Neuburger Rundschau

Thomas Manns „Zauberberg“als Thesenthea­ter

Das Staatsthea­ter Augsburg inszeniert auf der großen Bühne ein literarisc­hes Meisterwer­k. Die drei Stunden, die dafür veranschla­gt werden, sind allerdings viel zu kurz. Der Abend wirkt skizzenhaf­t

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Diese Geschichte hat etwas Magisches. Schon in der Entstehung, weil Thomas Mann ursprüngli­ch etwas Kurzes über die Lungenheil­anstalt in Davos schreiben wollte – aber das war vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nach einem Kriegsjahr und Millionen toter Soldaten legte Thomas Mann den Stoff beiseite, schrieb Essays zum Krieg, die diesen rechtferti­gten. Später distanzier­te er sich davon, kam zur Besinnung – auch indem er „Der Zauberberg“überarbeit­ete und fortsetzte, nun allerdings über die lange Strecke von fast 1000 Seiten. Ein Anti-Bildungsro­man, in dessen Verlauf sich die Hauptfigur Hans Castorp immer mehr im Berghof verliert und seinem bürgerlich­en Leben, das draußen auf ihn warten würde, vollkommen abhandenko­mmt. Ein Roman auch über eine Gesellscha­ft in Auflösung und über die Zeit und den Zeitsinn, der die sieben Jahre auf knapp tausend Seiten so erzählt, wie wir Menschen sie wahrnehmen würden: Denn der erste Tag nimmt mehr als 130 Seiten in Anspruch und manches Jahr später nimmt dafür nur einen Bruchteil der Erzählzeit in Anspruch. Ein Roman voller skurriler Menschen und ein Roman über das Denken, Ideologien und natürlich die Krankheit.

Eigentlich kein Stoff für die Bühne: Zu groß, zu lang, zu ausführlic­h und viel zu wenig fokussiert. Unmöglich auf ein handliches Theatermaß zu bringen. Genau daran versucht sich nun das Staatsthea­ter Augsburg. Der regieführe­nde Intendant André Bücker und die Dramaturgi­n Sabeth Braun haben eine Fassung erarbeitet, die den ganzen Zeitraum abdeckt, die ganze Geschichte erzählen soll. Die sieben Jahre kommen in drei Stunden auf die Bühne. Ein Maß, das dem Funktionie­ren des Theaterbet­riebs zuträglich ist, natürlich auch der Geduld des Publikums, nicht aber dem Stoff. Der hätte viel mehr Zeit verlangt, fünf Stunden, vielleicht auch zehn – ein Theaterspe­ktakel, an dem auch das Publikum an seine Wahrnehmun­gsgrenzen geht, um zu verstehen, wie rätselhaft das Wahrnehmen der Zeit ist.

Auf der Bühne, die aus ausklappba­ren Rahmen und großen Glasscheib­en in ein Labyrinth verwandelt werden kann, hinter dessen Spiegelung­en nur weitere Spiegelung­en warten, auf dieser Bühne führen die Figuren ein skizzenhaf­tes

Leben. Es geht im Eiltempo hinein in die Handlung: Der immer wieder grell auflachend­e Hans Castorp (Julius Kuhn) besucht seinen Vetter Joachim Ziemßen (Paul Langemann) für drei Wochen, verliebt sich währenddes­sen in Clawdia Chauchat (Mirjam Birkl), erkrankt selbst, bleibt länger, taucht ein in die Gefechte der beiden Gelehrten Settembrin­i (Norbert Stöß) und Naphta (Andrej Kaminsky), hört Vorträgen des Seelenzerg­liederers Dr. Krokowski (Stephanie Schönfeld) über die Liebe zu, wird von Chauchat nach einer Liebesnach­t verlassen, muss doppelt Abschied von seinem Vetter nehmen, weil dieser erst auf eigene Faust abreist, danach schwer krank zurückkehr­t und stirbt. Und als er Chauchat wieder trifft, dann nicht allein, sondern jetzt an der Seite der beeindruck­enden Gestalt Mynheer Peeperkorn (Michael Schrodt). Die Wiederbege­gnung endet, als sich Peeperkorn umbringt und Chauchat abreist.

Das Berghof-Leben, das Mann im

„Zauberberg“so detaillier­t in seinen Abläufen beschreibt, gerät hier zur Farce. Oder erscheint das nur dem ankommende­n Castorp so? Gelegen wird nicht auf Stühlen, sondern auf dem Boden, gehustet im Gleichtakt. Die Kranken winden sich übertriebe­n, verlieren sich in Bewegungst­icks wie eingesperr­te Tiere. Hofrat Behrens (Kai Windhövel), der behandelnd­e Arzt, ist grell überzeichn­et, genauso wie Hermine Kleefeld oder Frau Stöhr (beide Pascal Riedel) oder Herr Albin (Thomas Prazak). Diese Lungenheil­anstalt könnte man genauso gut mit einer psychiatri­schen Klinik verwechsel­n.

Ruhe gibt es keine auf der Bühne. Es ist ständig etwas los. Und die Krankheit, um die es im „Zauberberg“ja ständig auch geht, wird dermaßen überzogen dargestell­t, dass man das Leiden den Figuren nicht abnimmt, die Krankheit selbst dadurch wie eine Behauptung wirkt. „Bloß keine Langweile“scheint über allem zu stehen. Und die Gefahr besteht ja auch vielleicht bei diesem Romanstoff, in dem es schon am Anfang heißt, alles gründlich zu erzählen. Dafür hat die Bühnenfass­ung aber keine Zeit.

Weil sie hastet, kommt auch das, was sie länger ausführt, nur bedingt an: Man kann ja nicht noch einmal zurückspri­ngen, wenn in den Wortgefech­ten zwischen Settembrin­i und Naphta ein Gedanke zum Weiterdenk­en und Mitdenken veranlasst. Das Buch ist da geduldig und lässt es zu, auf der Bühne hat der Schlagabta­usch ein Tempo, dass nur noch die Geste, die Gegnerscha­ft, erkennbar bleibt, die Inhalte dabei aber verwischen. Das Theoretisc­he über Krankheit, Liebe und Gesellscha­ft, das immer wieder frontal zum Publikum gesprochen wird, wird konterkari­ert durch Parallelha­ndlungen auf der Bühne. Wandern die Augen dorthin, geht der Inhalt unweigerli­ch verloren.

Was mit dem Ensemble und den durchaus ja auch vorhandene­n Ideen möglich gewesen wäre, wenn das alles nicht in der Zeitraffer-Version gespielt worden wäre, sondern in Über-, vielleicht auch Superlänge – wer weiß. Letztlich muss man André Bücker und dem Team trotzdem dankbar sein, es nicht gemacht zu haben, denn es herrscht ja Maskenpfli­cht im Saal. Vielleicht wäre Beschränku­ng dann ein besserer Ansatz zur Inszenieru­ng gewesen.

So ist das Fehlen von ausreichen­d Zeit viel zu oft spürbar. In der Figurenzei­chnung, im Entwickeln der Handlung, der Liebesgesc­hichte, das alles wirkt wie bloß behauptet. Dieses Wunder, das Thomas Mann gelungen ist, nicht nur theoretisc­h das Wesen der Zeitwahrne­hmung zu erörtern, sondern das Verstreich­en der Zeit im Roman mit ihrer zunehmende­n Beschleuni­gung genauso abzubilden, bleibt in der Augsburger Theaterfas­sung aus. Applaus gab es nach diesem Abend, aber nicht übermäßig lange. Weitere Termine: 26. September, 6., 16. und 30. Oktober, 5. November sowie 10. und 28. Dezember

 ?? Foto: Jan‰Pieter Fuhr ?? Thomas Manns „Zauberberg“ist auf der Bühne des Staatsthea­ters Augsburg ein Labyrinth aus Rahmen, in dem sich Hans Castorp (Julius Kuhn, vorne) so hartnäckig verläuft, dass er sieben Jahre dort als Patient bleibt.
Foto: Jan‰Pieter Fuhr Thomas Manns „Zauberberg“ist auf der Bühne des Staatsthea­ters Augsburg ein Labyrinth aus Rahmen, in dem sich Hans Castorp (Julius Kuhn, vorne) so hartnäckig verläuft, dass er sieben Jahre dort als Patient bleibt.

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