„Auf den Verbraucher kommt es nicht an“
Thomas Dosch war zwölf Jahre lang Präsident von Bioland. Heute arbeitet er für Tönnies, den größten Schweineschlachter Deutschlands. Warum er den Seitenwechsel nicht bereut – und was er von der Politik verlangt
Herr Dosch, die Paulus-Saulus-Frage muss gleich sein. Wieso geht ein grüner Biolandwirt in die Fleischindustrie? Thomas Dosch: Seit fast 30 Jahren mache ich mehr oder weniger das Gleiche – aber in unterschiedlichen Rollen. Da zähle ich die Zeit bei Tönnies genauso dazu. Für mich hat sich in keinster Weise inhaltlich etwas verändert. Es geht immer noch um die Frage: Wie bekommt man die Agrarwende, die Transformation der Landwirtschaft, rund.
Hätten Sie sich als Bioland-Chef vorstellen können, mal bei Tönnies zu sitzen und für den Konzern als Lobbyist zu arbeiten?
Dosch: Nein, ich hätte mir das im vergangenen Jahr im August noch nicht vorstellen können. Ich habe im Hintergrund an einem Papier der Grünen über die Zukunft der Fleischbranche mitgearbeitet. Das Papier war mir im Entwurf zu plakativ formuliert. Dann habe ich Kontakt aufgenommen zu einem Mitarbeiter von Tönnies, der dem Hören nach einen sehr guten Ruf bei den Bäuerinnen und Bauern genießt. Er hat mich sofort eingeladen, ich bin hingefahren – und dann kam Clemens Tönnies dazu. Er hat sich jeder Kritik gestellt.
Und Sie kamen zurück mit einem Arbeitsvertrag.
Dosch: Nein. Ich habe jemanden kennengelernt, der meinem Bild ganz und gar nicht entsprach. Eher ein Mensch, den ich als sehr offen, man könnte auch sagen, verunsichert wahrgenommen habe. Als jemand, der sich selbst viele Fragen stellte. Wir hatten weiteren Kontakt und irgendwann tauchte die Frage auf, ob ich Veränderungsprozesse in einer Beratungsfunktion begleiten würde. Dazu hatte ich keine Lust: Wissen abgeben, Geld bekommen und nicht wissen, was passiert? Und so blieb die Frage ganz oder gar nicht.
Zum Entsetzen Ihrer BiolandwirtKollegen und der Grünen?
Dosch: Ich habe mich lange ausgetauscht mit meinen grünen Netzwerken. Die Agrarierinnen und Agrarier haben alle gesagt: Ohne Tönnies und Ähnliche geht es nicht. Mach es.
Und Sie haben es nach einem Jahr noch nicht bereut?
Dosch: Ich war lange Abteilungsleiter und stellvertretender Staatssekretär unter einem tollen Minister der Grünen in Niedersachsen. Im Ministerium waren die Zäune viel, viel enger gesteckt. Heute mache ich zu 99 Prozent wieder das, was ich zu meinen Bioland-Zeiten im Verband gemacht habe. Da ging es auch um die Frage, wie können wir Ziele, auf die wir uns gemeinsam verständigt haben, erreichen. Ideologische Barrieren und Positionsgrenzen verlaufen nicht mehr zwischen Parteien.
Die Funktion als Bioland-Präsident hat Türen geöffnet, um mitzudiskutieren. Heute ist interessant, wie es Türen öffnet, wenn man von Tönnies kommt.
Werden auch Türen zugeschlagen? Dosch: In Umweltverbands- und Tierschutzkreisen erlebe ich eher, dass ich gefragt werde, wie ich dazu komme und was ich mir davon erwarte – dann ist man im Gespräch.
Wie oft essen Sie Fleisch?
Dosch: Ich koche sehr gerne. Zu Hause kommt für mich nur Biofleisch infrage und ich kenne die Betriebe, von denen ich Fleisch bekomme. Und ich bin auch Jäger. Das heißt, die Gefriertruhe ist voll mit dem, was es in Feld und Flur gibt.
Das heißt, eine vegane Lebensweise oder auch nur vegane Phase wäre für Sie ein echter Verzicht?
Dosch: So mit Anfang 20 habe ich drei Jahre lang kein Fleisch gegessen. Meine Tochter und meine Frau kann ich nicht zwingend mit Fleisch beglücken. Wenn ich am Wochenende koche, dann gibt es bei uns eher selten Fleisch.
Dass wir alle vegan leben – vorstellbar? Dosch: Jeder Mensch soll nach seiner persönlichen Façon glücklich werden. Wenn jemand kein Fleisch essen möchte – zum Beispiel aus religiösen Gründen –, dann ist das zu respektieren. Punkt, aus, basta. Wenn es umgekehrt mit einem politischen Anspruch verbunden ist, dem andere gerecht werden sollen, dann gehe ich in die Diskussion, dann streite ich. Wenn beim Thema Klimawandel die Verkettung von Nutztieren und deren Haltung mit Umweltschädigung pauschal in den Raum gestellt wird, fühle ich mich herausgefordert.
Dann ist Ihre Mission …
Dosch: Ich komme vom Lande, ich habe großen Respekt vor bäuerlichen Familien. Was da über mehrere Generationen passiert, ist unschätzbar. Das Wissen, das Können, das darin steckt, der Umgang mit dem Boden – das ist für mich Agrarkultur. Es ist schlimm, wie viel da verloren geht, weil Betriebe aufhören. Wenn wir jetzt eine Veränderung wollen, spielt nicht der konventionelle Landbau gegen den ökologischen und umgekehrt. In meiner Vorstellung ist der gute konventionelle Betrieb der, der morgen ökologisch wirtschaften darf und gut davon leben kann. Und ich bin froh, dass ein Clemens Tönnies als Metzger nicht sagt: Bauernhöfe egal, ich mach jetzt vegan. Technisch wäre das möglich, statt Fleischwurst vegane Produkte zu schneiden. Es sind etwa 11000 Betriebe davon abhängig, dass sie an Tönnies ihr Tiere liefern. Wenn Tönnies es sich theoretisch von heute auf morgen anderes überlegt, passiert das, was wir coronabedingt erlebt haben.
Den Schweinestau?
Dosch: Die Ställe quollen über, die Bauern standen kurz vor der Pleite.
Das kann man auch forcieren, wenn man sagt, wir haben zu viel Tierhaltung. Die These wäre zu diskutieren. Aber das geht nur, wenn man diesen Familien auch Einkommensalternativen bietet. Hohenlohe war mal das Land der Schweine und Ferkel für ganz Deutschland. Heute gibt es dort zwölf Weltmarktführer, die Arbeitsplätze bieten, und kaum einer hängt von der Landwirtschaft mehr ab. Einerseits ein Verlust an Agrarwissen, andererseits keine existenzielle Katastrophe.
Es braucht Tönnies? Agrarwende geht nur mit Großkonzern?
Dosch: Heute ja. Wenn wir Unternehmen wie Bayer, BASF oder Tönnies schleifen, ist nichts gewonnen. Die Transformation muss aus den Unternehmen kommen. Der Forschungsetat von Bayer kommt gleich hinter dem von China. Was da an Potenzial steckt, könnte die öffentliche Hand gar nicht übernehmen.
Nachhaltige Tierhaltung braucht was? Dosch: Erstens, die Bauern müssen wollen. Das tun sie. Zweitens, die Schlachtunternehmen müssen mitmachen, das tun wir. Wir brauchen drittens den Lebensmitteleinzelhandel, der sagt, ich habe Beschimpfungen satt, ich mache mit. Und es braucht viertens die Politik. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die diesen Umbau ermöglichen. Ganz konkret: Wenn heute ein Betrieb einen Stall für mehr Tiergerechtigkeit umbauen will, kann er es nicht. Das Baurecht hat so hohe Hürden, dass er bis 50000 Euro ausgibt, ohne überhaupt einen Stein in die Hand genommen zu haben.
Haben Sie den Verbraucher vergessen? Dosch: Nein, auf den kommt es nicht an.
Weil?
Dosch: Weil der Verbraucher das kauft, was es im Regal gibt und wovon er annehmen kann, dass es in Ordnung ist. Wir können nicht verlangen, dass er schaut, ob da etwas nicht akzeptabel produziert ist. Es ist Aufgabe der Politik, durch Ordnungsrecht, Förderung und Kennzeichnung zu steuern. Und sie muss schlichtweg verbieten, was nicht geht. Beispiel Hühnerhaltung in Käfigen. Ich habe noch keinen Verbraucher gehört, der heute nach Käfigeiern ruft.
Und der Preis?
Dosch: Was teuer und billig betrifft: Wenn Tönnies Schweine zum Schlachten kauft, zahlt Tönnies den Bauern den gleichen Preis wie jeder andere Metzger auch. Bei der Tierwohlstufe mehr, bei Bio noch mehr, bei dem normalen gesetzlichen Standard im Moment viel zu wenig. So ist der Markt. Das trotzdem Tönnies Systemlieferant von Discountern ist, liegt daran, dass die Schlachtung in einem so hohen Maße effizient ist, dass sie kaum etwas kostet. Das macht das Fleisch günstiger.
Auf Kosten der Mitarbeiter.
Dosch: In Zeiten, als das per Gesetz möglich war, ja. Aber einer meiner ersten Aufgaben bei Tönnies war, mich in Berlin mit für die Abschaffung der Werkverträge einzusetzen. In der Fleischindustrie ist das heute umgesetzt. Die Menschen haben heute Festanstellungen. Das war höchste Zeit und ist jetzt kein Wettbewerbsnachteil mehr, weil Gesetze es für alle gleich regeln. Und Tönnies hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus privaten, schlechten Wohnverhältnissen und bei Subunternehmern rausgeholt und circa 4000 eigene Wohnplätze geschaffen. Öffentliches Bewusstsein hat hier viel in Bewegung gebracht.
Der größte Fehler der Fleischindustrie und was Sie gerne von heute auf morgen geändert haben wollten?
Dosch: Das ist die in Teilen der Industrie noch immer vertretene Haltung, alles besser zu wissen – Betonung auf „alles“– und sich Problemen nicht stellen zu müssen. Sozialverbände, Umweltverbände und Tierschutzverbände haben berechtigte Anliegen. Man muss miteinander reden.
Thomas Dosch, Grünen Mitglied, war zwölf Jahre BiolandChef. Heute ver antwortet er bei Tönnies Nachhaltigkeitsthemen.