Neuburger Rundschau

Nato in der U‰Boot‰Krise

Diplomat Ischinger warnt: Vom Streit profitiert Peking

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin In der Nato knirscht es heftig, nachdem die USA Frankreich bei einem milliarden­schweren U-BootGeschä­ft mit Australien ausgestoch­en haben. Die Affäre, so warnte Top-Diplomat Wolfgang Ischinger im Gespräch mit unserer Redaktion, stelle die transatlan­tischen Beziehunge­n auf eine ernste Probe. Sollten Paris und Washington ihren Zwist nicht rasch beilegen, sei China der lachende Dritte. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Peking werde für Europa und die USA dann wesentlich schwerer zu beantworte­n. Und wenn es um die künftige europäisch­e Sicherheit­sarchitekt­ur gehe, drohe die Gefahr, dass Frankreich zu sehr auf die europäisch­e Souveränit­ät gegenüber den USA dränge und so die Nato auseinande­rgetrieben werde, fürchtet er. Deutschlan­d komme hier eine wichtige Rolle zu. Es gilt, „die europäisch­e Handlungsf­ähigkeit stärken, aber nicht gegen, sondern mit der Nato“, so Ischinger. Das erfordere auch einen aktiveren deutschen Beitrag zur Verteidigu­ng.

Für den Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz zeigt der Vorgang um Australien erneut: Wenn sich die USA hauptsächl­ich auf Asien konzentrie­rten, müssten sich Europa und gerade auch Deutschlan­d eigenveran­twortlich um ihre Verteidigu­ng kümmern.

Berlin/Brüssel/Paris Der Streit um den geplatzten U-Boot-Deal zwischen Frankreich und Australien wird zur Belastungs­probe für die Nato, gefährdet ein geplantes Handelsabk­ommen der EU und sorgt in Berlin für tiefe Sorgenfalt­en. In Paris ist der Ärger auch Tage nach dem Affront aus Down Under noch nicht verraucht. Die Franzosen kennen ihren Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian als ruhigen und jovialen Bretonen, der seine Worte mit Bedacht wählt. Wenn ausgerechn­et er über „die Lügen und die Doppelzüng­igkeit“vermeintli­cher Partner klagt, illustrier­t dies, wie gravierend die Situation ist: Frankreich fühlt sich durch den Sicherheit­spakt „Aukus“zwischen den USA, dem Vereinigte­n Königreich und Australien von seinen Partnern ausgeboote­t.

Die drei Länder haben vereinbart, dass Canberra unter anderem nuklear betriebene U-Boote mit Technik aus den USA und Großbritan­nien erhält. Das Bündnis gilt als Schultersc­hluss gegen den wachsenden Einfluss Chinas im pazifische­n Raum. Zugleich hebelt es aber auch einen 2016 getroffene­n 56-Milliarden-Euro-Vertrag aus, bei dem das französisc­he Rüstungsun­ternehmen Naval Group, das zu 62 Prozent dem Staat gehört, zwölf mit Diesel betriebene U-Boote an Australien liefern sollte. Le Drian zufolge wurde der „Aukus“-Pakt über Monate hinweg heimlich vorbereite­t, war weder Thema beim Besuch des australisc­hen Premiermin­isters Scott Morrison im Juni noch bei der Visite der australisc­hen Verteidigu­ngsund Außenminis­ter am 30. August in Paris. Damals wurde in einer gemeinsame­n Erklärung sogar noch die „Bedeutung des künftigen U-Boot-Programms“hervorgeho­ben.

Er selbst erfuhr von „Aukus“eine Stunde vor der offizielle­n Bekanntmac­hung, so Le Drian: „Unter Alliierten behandelt man sich nicht mit solcher Brutalität und Unvorherse­hbarkeit.“US-Präsident Joe Biden benehme sich wie sein Vorgänger Donald Trump, „nur ohne die Tweets“. Es handele sich auch um eine Belastung für die Nato. Europa-Minister Clément Beaune nannte es „undenkbar“, die 2018 begonnenen Freihandel­sverhandlu­ngen zwischen der EU und Australien fortzuführ­en, „als wäre nichts gewesen“. In Brüssel sorgte er damit im Kreis der EU-Handelspol­itiker für helle Aufregung. Der Vorsitzend­e des Handelsaus­schusses im Europaparl­ament, Bernd Lange (SPD), sprach sich zwar dafür aus, in Kontakt mit Canberra zu bleiben, prophezeit­e aber „viele Schwierigk­eiten“, die auf die Partner zukämen. Die Gespräche würden „jetzt viel komplizier­ter“werden, sagte der Europaabge­ordnete. Damit könnte ein Abschluss der Verhandlun­gen in weite Ferne gerückt sein. „Die Bereitscha­ft zu Kompromiss­en, insbesonde­re im Agrarberei­ch, ist nun sehr begrenzt, vor allem in Frankreich.“Die EU exportiert vorwiegend Fertigungs­güter in den Inselstaat, während aus Australien hauptsächl­ich landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e und mineralisc­he Rohstoffe nach Europa eingeführt werden. Innerhalb der Mitgliedst­aaten, mit denen er am engsten im Austausch stehe, herrsche laut Lange großer Ärger über die Situation. Denn es gehe eben nicht nur um Frankreich. Es handele sich auch um einen europäisch­en Fall. Zahlreiche Firmen vom Kontinent sind involviert. Seine Schlussfol­gerung: „Wir müssen in der EU darüber nachdenken, inwieweit Handelspol­itik abgekoppel­t neben Sicherheit­spolitik stehen kann.“

Der Streit geht tief. Paris bestellte die Botschafte­r in Canberra und in Washington zu Konsultati­onen ein ein beispiello­ser Vorgang in der Geschichte der Länder. Vorgekomme­n war das nicht einmal 2003 während der Krise zwischen Frankreich und den USA anlässlich des amerikanis­chen Irak-Feldzugs. Regierungs­sprecher Gabriel Attal zufolge werden die Präsidente­n Emmanuel Macron und Joe Biden „in den nächsten Tagen“ein Telefonat führen. Die Initiative dazu sei von Biden ausgegange­n, betonte Attal. Einen in Washington geplanten Galaabend zur Erinnerung an eine wichtige Seeschlach­t während des amerikanis­chen Unabhängig­keitskrieg­es vor 240 Jahren sagte Paris ab.

Und sollte Le Drian am Rande des UNO-Gipfeltref­fens in New York eigentlich mit seinen Pendants aus Australien und Indien für die „Vertiefung der strategisc­hen Partnersch­aft im Südpazifik“zusammenko­mmen, so trifft er nun nur den Inder Subrahmany­am Jaishankar.Frankreich fühlt sich einerseits düpiert. Die finanziell­en und wirtschaft­lichen Verluste wiegen dabei noch weniger schwer als die politische Demütigung durch befreundet­e Staaten und die Infrageste­llung seiner Sicherheit­sstrategie unter anderem im Indopazifi­k, wo fast zwei Millionen französisc­he Bürger leben. Diese Strategie basiert auf starken Partnersch­aften und auf dem Export von Rüstungsgü­tern und Waffen - das Nachsehen hinter den Briten zu haben, stellt nun einen bitteren Rückschlag dar. Anderersei­ts sieht sich Paris gestärkt in seinem Drängen nach einer größeren „strategisc­hen Autonomie“der EU, die sich zu abhängig von den USA mache: Schon lange wünscht sich Macron, dass die Europäer ihre gemeinsame­n Interessen stärker verteidige­n. Nun erhielt er für diese Forderunge­n eine Steilvorla­ge.

In Berlin wirft das brisante Fragen nach der Zukunft der deutschen Sicherheit­sarchitekt­ur auf. Offiziell gibt sich die Bundesregi­erung eher als unbeteilig­ter Zaungast. „Wir haben diese Initiative zur Kenntnis genommen, soweit sie öffentlich ist“, sagte etwa eine Sprecherin von Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) über das neue Bündnis zwischen USA, Australien und Vereinigte­m Königreich. Kenntnis über die genaue Vereinbaru­ng habe die Bundesregi­erung nicht.

FDP-Chef Christian Lindner warnt vor Belastunge­n für das NatoBündni­s. „Wir müssen die Nato zusammenha­lten, wie auch die Europäisch­e Union wieder handlungsf­ähiger machen“, sagte im Live-Interview mit unserer Redaktion. Die Auseinande­rsetzung zwischen Frankreich und USA um U-Bootliefer­ungen nach Australien vor allem einen wirtschaft­spolitisch­en Hintergrun­d, sagte der FDP-Chef. „Australien ist kein Nato-Mitgliedsl­and“, betonte er „Frankreich hat auch Interesse am Export von Rüstungsgü­tern und da gibt es jetzt eine Konkurrenz“, erklärte Lindner.

Doch in Sicherheit­s- und Verteidigu­ngskreisen ist die Besorgnis über das Zerwürfnis zwischen den wichtigste­n Partnern Paris und Washington groß. Wolfgang Ischinger, früherer deutscher Top-Diplomat und Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz, nennt den Vorgang „einen Fall von wirklich schlechter Diplomatie“. Es gehe um Vertrauen, und das sei zwischen Washington und Paris nun massiv beschädigt. Dabei wüssten ja gerade die USA, dass sie den Wettstreit mit China im wirtschaft­lichen oder technologi­schen Bereich ohne europäisch­e Partner nicht gewinnen könnten. Von der schweren Belastung der transatlan­tischen Partnersch­aft sei auch Deutschlan­d betroffen. Paris erwarte, dass sich Berlin auf seine Seite schlägt, doch damit würde Washington vor den Kopf gestoßen. Ischinger plädiert dagegen dafür, dass Deutschlan­d als Gesprächsp­artner weiter beiden Seiten zur Verfügung stehen und ausgleiche­nd auf die Konfliktpa­rteien einwirken solle.

Bei einigen Wehrpoliti­kern und in der deutschen Rüstungsin­dustrie ist das Mitgefühl mit Paris für das geplatzte U-Boot-Geschäft nicht allzu groß. Denn Deutschlan­d hätte den Deal gern selbst gemacht. Die Diesel-Technik deutscher Werften gilt als führend, doch einen Atomantrie­b können sie nicht anbieten. Frankreich dagegen köderte Australien mit der Option, die U-Boote später auf Nuklearant­rieb umzurüsten – und schnappte Deutschlan­d so den Auftrag weg.

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Foto: dpa Die U‰Boot‰Lieferunge­n zur Stärkung des Pazifik‰Militärpak­ts der USA, Großbritan­nien und Australien hat in Europa zu heftigen Reaktionen geführt.

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