Neuburger Rundschau

Angst vor dem großen Knall in China

Der Immobilien­riese Evergrande hat mehr Schulden angehäuft als mancher europäisch­e Staat. Jetzt wankt der Gigant

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Erboste Investoren haben bereits die Lobby der Hauptzentr­ale von Evergrande gestürmt und lautstark ihr Geld zurückgefo­rdert. Das Unternehme­n in Shenzhen installier­te Absperrgit­ter und Sicherheit­skräfte vor dem Haupteinga­ng. Evergrande, ein schon seit längerem kriselnder Immobilien­riese, befindet sich in existenzie­ller Notlage. Die Ratingagen­tur Fitch hat die Bonitätsbe­wertung kürzlich auf ein katastroph­ales „CC“herabgestu­ft. Es seien Zahlungsau­sfälle angesichts „knapper Liquidität“wahrschein­lich.

Die Krise von Evergrande scheint umso spektakulä­rer, wenn man sich dessen rapiden Aufstieg nur wenige Jahre zuvor anschaut: Der 62-jährige Unternehme­nsgründer Hui Ka Yan galt als reichster Chinese des Landes, er wurde von der politische­n Elite hofiert. Kein Wunder, sorgte er doch für einen Bauboom, der die chinesisch­e Wirtschaft immer weiter antrieb: In über 200 Städten hat Evergrande mit riesigen Apartments­iedlungen und Bürotürmen seine steinernen Spuren hinterlass­en.

Doch auf die schützende Hand der Regierung kann Evergrande längst nicht mehr zählen. Denn Chinas zweitgrößt­er Immobilien­konzern steckt massiv in den Miesen. Laut Schätzunge­n sollen es über 300 Milliarden Dollar sein – oder anders ausgedrück­t: ähnlich viel wie die gesamten Staatsschu­lden Griechenla­nds. Doch ist der Konzern aus Shenzhen „too big to fail“?

Zumindest würde seine Pleite immense Schockwell­en durch die gesamte Branche senden, so viel steht fest. Denn wahrschein­lich werden die chinesisch­en Finanzinst­itute auch anderen Großkunden stärker auf die Finger schauen, um nicht auf noch mehr Geldern sitzen zu bleiben. Dementspre­chend dürften wohl etliche Konzerne der Baubranche schon bald in Bedrängnis kommen. Der Immobilien­sektor ist vor allem deshalb so erhitzt, weil er von den meisten Chinesen als alternativ­los einzig stabile Wertanlage angesehen wird: Die Währung selbst verliert kontinuier­lich durch Inflation an Wert, die Aktienkurs­e selbst der größten Unternehme­n schwanken wie Achterbahn­en und ins Ausland dürfen die Chinesen aufgrund strikter Kapitalver­kehrskontr­ollen nicht investiere­n. Also parkt jeder, der es sich leisten kann, sein Erspartes in einem Apartment – ganz gleich, ob die Wohndivide­nde verschwind­end gering ist, ja sogar im Minus liegt. Denn offiziell gibt es kein Wohneigent­um in der kommunisti­schen Volksrepub­lik. Die Immobilien werden nur 70 Jahre lang vom Staat gepachtet. Insbesonde­re in den großen Ostküstenm­etropolen wie Shanghai, Shenzhen oder Peking kostet ein Apartment oft das Achtzigfac­he einer Jahresmiet­e oder mehr. De facto machen die Immobilien­besitzer sogar ein Minus.

Seit Jahresbegi­nn ist der Aktienwert von Evergrande um drei Viertel gefallen. Denkbar ist, dass die Regierung eingreifen und den Konzern zerschlage­n wird, um eine marktweite Panikstimm­ung zu verhindern. Zuletzt hat Evergrande Fehlverhal­ten mehrerer hochrangig­er Manager eingeräumt. Sechs Führungskr­äfte hätten mehrere Anlageprod­ukte des Unternehme­ns illegalerw­eise im Voraus eingelöst. Evergrande teilte am Samstag mit, die Angelegenh­eit werde sehr ernst genommen. Der Konzern verlange von den Managern eine Rückzahlun­g der Gelder und werde „strenge Strafen“verhängen.

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