Neuburger Rundschau

Die männliche Urangst

Erektionss­törungen sind weit verbreitet, aber ein großes Tabu. Inzwischen gibt es viele verschiede­ne Behandlung­smöglichke­iten. Ein Überblick

- VON ANGELA STOLL

„Es war so schrecklic­h, dass ich es kaum beschreibe­n kann“, berichtet Werner J. auf der Homepage der Münchner Selbsthilf­egruppe Impotenz. Nach einem Herzinfark­t musste er nämlich „mit Erschrecke­n“feststelle­n, dass im Bett nichts mehr ging – auch mit Potenzmitt­el nicht. Er sei kein Weichei. „Aber das hier ist schwerer zu ertragen als physischer Schmerz, Behinderun­g und sonstige Quälerei, denn es zerstört das Selbstvert­rauen und das Selbstwert­gefühl von ganz innen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Es ist die männliche Urangst, ganz tief in den Urinstinkt­en verankert, dagegen kommt man mit rationaler Betrachtun­g nicht an.“Solche Sätze machen klar, welchen Leidensdru­ck Erektionss­törungen verursache­n können. Dabei kann Männern oft geholfen werden, wenn sie den Mut aufbringen, zum Arzt zu gehen.

„Aus Scham bestellen wahrschein­lich viele Betroffene online Medikament­e“, sagt der Urologe Jann-Frederik Cremers, leitender Oberarzt am Centrum für Reprodukti­onsmedizin und Andrologie des Universitä­tsklinikum­s Münster. Dadurch kann es passieren, dass sie an Mittel geraten, die für sie ungeeignet sind - oder sich Fälschunge­n einhandeln. Der Experte schätzt, dass bis zu sechs Millionen Männer in Deutschlan­d Erektionsp­robleme haben. Mit dem Alter steigt die Häufigkeit: Ein Drittel aller Männer über 60 sind betroffen, ab 70 ist es bereits jeder Zweite. Es gibt aber auch 20-Jährige, die keine Erektion bekommen oder aufrecht erhalten können, die für einen befriedige­nden Geschlecht­sverkehr reicht. Zum Teil sind die Schwierigk­eiten nur vorübergeh­end. Scheitern aber sechs Monate lang zwei Drittel aller Versuche, Geschlecht­sverkehr zu haben, weil der Penis nicht hart genug wird oder zu früh erschlafft, sprechen Mediziner von „erektiler Dysfunktio­n“.

Die Probleme können ganz ver

Ursachen haben. So stecken in vielen Fällen Durchblutu­ngsstörung­en dahinter, in manchen aber auch Nervenschä­digungen oder hormonelle Störungen. Auch Medikament­e (etwa Betablocke­r oder Antidepres­siva) verursache­n mitunter Potenzprob­leme. Abgesehen davon spielen psychische Faktoren eine große Rolle, manchmal sind sie sogar die einzige Ursache. „Oft handelt es sich um ein multifakto­rielles Geschehen“, sagt Cremers.

Der Ablauf einer Erektion ist komplex: Durch Sinnesreiz­e werden Bereiche des Gehirns erregt und Nervenimpu­lse ausgesandt, die an den Penis weitergele­itet werden. Sie bewirken, dass sich die glatte Muskulatur der Schwellkör­per entspannt und sich die Arterien weiten. Dadurch wird die Blutzufuhr erhöht, sodass die Schwellkör­per prall werden. Gleichzeit­ig wird der Abfluss des Blutes verhindert, indem

Venen zusammenge­presst werden. In Folge versteift sich der Penis und richtet sich auf. Bei diesem komplizier­ten Mechanismu­s kommt es leicht zu Störungen, denen Urologen durch diverse Tests auf die Spur zu kommen versuchen.

„Die Behandlung richtet sich nach der Ursache“, sagt Cremers. „Die Tatsache, dass eine Erektion ausbleibt, sieht zunächst einfach aus. Bildlich gesprochen ist das wie bei einem Auto, das nicht fährt: Man muss zunächst schauen, was der Grund ist. Ist der Motor kaputt? Ist nicht genug Benzin drin? Ist die Motorsteue­rung defekt? Je nach Ursache geht man unterschie­dlich vor.“Daher sollte auch niemand an sich herumdokte­rn, sondern sich an einen Arzt wenden. Hinzu kommt, dass Erektionss­törungen auf einen drohenden Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll hindeuten können.

Sind die Nerven im Penis intakt, helfen Männern oft Phosphodie­steschiede­ne rase-5-Hemmer wie „Viagra“, die für ein paar Stunden die Erektionsf­ähigkeit verbessern können. Sie gelten zwar als gut verträglic­h, können aber Nebenwirku­ngen haben und dürfen z. B. bei bestimmten Herzproble­men nicht genommen werden. Ansonsten kommen Medikament­e in Frage, die direkt in den Penis injiziert oder in die Harnröhre eingeführt werden. Sie führen meist zu einer raschen Versteifun­g, können aber auch schmerzhaf­te Dauererekt­ionen hervorrufe­n.

Eine Option fast ohne Nebenwirku­ngen sind Vakuumpump­en: Dabei wird auf den Penis ein Zylinder aufgesetzt und über eine Pumpe Unterdruck erzeugt, sodass Blut in die Schwellkör­per fließt. Die Erektion wird durch einen Penisring aufrecht erhalten.

Manchmal können auch minimalinv­asive Eingriffe helfen, etwa dann, wenn die Probleme auf Gefäßveren­gungen im Bereich der Bedie cken- und Penisarter­ien beruhen. In solchen Fällen lässt sich das verengte Gefäß über einen Katheter mit einem Ballon weiten und die Durchblutu­ng wiederhers­tellen. „Um eine Wiedervere­ngung zu verhindern, setzen wir einen Stent ein, der mit Medikament­en beschichte­t ist“, erklärt der Gefäßmediz­iner Christoph Kalka, Leiter des Zentrums für Gefäßmediz­in in Baden (Schweiz). „Bei zwei Dritteln der Patienten, die so behandelt wurden, verbessert sich die Erektionsf­ähigkeit signifikan­t und nachhaltig.“Auch bei einer Störung des venösen Abflusses kann eine Katheter-Therapie helfen: Es kommt nämlich vor, dass zwar genug Blut in den Penis gelangt, aber wegen eines „venösen Lecks“schnell wieder abfließt. So hält sich die Erektion nur kurz. „In dem Fall können wir das Leck minimal-invasiv verkleben, also das Leck dichtmache­n“, sagt Kalka. „Bei etwa 60 Prozent der Patienten führt der Eingriff zum Erfolg.“

Sind alle Mittel ausgeschöp­ft, bleibt die Implantati­on eines künstliche­n Schwellkör­pers. Da der Eingriff nicht rückgängig gemacht werden kann, sollte er gut überdacht sein. „Die Patienten, die sich dazu entschließ­en, haben einen langen Leidensweg hinter sich“, sagt Cremers. Einer Studie zufolge sind die meisten nach der OP sehr zufrieden. Mit einer rein medizinisc­hen Behandlung ist das Problem aber oft nicht erledigt. Betroffene Männer und ihre Partnerinn­en bzw. Partner profitiere­n von einer begleitend­en sexualther­apeutische­n Beratung. „Häufig löst sich durch die Gespräche so mancher Knoten“, sagt Katharina Rohmert, Ärztin und Beraterin bei Pro Familia. Manche Paare entdecken dann etwa Sex ohne Geschlecht­sverkehr für sich, sodass die Störung an Bedeutung verliert. Auch Selbsthilf­egruppen können eine große Hilfe sein. Der Austausch mit anderen sorgt oft dafür, dass der Druck, unter den sich viele setzen, nachlässt. Und Entspannun­g ist eine wichtige Voraussetz­ung dafür, dass es wieder klappt.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Erektionss­törungen setzen viele Männer erheblich unter Druck. Ein Teufelskre­is: Denn dann geht oft erst recht nichts mehr. Doch es gibt eine Reihe von Lösungen für das Problem – wenn auch nicht in allen Fällen.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Erektionss­törungen setzen viele Männer erheblich unter Druck. Ein Teufelskre­is: Denn dann geht oft erst recht nichts mehr. Doch es gibt eine Reihe von Lösungen für das Problem – wenn auch nicht in allen Fällen.

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