Neuburger Rundschau

„Wir brauchen mehr Empathie“

Schauspiel­erin Julia Koschitz ist schon früh mit Armut und Obdachlosi­gkeit konfrontie­rt worden. Probleme, die gerne verdrängt würden. Für sie sei das schwer auszuhalte­n

- Interview: Josef Karg

Frau Koschitz, in Ihrem neuen Film „Auf dünnem Eis“wird ein deutsches Tabuthema aufgegriff­en: die Armut hierzuland­e. Der Film beruht auf einem persönlich­en Erlebnis der Produzenti­n Beatrice Kramm, auf deren Autostellp­latz ein Obdachlose­r im Winter einen geschützte­n Ort suchte. Bei minus 15 Grad starb der Mann. Wie konnte das passieren?

Julia Koschitz: Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ein Obdachlose­r in diesem sehr kalten Winter auf dem überdachte­n Garagenste­llplatz von Frau Kramm sein Lager aufgestell­t hat. Sie und die Hausbewohn­er haben den Mann aber nicht wirklich kennengele­rnt, weil er ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen wollte. Er wollte nur dort übernachte­n. Tragischer­weise hat er diesen kalten Winter nicht überlebt. Das war tatsächlic­h der Auslöser für die Geschichte des Films.

Der Film gibt dem obdachlose­n Mann, stellvertr­etend für tausende andere Betroffene, eine Geschichte. Glauben Sie, dass das Thema mit dem Film mehr öffentlich­e Aufmerksam­keit bekommt? Koschitz: Man hofft immer, dass man Menschen mit einem Film zum Nachdenken anregt, und natürlich wäre es schön, wenn wir den ungehörten Obdachlose­n eine Aufmerksam­keit geben können. Ich würde aber nicht sagen, dass wir einen Film rein über Obdachlosi­gkeit gemacht haben. Dazu bleibt seine Lebensgesc­hichte zu vage. Unser Film vereint mehrere Themen, wie vor allem die Auseinande­rsetzung mit dem Umstand, wie brüchig der Boden ist, auf dem unser aller Lebenskons­trukte stehen. Und wie schnell man denkt, so etwas würde einem selbst nie passieren.

Schon der Filmtitel besagt, wie dünn das Eis unseres Wohlstands ist und wie schnell jeder in prekäre Verhältnis­se rutschen kann. Warum tun wir im Alltag oft so, als ginge uns das Thema nichts an?

Koschitz: Weil wir gerne Dinge verdrängen, die uns Angst machen. Das ist nicht schlau, aber eben auch menschlich. Ich glaube, wir gehen der eigenen Ungewisshe­it des Lebens oft aus dem Weg. Wenn man das aber so weit führt, dass man sich einbildet, man habe mit Menschen vom Rand der Gesellscha­ft nichts zu tun, dann ist das ein Problem.

Wissen Sie, dass in der Europäisch­en Union heute 70 Prozent mehr Obdachlose leben als noch vor zehn Jahren? Jede Nacht sind mehr als 700000

Menschen ohne Dach über dem Kopf. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Zahlen hören?

Koschitz: Diese Zahl kannte ich nicht. Sie ist erschrecke­nd!

Gerade in Ballungsrä­umen steigen beispielsw­eise auch die Mieten unaufhörli­ch. Immer mehr Menschen können sie sich nicht mehr leisten. In München sind im vergangene­n Jahr die Anträge auf eine Sozialwohn­ung coronabedi­ngt um 13 Prozent gestiegen. Die Wartezeit kann bis zu zwei Jahre betragen. Koschitz: Das ist ein Thema, das ich auch sehr schwierig finde. Ich lebe in München und halte die steigenden Mieten hier zum Beispiel für eine Katastroph­e. Dadurch werden zahlreiche Menschen aus den Städten vertrieben. Auch die, deren Arbeitskra­ft wir wirklich dringend brauchen, wie zum Beispiel Pflegepers­onal oder andere unterbezah­lte Berufsgrup­pen.

Kann man sagen, dass Sie auffällig oft bei Produktion­en mitspielen, die einen sozialkrit­ischen Hintergrun­d haben? Oder täuscht der Eindruck? Koschitz: Ui! Sagen wir mal, ich hoffe, Sie meinen, dass ich in Filmen mitspiele, die in irgendeine­r Weise relevant sind. Zumindest versuche ich, bei Projekten dabei zu sein, die ich für erzählensw­ert halte und die oft gesellscha­ftskritisc­h sind.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Drehbücher aus?

Koschitz: Es sind meistens drei Schritte: die Qualität des Buches und die Frage, ob ich die Geschichte erzählensw­ert finde; wer Regie führt und wer die Mitwirkend­en sind; und außerdem suche ich nach einer gewissen Abwechslun­g in den Projekten und in den Rollen.

Wann ist für Sie ein Drehbuch gut? Koschitz: Das ist eine gute Frage, nur gar nicht leicht zu beantworte­n. Ein gutes Buch wird mich nicht langweilen. Es sollte Dialoge haben, die nicht beliebig sind sowie eine spannende Dramaturgi­e. Ich könnte vieles aufzählen. Wenn ich es aber kurzfasse: Ein gutes Buch sollte für mich was Eigenwilli­ges haben, mich neugierig machen, und im besten Fall sollte es mich persönlich ein Stück weiterbrin­gen.

Sind Sie eigentlich persönlich schon einmal mit dem Thema Armut konfrontie­rt worden?

Koschitz: Nein, nicht wirklich. Ich hatte das Glück einer sorgenfrei­en Jugend und lebe wahrschein­lich in einer Mittelschi­chtsblase. Nur durch Geschichte­n meines Vaters, der im Krieg geboren und in finanziell bescheiden­en Umständen groß geworden ist, wurde ich mit diesem Thema oft konfrontie­rt. Darum ist mir auch das Narrativ, nie mehr in eine solche Situation zurückfall­en zu wollen, sehr bekannt.

Wo ist Ihnen das Thema Armut in Deutschlan­d am deutlichst­en aufgefalle­n?

Koschitz: Ich bin in Frankfurt aufgewachs­en und da führte mich mein Schulweg durch den Taunuspark. Dort trafen sich damals unzählige Drogenabhä­ngige. Insofern sah ich da früh das grausame Aufeinande­rtreffen von Finanzwelt und der bitteren, ausweglos scheinende­n Situation von Drogenabhä­ngigen, die eben teilweise auch obdachlos waren.

Mit jährlich 25 Milliarden Euro könnten wir die Armut in Deutschlan­d komplett abschaffen, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes. Warum, glauben Sie, passiert da auch politisch so wenig? Liegt es daran, dass man damit keine Wahlen gewinnen kann? Koschitz: Ja, so wie man auch den Hunger in der Welt mit eigentlich lächerlich wenig Geld verhindern könnte. Das ist tragisch und schwer auszuhalte­n. Auch wenn wir zum großen Teil in Demokratie­n leben, denke ich, dass die Welt vornehmlic­h von den Menschen gestaltet wird, die das meiste Geld haben und es behalten wollen. Wir brauchen mehr Empathie.

Julia Koschitz, 1974 geboren, ist eine österreich­ische Schauspiel­e‰ rin. Bekannt wurde sie unter ande‰ rem mit der Serie „München 7“. Das Sozialdram­a „Auf dünnem Eis“ist an diesem Montag um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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Foto: Stephanie Kulbach, ZDF, dpa Julia Koschitz als Köchin Ira und der Obdachlose Konrad (Carlo Ljubek) in einer Szene des Sozialdram­as „Auf dünnem Eis“.

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