bisher kaum erforscht“, sagt er.
Bei der Einfuhr von Pflanzen oder Verpackungsmaterial aus Holz sollen „phytosanitäre Maßnahmen“wie etwa Begasungen das Einschleppen von Schädlingen verhindern. Etwas Vergleichbares gibt es für Sand nicht. Dabei kann der etwa Sporen von Fusarien enthalten – Schlauchpilzen, die häufig in Pflanzen wachsen und diese absterben lassen. „Ein konkurrenzstarker, pflanzenschädigender Pilz reicht aus, um ein Ökosystem zu stören“, warnt Winter.
Aus einem weiteren Grund hält Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Globalisierung der Baumaterialbeschaffung für katastrophal: „Auch die mineralischen Baustoffe sind eine endliche Ressource, die über Jahrmillionen entstanden und die in unserer Lebenszeit nicht erneuerbar ist.“Es handelt sich um Gestein, das Wind und Wasser abgetragen haben.
Um diesen Raubbau einzudämmen, setzt Hebel auf Recycling: „Der Recyclinganteil bei abgerissenen Gebäuden beträgt heute weniger als zehn Prozent.“„Urban Mining“, das Nutzen von Städten als Rohstofflager, beginnt für den Professor für Nachhaltiges Bauen bereits bei der Planung von Gebäuden. Derzeit würden viele Komposite, verklebte oder anderweitig stark verbundene Materialien, verwendet, die kaum voneinander zu lösen seien. Künftig müssten Materialien sortenrein verbaut und etwa durch Schrauben verbunden werden, sodass sie sich beim Recycling wieder voneinander trennen lassen.
Noch aber fallen bei Abrissen große Mengen Bauschutt an – mit einem Gemisch aus Beton, Stahl, Ziegeln und anderen Stoffen. Für ein besseres Recycling haben Forscher um Volker Thome vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Valley (Bayern) eine Technik entwickelt, die auf Erkenntnissen russischer Forscher aus den 1940er Jahren basiert: die elektrodynamische Fragmentierung. Dabei werden unter Wasser sehr kurze Blitze durch den Beton gejagt, die sich entlang der Korngrenzen zwischen Kies und Sand einerseits und dem ausgehärteten Zement andererseits ausbilden. Vom Plasmakanal des Blitzes gehen Schockwellen aus, die das Material auseinandersprengen.
„Es ist etwa so, als würde man aus altem Brot das Mehl zurückgewinnen“, erklärt Thome. Im Gegensatz zu einer mechanischen Verkleinerung blieben Kies und Sand ohne Mikrorisse und könnten in der gleichen Qualität wiederverwendet werden wie die Originalmaterialien. Bei einer Weiterentwicklung des Verfahrens entstand eine automatische Sortieranlage für feinkörnigen Bauschutt, bei der ein Kamera- und Bilderkennungssystem die einzelnen Stoffe identifiziert. Die Teile können dann per Luftdruckdüsen in verschiedene Behälter sortiert werden. Neben Kies und Sand entsteht bei der Fragmentierung auch eine Mischung aus Sand und Zementstein. Diese kann laut Thome und Kollegen problemlos für die Herstellung von Porenbeton verwendet werden, der wegen der Lufteinschlüsse besonders gut dämmt. Aus dem Prozesswasser kann außerdem feines Material gesiebt werden, das zum Großteil aus gelöschtem Kalk besteht und CO2 aus der Luft bindet. „So entsteht ein CO2-Kreislauf“, sagt Thome. In zwei bis drei Jahren werde eine solche Anlage in Produktion gehen.
Einen anderen Weg bei der Zementproduktion gehen Herbert Pöllmann von der Universität HalleWittenberg und seine Forschungsgruppe: Sie ersetzen möglichst viel Kalkstein, aus dem CO2 entweicht, durch andere Stoffe, ohne die Qualität des Zements zu verringern. Mineralische Reststoffe wie etwa Bauxit, die nicht in der primären Industrie
wie der Papier- oder Keramikherstellung Verwendung finden, können dort als Rohstoffe eingesetzt werden. Zudem nutzen die Forscher Tonrohstoffe wie etwa Kaolinit, die in großer Menge vorhanden sind. Die beste Mischung ergab sich aus 20 Prozent Kaolinit, 25 bis 32 Prozent Bauxit, 10 bis 14 Prozent Anhydrit und 38 bis 42 Prozent Kalkstein. Damit kann die CO2-Emission aus den Rohstoffen bei der Zementproduktion um mehr als die Hälfte verringert werden.
„Allerdings sind die industriellen Reststoffe bei weitem nicht so zahlreich, dass eine größere Zementproduktion daraus möglich wäre“, schränkt Pöllmann ein. Deshalb suchen er und sein Team nach Alternativen, etwa Flugaschen aus Verbrennungsprozessen. Aber mit dem Abschalten der Kohlekraftwerke wird sich die Menge der Aschen verringern. Pöllmann setzt deshalb auf vulkanische Aschen, die teilweise schon die alten Römer für ihren „Opus caementitium“– einen betonähnlichen Baustoff – nutzten. Rund um den Pazifik mit seinem pazifischen Feuerring, einem Ring von Vulkanen, gebe es viel hervorragendes Puzzolan-Gestein, das Vulkanasche enthalte, berichtet Pöllmann.
Ein Nachteil von Puzzolanen als Bestandteil von Beton ist, dass er deutlich langsamer aushärtet als der allgemein gängige Portlandzement. Dennoch werde Puzzolan in Zukunft ein wichtiger Bestandteil von Beton werden, prognostiziert Pöllmann: „Wenn die Abgaben für CO2 steigen, wird CO2-armer Zement zunehmend gefragt sein.“Ein Vorteil von puzzolanhaltigem Beton sei zudem, dass er insgesamt haltbarer sei – und widerstandsfähig gegenüber Meerwasser.
Aber es gibt inzwischen auch ein Verfahren, Portlandzement klimafreundlicher herzustellen, wie Leah Ellis und Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge 2019 im Fachmagazin PNAS berichteten: In einem elektrochemischen Prozess wird CO2 von Kalziumkarbonat (CaCO ) so abgespalten, dass – neben dem Zement – hochreine Gase entstehen: Wasserstoff und ein CO2-SauerstoffGemisch. Wasserstoff und Sauerstoff können für das Brennen der Zementklinker verwendet werden, CO2 kann etwa in künstlichen Steinen gebunden werden.
KIT-Forscher Hebel hat noch eine ganz andere Möglichkeit vor Augen: biologische Materialien. So könne man einen weißverfaulenden Pilz durch Spanholz wachsen lassen, der sich vom Zellstoff im Holz ernährt. „Wenn man nach einer Woche dem Pilz das Wasser entzieht, stirbt er ab und seine Fäden, Hyphen genannt, wirken wie ein Klebstoff“, erläutert Hebel. Mit einer Heißpresse könne man die Platte auf die benötigte Dichte bringen. Das Resultat ist eine Holzwerkstoffplatte – zu 100 Prozent biologisch und gleichzeitig sehr haltbar.
Acht Prozent des globalen CO2Ausstoßes für Zement
Lernen von den alten Römern mit „Opus caementitium“