Neuburger Rundschau

Einmal so geliebt werden

Deutsche Spieler und Trainer stehen in der Türkei hoch im Kurs. Nun soll Stefan Kuntz die Nationalma­nnschaft zur WM führen. Möglicherw­eise wird er bald verehrt – einigen Vorgängern erging es aber weniger gut

- VON TILMANN MEHL

Es hätte ja nicht einmal Liebe sein müssen, aber ein bisschen mehr Respekt hätte Stefan Kuntz dann schon erwartet. Der Deutsche Fußball-Bund nahm die Erfolge der von Kuntz trainierte­n U21 zwar immer wohlwollen­d zur Kenntnis, der Übungsleit­er aber blieb der Verbandssp­itze immer seltsam fremd. Da wird seit Jahren über den mangelende­n befähigten Nachwuchs für die Nationalma­nnschaft diskutiert und er führt diese Truppe durchschni­ttlicher Fußballer drei Mal in Folge in ein EM Finale und gewinnt sogar noch zwei davon.

Als es darum ging, einen Nachfolger für Joachim Löw als obersten Fußballtra­iner der Nation zu finden, stellte ihm der für die Akquise zuständige Oliver Bierhoff zwar ein Gespräch in Aussicht, ließ aber keinerlei Zweifel, dass er mit Hansi Flick schon eine Wunschlösu­ng an der Hand hat.

Kuntz verlässt nun diese VernunftEh­e, um ein Trainerleb­en in wilder Leidenscha­ft zu führen. Nichts anderes erwartet ihn als Trainer der türkischen Nationalma­nnschaft. Am Montag unterschri­eb er einen bis 2024 gültigen Vertrag. Er soll eine Ansammlung hoch eingeschät­zter, zuletzt aber immer wieder enttäusche­nder Spieler erst mal noch zur WM nach Katar führen und dann in der erweiterte­n europäisch­en Spitze etablieren. Dort nämlich gehören die Türken hin – zumindest wenn man ihrer Selbsteins­chätzung glaubt. Dass sie für dieses Unterfange­n einen deutschen Trainer verpflicht­en, überrascht nicht. Immer wieder versuchten sie in der Vergangenh­eit, die als janusköpfi­g verschriee­nen Ballartist­en mithilfe deutscher Stabilität­stugenden zu bändigen. Viele Vorurteile, sicherlich, aber was bitte wäre der Fußball ohne brasiliani­sche Ballartist­en, mauernde Italiener oder Elfmeter verschieße­nde Briten?

Anders ist auch kaum zu erklären, wie beispielsw­eise Werner Lorant zur fragwürdig­en Ehre gelangte, gleich drei türkische Klubs zu trainieren. Bei keinem blieb er länger als ein Jahr. Der gute Ruf deutscher Trainer basiert zu einem großen Teil auf dem guten Ruf deutscher Spieler in der Türkei. Toni Schumacher wurde bereits bei seiner Ankunft 1988 von den Fenerbahce­Fans auf Händen getragen. Als Kapitän führte er den Klub anschließe­nd zur Meistersch­aft.

Gleiches gelang Christoph Daum als Trainer Fenerbahce­s. Zuvor aber war es Lokalrival­e Besiktas, der ihn nach dem Kokain-Skandal als erstes

Team beschäftig­te. Weniger erfolgreic­h verliefen allerdings die beiden Engagement­s Joachim Löws in der Türkei. Das allerdings sollte seiner Karriere keinen Abbruch tun. Er ging den entgegenge­setzten Weg von Stefan Kuntz, kehrte den leidenscha­ftlichen türkischen Fans den

Rücken und wurde später kurzzeitig doch tatsächlic­h von den deutschen Anhängern geliebt. Was so ein WMPokal doch alles auslösen kann. Das Gute für Kuntz: In der Türkei wird kein WM-Titel erwartet. Die schlechte Nachricht: Recht viel weniger allerdings auch nicht.

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Fotos: Witters Toni Schumacher (oben) wurde von den Fans ebenso auf den Schultern getragen wie Christoph Daum. Die türkischen Fans machen aus ihrer Zuneigung kein Geheimnis. Wer‰ ner Lorant (links) und Joachim Löw (mit Co‰Trainer Frank Wormuth) fanden ihr Glück aber nicht in der Türkei.
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Stefan Kuntz

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