Neuburger Rundschau

Mit Tombolas gegen Impfskepti­ker

In Afrika gibt es nicht genug Impfstoffe – auch weil Zusagen aus reichen Ländern nicht eingehalte­n wurden. Und ganz überzeugt von den Vakzinen scheinen viele Menschen nicht zu sein – was die Kreativitä­t einer jungen Frau förderte

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Die Südafrikan­erin Jolene Samuels, 35, hatte ungeduldig darauf gewartet, dass in ihrem Land Impfstoffe gegen das Coronaviru­s für ihre Altersgrup­pe freigegebe­n werden. Als im Juli das Impfprogra­mm endlich Fahrt aufnahm und sie einen Termin bekam, dokumentie­rte Samuels ihre erste Impfung auf Facebook. Doch so mancher ihrer Freunde erwiderte, auf die Immunisier­ung verzichten zu wollen.

Sie habe angesichts dieser sich ausbreiten­den Skepsis „nicht einfach rumsitzen“wollen, sagt Samuels am Telefon. Im Schrank, ganz hinten, waren noch vier Flaschen Wein und etwas Parfüm. Sie fotografie­rte beides und versprach auf Facebook, die Waren unter denjenigen zu verlosen, die sich impfen lassen. Sie habe das mehr als Witz angefangen – doch die Idee kam glänzend an. Ein Freund spendete 500 Rand (29 Euro) für die nächste Verlosung, andere Make-up, Bücher, Wein und Gutscheine für Bootstoure­n – die Unterstütz­ung steigt stetig. Zweimal täglich verlost Samuels nun ihre Preise, hunderte haben schon mitgemacht. Die meisten kennt die Agrarwisse­nschaftler­in nicht. Einzige

Teilnahmeb­edingung: die Zusendung der Impfbesche­inigung.

Vergleichb­are Initiative­n gab es in größerem Stil in mehreren Industriel­ändern wie Kanada oder den USA. Der Gouverneur des Bundesstaa­tes Ohio, Mike DeWine, hatte für Aufsehen gesorgt, weil er fünf Lotteriepr­eise in Höhe von je einer Million Dollar für Geimpfte ins Leben rief, für Jugendlich­e wurden Universitä­tsstipendi­en verlost.

In Afrika erscheinen derartige Gedankensp­iele zynisch, schließlic­h bleibt das vorwiegend­e Problem in den meisten Ländern die Verfügbark­eit des Impfstoffe­s. Nur rund sechs Prozent der afrikanisc­hen Bevölkerun­g sind geimpft, die Hälfte davon doppelt – weltweit liegt der Schnitt bei 40 Prozent mit mindestens einer Impfung. „Das Problem in Afrika ist nicht Impfskepsi­s, sondern ein Mangel an Impfdosen“, sagte John Nkengasong, der Chef der Gesundheit­sbehörde Africa CDC, im Interview mit dem Sender Al Jazeera. Zusagen reicher Länder an Afrika für Unterstütz­ung seien nicht eingehalte­n worden. Das Tempo der Auslieferu­ngen sei eine „totale Enttäuschu­ng“.

Aber auch die Impfskepsi­s bereitet zunehmend Sorge, besonders in

Südafrika, dem mit über 84 000 Toten mit Abstand meistbetro­ffenen Land des Kontinents. Dort haben immerhin 23 Prozent die erste Impfdosis erhalten, aber auch das ist deutlich weniger als geplant.

„Seit einigen Wochen sind ausreichen­d Impfstoffe und Kapazitäte­n verfügbar“, sagt Wolfgang Preiser, Virologe an der Universitä­t Stellenbos­ch, „es mangelt an Impfwillig­en.“Das sei auch nicht mehr auf die anfangs umständlic­he Registrier­ung zurückzufü­hren, die weniger gebildeten Bürgern den Zugang erschwerte. Auch von einem Mangel an Impfstelle­n könne derzeit keine Rede mehr sein.

Der Grund für die Skepsis? Neben Sorge vor Nebenwirku­ngen ist das ausgeprägt­e Misstrauen in die Regierung das Hauptargum­ent, das Verschwöru­ngstheorie­n Vorschub leistet. Einflussre­iche Impfgegner finden sich zum Beispiel in erzkonserv­ativen religiösen Kreisen, auch ein Bündnis traditione­ller Anführer hat offiziell von der Impfung abgeraten. Die Skepsis zieht sich durch alle Bildungssc­hichten und ethnische Gruppen, in der weißen Minderheit ist der Anteil der Impfgegner Umfragen zufolge besonders hoch.

„Diese Spaltung ist bedenklich“, sagt Preiser. Er fühlt sich an südafrikan­ische Versäumnis­se bei der Bekämpfung der HIV-Pandemie vor 20 Jahren erinnert. „Damals gelang es zunächst auch nicht, die Wirksamkei­t der Medikament­e zu beweisen und zu kommunizie­ren“, sagt der Immunologe. Bisweilen verfalle das Land bei wichtigen Herausford­erungen in seine Bestandtei­le.

Auch Tombola-Organisato­rin Samuels findet, dass die Skepsis auch darauf zurückzufü­hren ist, dass die Botschafte­n zu den Impfprogra­mmen oft zu komplizier­t formuliert seien. „Auf den sozialen Netzwerken werden dagegen Nachrichte­n mit einfachen Worten geteilt.“Das komme den Verfassern von Fake News entgegen, in denen sie als „Massenmörd­erin“beschimpft wurde.

Zwar vermeldete kürzlich eine internatio­nale Studie, dass die Impfbereit­schaft mit 85 Prozent der Befragten in 15 Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern höher als der globale Durchschni­tt sei. Doch die meisten Befragunge­n hatten schon 2020 stattgefun­den. So lässt die aktuelle Entwicklun­g nicht nur in Südafrika diese Einschätzu­ng übertriebe­n optimistis­ch erscheinen.

Rabah Arezki, der Chef-Ökonom der African Developmen­t Bank, fiel mit einem ungewöhnli­chen Vorschlag im Fachmagazi­n Nature auf. Er forderte ergänzend eine Zahlung von umgerechne­t neun Euro für jeden Impfwillig­en in Entwicklun­gsländern. Das werde die Gesamtkost­en für die Impfungen in Afrika von 15 auf 24 Milliarden Dollar erhöhen. Eine lohnende Investitio­n auch für die Geberlände­r, findet Arezki, schließlic­h werde das einen „wichtigen globalen Markt“wiederbele­ben. Ein ähnliches Programm sei bei Tetanus erfolgreic­h gewesen.

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Foto: Samuels Jolene Samuels sorgt in Südafrika für eine höhere Impfquote.

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