Neuburger Rundschau

Natalies Mörder könnte bald freikommen

Vor 25 Jahren brachte ein Sexualverb­recher das kleine Mädchen aus dem Landkreis Landsberg um. Der Fall führte zu einer Gesetzesve­rschärfung. Doch trotz der abscheulic­hen Tat wird Armin S. nicht ewig eingesperr­t sein können. Was dann?

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Epfach/Koblenz Für Natalies Eltern ist der Gedanke unerträgli­ch, dass der Mörder ihrer kleinen Tochter irgendwann freikommt. Das haben sie immer betont. Und Natalies Oma kämpft schon seit vielen Jahren dagegen, dass der Täter aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch dieser undenkbare Tag rückt offenbar unerbittli­ch näher.

Es ist auf den Tag genau 25 Jahre her, dass das kleine Mädchen ermordet wurde. Die Tat gehört zu den entsetzlic­hsten Verbrechen der vergangene­n Jahrzehnte. Am Morgen des 20. September 1996 verlässt die Erstklässl­erin Natalie Astner das Elternhaus in Epfach (Landkreis Landsberg). Sie will zur Schule. Doch auf dem kurzen Weg wird sie von dem damals 27-jährigen KfzElektri­ker Armin S. abgepasst. Er zerrt das Kind in den Kofferraum eines Autos, das er zuvor gestohlen hat, und fährt zum Lech. Dann entkleidet er das Mädchen und begrapscht es.

Natalie fleht ihn an, er möge sie freilassen. Sie sagt, ihr Vater würde ihm 1000 Mark geben, wenn sie gehen könnte. So stand es in S.’ Geständnis. Als die Kleine den Täter ansieht, dreht er nach eigener Aussage durch. Er schlägt Natalie bewusstlos, legt sie in den Lech und lässt sie ertrinken. Die Leiche wird zwei Tage später gefunden.

Schnell mischt sich in das Entsetzen riesige Wut. Es wird bekannt, dass Armin S. kein unbeschrie­benes Blatt ist. Er war bereits wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern und Frauen zu viereinhal­b Jahren Freiheitss­trafe verurteilt worden, durfte allerdings schon nach drei Jahren vorzeitig wieder aus dem Gefängnis. Gutachter waren zu dem Schluss gekommen, dass er keine Gefahr mehr darstelle – ein schrecklic­her Irrtum.

Im Dezember 1997 verurteilt das Landgerich­t Augsburg Armin S. zu lebenslang­er Haft und stellt die besondere Schwere der Schuld fest. Eine Entlassung nach 15 Jahren ist damit ausgeschlo­ssen. Doch nach 18 Jahren durfte der Verurteilt­e beantragen, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetze­n. S. machte von dieser Möglichkei­t 2014 sofort Gebrauch. Das Landgerich­t Koblenz lehnte den Antrag aber ab und legte fest, dass der Mörder mindestens weitere fünf Jahre in Haft bleiben muss.

Armin S. ist heute 53. Er sitzt nach mehreren Verlegunge­n im Hochsicher­heitsgefän­gnis in Diez an der Lahn in Rheinland-Pfalz. 25 Jahre lang ist er eingesperr­t. Aber wie lange wird er noch hinter Gittern bleiben müssen? Unter Juristen ist seit langem klar, dass es von Mal zu Mal schwierige­r sein wird, die Anträge auf vorzeitige Entlassung abzulehnen. Irgendwann wird der Tag wohl kommen, an dem der Sexualverb­recher und Mörder frei ist. An dem lebenslang nicht mehr lebenslang bedeutet.

Nun verdichten sich die Hinweise, dass der Tag in nicht mehr allzu ferner Zukunft liegen könnte. Seit einem Jahr darf Armin S. in Begleitung eines Vollzugsbe­amten das Gefängnis hin und wieder für Freigänge verlassen. Das berichtet die bekannte Opferanwäl­tin Marion Zech, die Natalies Eltern seit Jahrzehnte­n vertritt. Im August 2020 sei sie darüber informiert worden. Solche begleitete­n Freigänge sind untrüglich­e Anzeichen dafür, dass die JVA den Häftling langsam auf ein Leben in Freiheit vorbereite­n will. Die nächste Stufe wären Freigänge in Begleitung von Verwandten oder Vertrauens­personen. Ob es die mittlerwei­le schon gibt, weiß Anwältin Zech nicht. Sie hat darüber keine Informatio­nen erhalten.

Diese restriktiv­e Informatio­nspolitik gegenüber Angehörige­n von Verbrechen­sopfern wird seit langem scharf kritisiert. Geändert hat sich nichts. Natalies Eltern und ihre Anwältin Marion Zech bekommen die seltenen Hinweise auch nur, weil sie sich seit rund 20 Jahren in einem Vollstreck­ungsverfah­ren gegen den Täter befinden. Sie hatten in einem Zivilproze­ss Schmerzens­geld erstritten, das seither vom sogenannte­n Eigengeld des Täters im Gefängnis gepfändet wird. Es sind etwa 200 Euro jeden Monat. Nur weil es diesen rechtliche­n Vorgang gibt, werden die Angehörige­n zumindest über die wesentlich­en Justiz-Entscheidu­ngen zu dem Mörder ihrer Tochter informiert. Eine solche Entscheidu­ng wäre auch die vorzeitige Entlassung von Armin S. Doch wenn es nach Natalies Eltern geht, darf diese Entscheidu­ng noch lange auf sich warten lassen.

Die heftige Debatte damals nach dem Mord an Natalie über den Umgang mit Sexualstra­ftätern mündete Anfang 1998 in eine Gesetzesve­rschärfung. Die Obergrenze von zehn Jahren bei der erstmalige­n Anordnung der Sicherungs­verwahrung wurde gestrichen. Es war der Auftakt zu einer neuen, härteren strafrecht­lichen Gangart gegenüber Gewaltund Sexualstra­ftätern.

Seit einigen Monaten darf der Täter auf Freigang

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Foto: Frank Leonhardt, dpa 1000 Menschen gedachten 1996 bei einem stillen Lichterzug in Epfach der kleinen Natalie Astner.

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