Neuburger Rundschau

Die Kirche verweigert die Übernahme von Verantwort­ung

Barmherzig eigenen Vertretern gegenüber, kalt zu Betroffene­n. Der Umgang dieser „moralische­n Institutio­n“mit Missbrauch­sfällen ist ein Scheitern in Serie

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger‰allgemeine.de

Als kritischem Beobachter der katholisch­en Kirche, der über deren zahlreiche Skandale zu berichten hat, wird einem bisweilen entgegenge­halten: Man solle doch mal über das Positive schreiben und nicht ständig über Missbrauch. Die Antwort darauf kann nur lauten: Natürlich gibt es Gutes dank und in der Kirche – und über das wird auch berichtet. Engagierte Seelsorger, das karitative Engagement… Nicht alles ist schlecht. Aber zu vieles war und ist eben schlecht, vor allem die begangene massenhaft­e psychische, körperlich­e und sexualisie­rte Gewalt und ihr Umgang damit.

Der weltweite Missbrauch­sskandal der katholisch­en Kirche ist ein Jahrhunder­tskandal. Er überschatt­et alles und führt dazu, dass die Glaubwürdi­gkeit dieser „moralische­n Institutio­n“und das Vertrauen

in sie erodieren. Die deutschen Bischöfe – die am Montag in Fulda mit ihrer Herbst-Vollversam­mlung begonnen haben – können noch so sehr dem entgegenwi­rken wollen. Etwa, indem sie versuchen, andere Themen zu setzen.

Solange der Missbrauch­sskandal nicht unabhängig aufgearbei­tet ist und spürbare Konsequenz­en erfahren hat, so lange wird diese Institutio­n weder Glaubwürdi­gkeit noch Vertrauen (zurück-)gewinnen. Ihre Zukunft entscheide­t sich am Umgang mit Missbrauch­sfällen. Und der ist, allen aufrichtig­en Bemühungen zum Trotz, ein fortgesetz­tes Scheitern. Er ist einer Kirche, für die Nächstenli­ebe zentral ist, unwürdig.

Beispielha­ft zeigte sich das vor wenigen Tagen an der Entscheidu­ng des Papstes, den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Amt zu belassen. Der hatte sich laut Rechtsguta­chten elf kirchenrec­htlicher Pflichtver­letzungen schuldig gemacht. Er ist Verdachtsf­ällen nicht nachgegang­en oder unterließ es, sie den Strafverfo­lgungsbehö­rden anzuzeigen. Für Franziskus – diesen absoluten Monarchen – kein ausreichen­der Grund, sein Rücktritts­gesuch anzunehmen und wenigstens ein kleines Signal mehr als bloß symbolisch­er Verantwort­ungsüberna­hme zu senden. Eines, das es Betroffene­n erleichter­n würde, eine Art von Frieden zu finden.

Um Betroffene und Gerechtigk­eit geht es allerdings kaum. Kleriker erfahren Barmherzig­keit, Betroffene können damit nicht rechnen. Sie erfahren Kälte und die Selbstgere­chtigkeit einer nach wie vor einflussre­ichen und sehr weltlichen Institutio­n: Heße habe, so der Papst, seine „Fehler in Demut anerkannt“und nicht vertuschen wollen.

Tatsächlic­h zeigte Heße keine Demut (und tut es immer noch nicht). Erst auf öffentlich­en, journalist­ischen Druck hin und als es ihm nicht mehr anders möglich erschien, stellte er sein Amt zur Verfügung.

Das „Grundprobl­em“, hieß es in der Begründung weiter, sei „im größeren Kontext der Verwaltung“zu sehen. So stiehlt sich die Kirche als ihr eigener Ermittler, Ankläger, Verteidige­r und Richter aus der Verantwort­ung. Kein Wort an Betroffene, keine Spur von Nächstenli­ebe. Der Kontext war’s!

Eine Begründung, die den Weg weist für künftige Entscheidu­ngen über Rücktritte im Zusammenha­ng mit dem Missbrauch­sskandal. Sie werden, wie im Falle des Münchner Kardinals Marx, den mächtigen Ortsbischö­fen zum Schutz und Erhalt des Systems verwehrt. Seit über einem Jahrzehnt ist das klerikale Trauerspie­l, das von der Politik weitgehend beschwiege­n wird, hierzuland­e zu beobachten. Was, fragt man sich, muss eigentlich geschehen, bis das Weiter-so endet?

In Fulda wird auch der Kölner Kardinal Woelki predigen, Inbegriff kirchliche­r Demutssimu­lation. Es wäre keine Überraschu­ng, behielte auch er sein Erzbischof­samt. Doch selbst wenn er gehen müsste, ist es längst zu spät, um das „verantwort­lich“nennen zu können.

Es geht nach wie vor um den Schutz des Systems

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