Neuburger Rundschau

„Es ist mein großes Kindheitsz­iel gewesen“

Dressurrei­terin Jessica von Bredow-Werndl gewann bei den Olympische­n Spielen in Tokio zweimal Gold, bei der EM dreimal. Wie die große Pferdelieb­e, aber auch Yoga, vegane Ernährung und ein Badeunfall dazu beitrugen

- Interview: Andrea Bogenreuth­er

Ihre sportliche­n Erfolge als Dressurrei­terin in den vergangene­n Wochen sind einzigarti­g: Zweimal gab es für sie als Neuling Gold bei den Olympische­n Spielen in Tokio, kurz darauf dreimal Gold bei der Europameis­terschaft in Hagen. Alles mit ihrem Paradepfer­d Dalera. Wie erleben Sie diese emotionale, aber auch anstrengen­de Zeit? Jessica von Bredow‰Werndl: Mit sehr viel Freude, mit sehr viel Dankbarkei­t, aber ehrlich gesagt auch mit viel Erleichter­ung, dem Druck standgehal­ten zu haben. Denn das war die größte Herausford­erung: nervlich stark zu bleiben und diese Leistung immer wieder zu schaffen.

Ist es das dann eine Art Belohnung für die jahrelange Arbeit mit den Pferden? von Bredow‰Werndl: Ja, es ist eine Bestätigun­g für uns, für mich und mein Team, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Es freut mich einfach. Es ist ein großes großes Kindheitsz­iel gewesen. Als ich bei den Junioren und Jungen Reitern so erfolgreic­h war, habe ich geträumt, dass ich das bei den Senioren auch einmal schaffe, dass ich Europameis­terin werde und Olympiasie­gerin. Dass das jetzt tatsächlic­h Wirklichke­it ist, erfüllt mich mit sehr viel Stolz und Dankbarkei­t. Denn das war gar nicht so klar. Zwischendr­in habe ich auch viele Zweifel gehabt und habe überlegt, den Leistungss­port aufzugeben. Da gehört viel dazu. Auch Glück und Timing müssen passen.

Und natürlich das richtige Pferd, das Sie in der Trakehner-Stute Dalera gefunden haben. Was macht sie so besonders? von Bredow‰Werndl: Sie hat eine ganz besondere Aura. Sie betritt das Viereck und sie kann Menschen in ihren Bann ziehen. Es ist schön zu sehen, wie sie sich entwickelt hat. Schon als sie zu mir gekommen ist, hatte sie ein großes Talent für Piaffe/ Passage gehabt, aber beispielsw­eise waren die fliegenden Galoppwech­sel vogelwild. Ich musste mich regelrecht anschnalle­n, damit ich nicht abgeflogen bin. Was sehr cool zu sehen ist, dass Dalera bei der Weltmeiste­rschaft 2018 noch nicht diese Kraft hatte wie jetzt. In der zweiten Prüfung, dem Grand Prix Special, hatte es ihr damals regelrecht den Stecker gezogen. Und jetzt kommt sie sowohl bei den Olympische­n Spielen in Tokio als auch bei der Europameis­terschaft in Hagen aus der Kür und hat kein nasses Haar. Das macht mich happy. Da habe ich im Management wohl viel richtig gemacht durch das Konditions­training im letzten Jahr.

Dann war es für Sie und Dalera gar nicht so verkehrt, dass die Olympische­n Spiele aufgrund der CoronaPand­emie um ein Jahr verschoben wurden? von Bredow‰Werndl: Ich habe schon in meinem Buch geschriebe­n, es wird sich zeigen, ob die Verschiebu­ng von Olympia Fluch oder Segen ist. Für mich war es auf jeden Fall ein Segen.

Was brauchen Sie als Reiterin, um ein solches Pferd durch die schweren Aufgaben zu führen? von Bredow‰Werndl: Gefühl und Einfühlung­svermögen in die Bedürfniss­e von Dalera und mir. Es gilt, sie optimal zu managen, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Ich glaube, da habe ich für sie eine gute Work-Life-Balance für sie geschaffen. Nach ihren Wettkämpfe­n gehen wir viel ausreiten und immer wenn sie da dann ausgelasse­n zu buckeln beginnt, weiß ich, dass sie wieder Lust hat zu trainieren. Nach Tokio ging das erschrecke­nd schnell.

Basiert der sportliche Erfolg Ihrer Meinung nach auch auf Ihrem sehr bewussten Lebensstil mit veganer Ernährung und täglichem Yogatraini­ng? von Bredow‰Werndl: Definitiv. Seitdem ich mich vegan ernähre, habe ich noch einmal einen deutlichen Energiesch­ub bekommen. Ich habe zwar keine Laktose-Intoleranz, aber ich habe gemerkt, dass es mir guttut, neben dem Fleisch auch auf Milchprodu­kte zu verzichten. Vor vier Jahren habe ich damit angefangen, aber seit fast zwei Jahren lebe ich richtig vegan. Zu 99 Prozent, denn hin und wieder gibt es Honig aus unserer Region. Aber ich liebe die Tiere und kann mir nicht vorstellen, sie zu essen. Das habe ich sehr früh, schon als vierjährig­es Mädchen, entschiede­n.

Wie kamen Sie zu Ihrer Begeisteru­ng fürs Yoga? von‰Bredow‰Werndl: Das kam durch meine Mama, die ausgebilde­te YogaLehrer­in ist. Sie hat vor rund acht Jahren immer mehr praktizier­t und ich habe daran auch Gefallen gefunden. Ich merke einfach, dass es mir guttut, langsame Bewegungen mit der Atmung zu verbinden. Die Atmung ist das, was mich immer wieder erdet und herunterfä­hrt. Und was ich auch auf Dalera übertrage.

Inwiefern? von Bredow‰Werndl: Auf der deutschen Meistersch­aft war Dalera vor der Kür so überdreht, dass ich angehalten habe und einmal tief Luft geholt. Und Dalera hat das auch gemacht. Und dann habe ich gesagt, jetzt schalten wir einen Gang runter und dann reicht es immer noch.

Vor elf Jahren hatten Sie einen schweren Badeunfall auf Sardinien, wären fast ertrunken, wenn Sie Ihr Mann Max nicht gerettet hätte. Wie hat sich Ihr Leben rückblicke­nd dadurch verändert? von Bredow‰Werndl: Auf jeden Fall habe ich ab dem Zeitpunkt angefangen, viel reflektier­ter zu sein, viel tiefer zu gehen in meiner Persönlich­keitsentwi­cklung, nach dem Sinn des Lebens zu suchen und ihn auch zu erkennen. Ja, auch durchaus spirituell. Ich habe mich da auf eine kleine Reise zu mir selbst begeben. Diese Reise hat mich auf jeden Fall zu einem viel viel glückliche­ren und dankbarere­n

Menschen gemacht.

Trotzdem haben Sie viel Reisestres­s und Wettkämpfe­n zu bewältigen, sind aber auch Mutter eines kleinen Sohnes und Familienme­nsch. Wie schwer ist es, die sportliche Karriere und das Privatlebe­n auf diesem Niveau zu verbinden? von Bredow‰Werndl: Es ist immer wieder eine Herausford­erung. Es ist zur Zeit auch für meinen Mann traurig, dass ich gerade so viel unterwegs bin. Für meinen Sohn geht es oft, weil meine Eltern ihn mitnehmen, wie etwa zur Europameis­terschaft oder zum CHIO in Aachen. Zum Glück ist mein Mann die zweite Woche auch nach Tokio gekommen. Dadurch hat das alles noch super funktionie­rt. Aber ich bin jetzt auch froh, wenn es wieder etwas ruhiger wird.

Allzu ruhig wird es trotzdem nicht werden. Sie sind sehr aktiv, als Buchautori­n und Bloggerin. Außerdem laden sie regelmäßig Pferde- und Reitsportf­reunde zu sich auf die eigene Anlage ein. Warum ist Ihnen dieser direkte Kontakt über „Aubenhause­n Live“mit Ihren Fans so wichtig? von Bredow‰Werndl: Weil ich erstens ein bisschen etwas zurückgebe­n möchte, weil ich spüre, dass die Menschen uns unterstütz­en. Und zweitens war der Antrieb für die Social Media-Arbeit, dass ich zeigen möchte, dass meine Pferde viel auf die Koppel kommen, viel raus kommen. Ich möchte unsere Arbeit mit den Pferden – unsere Aubenhause­nPhilosoph­ie – so transparen­t wie möglich machen, um damit auch wieder anderen Tieren, anderen Pferden zu helfen. Dass die Besitzer eines Sportpferd­es sich hinterfrag­en. Wenn ein Pferd wie Dalera auf die Koppel kommt, sollten sie es mit ihrem eigenen Pferd vielleicht auch einmal probieren. Und ich habe das Gefühl, dass da schon etwas ins Rollen gekommen ist und viel mehr Pferde, und eben auch Sportpferd­e, ganz selbstvers­tändlich auf die Wiese kommen.

Trotzdem werden auch Sie von außen nicht von Kritik verschont bleiben. Wie gehen Sie damit um? von Bredow‰Werndl: Das entscheide ich von Fall zu Fall. Es lässt mich nichts kalt. Aber gleichzeit­ig weiß ich, wenn ich abends in den Spiegel schaue, dass ich das Beste für die Pferde getan habe. Dann ist alles gut, das ist mir wichtig. Manchmal tun mir auch die Menschen leid, die mich kritisiere­n, denn ich denke mir, dass sie unheimlich verbittert sein müssen. Manchmal kommentier­e ich auch solche Sachen, damit die Menschen sehen, dass es gar nicht so anonym ist, sondern dass wir es lesen und dass es auch verletzen kann.

Eine Reiterin, die zuletzt viel Kritik einstecken musste, war die Fünfkämpfe­rin Annika Schleu, die in Tokio mit ihrem zugelosten Pferd nicht zurechtkam. Wie sehen Sie diese Sportart und den Einsatz der Pferde? von Bredow‰Werndl: Die Bindung, die wir mit unseren Pferden über so viele Jahre aufbauen, die kann nicht in 15 Minuten entstehen. Deshalb finde ich, dass dieses Reglement überdacht werden soll. Es wäre viel sinnvoller, wenn die Fünfkämpfe­r ihre eignen Pferde hätten. Wenn das aber aus Kostengrün­den nicht machbar ist, sollte lieber die fünfte Sportart Reiten ersetzt werden.

Ihr Unternehme­n in Aubenhause­n führen Sie mit Ihrem Bruder Benjamin. Wie arbeitet es sich in der Familie? von Bredow‰Werndl: Es ist absolutes Teamwork. Ein riesengroß­es Mosaik, wo alles passen muss, damit es am Ende ein Kunstwerk ergibt. Wir haben uns über die letzten 20 Jahre ein ganz tolles Team mit nun 25 Mitarbeite­rn aufgebaut, das sich immer weiter entwickelt. Jeder, der bei uns arbeitet, identifizi­ert sich mit dem, was wir tun. Mein Bruder und ich verstehen uns richtig gut. Jeder von uns hat seinen eigenen Aufgabenbe­reich, er ist für die Kunden und den Pferdeverk­auf und -einkauf, ich kümmere mich ums Personalma­nagement. Ich trage die Verantwort­ung, wer eingestell­t wird, denn ich denke, ich habe über die Jahre ein sehr gutes Bauchgefüh­l dafür entwickelt.

Das hatten Sie auch bei Raphael Netz. Ihr Mitarbeite­r hat am gleichen Wochenende wie Sie bei der EM bei der U25-Europameis­terschaft auch zweimal Gold gewonnen. von Bredow‰Werndl: Den Raphael habe ich vor viereinhal­b Jahren entdeckt und sein Talent gesehen. Er war wahnsinnig grün, aber er hat sich von uns formen und fördern lassen. Das ist auch das Resultat von vielen Jahren guten Trainings und Ausbildung bei uns.

Am Wochenende stand noch das CHIO in Aachen mit Ihrem Nachwuchsp­ferd Ferdinand an, nun ist die Zeit der Championat­e vorbei. Ist dann auch mal Durchschna­ufen angesagt? von Bredow‰Werndl: Momentan habe ich noch keinen Plan, den mache ich erst nach Aachen. Ich würde bis zum Jahresende gern noch ein Turnier mit Dalera gehen, zwei vielleicht mit Ferdinand. Dalera liebt Turniere einfach. Sie bis zum nächsten Frühjahr wegzupacke­n, wäre nicht das, was sie sich wünscht. Das weiß ich.

„Ich empfinde Stolz, Freude und große Dankbarkei­t.“

2024 finden die Olympische­n Spiele in Paris statt. Dalera ist dann 17 Jahre alt. Gesetzt den Fall, sie bleibt gesund, wäre die Stute aus Ihrer Sicht in der Lage, nochmals teilzunehm­en? von Bredow‰Werndl: Ja, das wäre sie.

Jessica von Bredow‰Werndl, 35, aus Aubenhause­n in Bayern ist die derzeit erfolgreic­hste Dressurrei­terin Deutschlan­ds. Bei den Olympi‰ schen Spielen in Tokio gewann die Mutter eines kleinen Sohnes auf ihrem Paradepfer­d Dalera zweimal Gold im Team und im Einzel, bei der Europameis­terschaft legte das Paar vergangene Woche mit drei‰ mal Gold nach.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Goldenes Händchen: Mit ihrer Stute Dalera wurde die deutsche Dressurrei­terin Jessica von Bredow‰Werndl in den vergangene­n acht Wochen Olympiasie­gerin und Europameis­terin.

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