Für die Geschichtsbücher
Zwei Platzverweise, ein herrliches Freistoßtor, das nicht zählt und allerhand Emotionen: Das Nordderby entfaltet auch im Unterhaus seinen Zauber
Bremen Es gibt Fußballspiele für die Geschichte: Eines fand im September 2021 in Bremen statt. Das erste Nordderby im Unterhaus. Zwölf gelbe Karten, zwei fliegende Kapitäne und ein Traumtor der Bremer, das wegen Unkenntnis einer Fußballregel unter heftigem Protest der Fans aberkannt wurde. Und ein Derby, in dem der HSV mit 2:0 vom Platz ging. Weil die Hamburger ihre Chancen effektiv nutzten und als Kollektiv funktionierten.
Noch ehe sich die 21000 Zuschauer im ausverkauften Stadion auf das Nordderby so richtig eingelassen hatten, klingelte es im Bremer Kasten. 83 Sekunden waren gespielt, als Moritz Heyer butterweich auf Robert Glatzel flankte, der sträflich alleine vor dem Tor stand und mit dem Kopf das 1:0 für den HSV erzielte, was den mitgereisten 1000 Hamburger Fans erst einmal die Sangeshoheit im Weserstadion bescherte. Fortan ging es heftig zur Sache, mit Sascha Stegemann stand ein Schiedsrichter auf dem Platz, der von Anfang an für Ordnung sorgte, aber auch noch in der ersten Halbzeit zum Hauptakteur des Nordderbys wurde. Seine erste Gelbe Karte nach fünf Minuten für den Bremer Christian Groß sollte eine Warnung für die 22 Akteure sein, die aber unbeeindruckt weiterhin mit Derbyhärte agierten.
In der 30. Minute sorgten die Bremer erstmals für Aufregung. Erst setzte Niklas Schmitt einen Freistoß knapp über das Tor, wenig später grätschte Groß den Hamburger Torhüter Daniel Heuer Fernandes an der Auslinie so unsinnig um, dass Stegemann ihm folgerichtig Gelb-Rot zeigen musste.
Vier Minuten später forderte ganz Bremen einen Strafstoß, nachdem sich Marvin Ducksch und Sebastian Schonlau im Strafraum attackiert hatten und der Bremer zu Fall kam. Stegemann ließ weiterspielen, eine zweifelhafte Entscheidung.
Wieder nur vier Minuten später jubelten die Bremer nach einem Freistoß: Von der Strafraumkante hatte Duksch das Spielgerät wunderschön über die Mauer ins Netz gezirkelt.
Doch Stegemann gab den Spielverderber und bremste den Bremer Jubel, was ihm wütende Proteste von den Rängen brachte. Mitchell Weiser hatte sich unmittelbar vor der Ausführung in die HSV-Mauer gestellt – was nicht den Regeln entspricht. Seit 2019 gilt die Maßgabe, dass angreifende Spieler bei solchen Standards mindestens einen Meter Abstand zur Mauer halten müssen. „Ich kannte die Regel einfach nicht, wenn ich ehrlich bin“, bekannte Weiser nach dem Spiel.
Mitten in die Bremer Aufregung starteten die Hamburger kurz vor dem Pausenpfiff ihren zweiten Angriff über die rechte Seite: Bakery Jatta flankte Moritz Heyer köpfte zum 2:0 ein.
„Wir wollen den Derbysieg“, schallte es zu Beginn der zweiten Halbzeit aus dem HSV-Block, die gleich wieder spektakulär begann, weil Sebastian Schonlau vor dem Strafraum Marvin Duksch auflaufen ließ. Damit ging auch der HSV-Kapitän nach 51 Minuten von Bord, weil er schon in Halbzeit eins verwarnt worden war.
Mit der Gleichzahl der Akteure entwickelte sich in der letzten halben Stunde ein Spiel auf Augenhöhe, die Bremer aber vergaben ihre Chancen teilweise fahrlässig. „Wir hätten heute noch 20 Minuten weiterspielen können und hätten den Ball nicht reinbekommen“, sagte der frustrierte Bremer Duksch. Hamburg hatte an diesem Abend den effektiveren Fußball gespielt und ein Kollektiv auf dem Platz, das gewillt war, zu siegen – im Gegensatz zum verlorenen Derby am Millerntor.
„Oh, wie ist das schön, so was hat man lange nicht gesehen“, sangen die seligen Hamburger Fans am Ende. Aus Hamburger Sicht konnte niemand widersprechen.