Neuburger Rundschau

„Ich bin gegen einen indirekten Impfzwang“

Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner erklärt, warum die Immunisier­ung ein Akt der Selbstbest­immung sein sollte. Der Union wirft er eine „opportunis­tische Öffnung“nach links vor

- Interview: Gregor Peter Schmitz Protokoll: Simon Kaminski

Herr Lindner, am Sonntagabe­nd war das letzte Fernseh-Triell. Hand aufs Herz, Sie liegen in Umfragen nur noch knapp hinter den Grünen. Wären Sie gerne dabei gewesen?

Christian Lindner: Ja, ich hätte mich gerne in die Debatte eingeschal­tet, wenn das möglich gewesen wäre, ohne den Anspruch auf das Kanzleramt zu erheben. Ich hätte gefragt, wie zum Beispiel der Wohlstand erwirtscha­ftet werden soll, der von den Kandidaten so freigiebig verteilt worden ist. Es wird sehr großzügig umgegangen mit Milliarden. Aber wo bleibt die Frage, wie wir eigentlich den Aufschwung in Deutschlan­d erreichen wollen? Diese Debatte wird ausgeblend­et.

Die Punkte, die Sie ansprechen, haben sich ja auch durch Ihren Parteitag gezogen. Und da haben Sie unter anderem auch vor einem Linksruck in Deutschlan­d gewarnt, den Sie verhindern wollen.

Lindner: Die CDU hat sich in den vergangene­n Jahren bei nahezu jeder Gelegenhei­t, vielleicht sogar ein wenig opportunis­tisch, nach links geöffnet und an den Grünen orientiert – jetzt ist die Union geschwächt. Ohne eine starke FDP würde ich deshalb tatsächlic­h der CDU, CSU und Armin Laschet nicht zutrauen, die Anliegen der Grünen auf das Sinnvolle zu begrenzen.

Wobei Sie bei dem Linksruck ja auch immer explizit die SPD mit meinen. Ist Olaf Scholz tatsächlic­h die Beruhigung­spille für die Öffentlich­keit, während im Hintergrun­d Saskia Esken und Kevin Kühnert warten? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Olaf Scholz eine äußerst starke Position in der Partei hätte, wenn er die SPD wieder ins Kanzleramt zurückführ­en sollte? Lindner: Na ja, die SPD wäre allerdings nicht so stark wie die SPD von Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder, sondern nach der jüngsten Umfrage eine Partei mit 25 oder 26 Prozent. Das bedeutet, dass 75 oder 74 Prozent der Deutschen diese Partei nicht gewählt hätten. Und bei Herrn Scholz selbst bin ich mir nicht sicher, wie sein eigener politische­r Standort ist. Er hat ja 2015 vor einer Wahl in Hamburg die Möglichkei­t gehabt, eine soziallibe­rale Koalition zu bilden. Oder Rot-Grün. Und er hat noch vor dem Wahltag sogar Gespräche mit der FDP ausgeschlo­ssen, weil er sich einseitig nach links zu den Grünen orientiere­n wollte.

Olaf Scholz hatte einen eher unangenehm­en Termin bei einer Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses. Wie beurteilen Sie denn seine Rolle, wenn es um Ermittlung­en wegen Geldwäsche oder um die Cum-Ex-Geschäfte geht? Lindner: Man muss sicher die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en abwarten. Aber bei den Stichworte­n, die Sie genannt haben, geht es um das Amtsverstä­ndnis von Olaf Scholz. Und ich will bei allem gebotenen Respekt sagen, dass die Amtsführun­g von Herrn Scholz als Bundesfina­nzminister mich nicht restlos davon überzeugt, dass das eine Referenz ist für das Bundeskanz­leramt. Herr Scholz war bereits vor der Pandemie nicht in der Lage, den Bundeshaus­halt nachhaltig aufzustell­en.

Wäre ja ein interessan­tes Betätigung­sfeld gerade für Sie. Gilt nach wie vor, dass Sie, wenn Sie in eine Regierung eintreten, Bundesfina­nzminister werden möchten?

Lindner: Unser Angebot wäre, die schwierige Aufgabe im Finanzmini­sterium zu schultern. Da geht es ja wirklich darum, wieder unsere öffentlich­en Finanzen nachhaltig zu gestalten. Das ist nicht nur ein Gebot der Ökologie, sondern auch der Ökonomie. Und da könnte die FDP gute Beiträge leisten, um insgesamt mit dem Geld der Menschen gut umzugehen. Das wäre eine Aufgabe, die mich auch persönlich interessie­rt.

Ihr Programm beim Thema Steuern würde erhebliche Lücken in den Haushalt reißen. Und bislang ist noch relativ offen, wie Sie das genau gegenfinan­zieren würden. Wäre ein Punkt möglicherw­eise, die Erbschafts­teuer zu erhöhen?

Lindner: Nun ja, da geht es ja nicht zuletzt um mittelstän­dische Familienbe­triebe. Und diesen Mittelstan­d sollten wir nicht schwächen, sondern dabei helfen, dass die Unternehme­n von Generation zu Generation erhalten bleiben. Deshalb sehe ich keinen Anlass, bei der Erbschafts­teuer etwas zu tun. Wir sollten Steuererhö­hungen generell ausschließ­en.

Bei Thema Klimapolit­ik frage ich mich, wie das zusammenpa­ssen soll, falls nach der Wahl tatsächlic­h eine Koalition Ihrer Partei mit den Grünen diskutiert werden sollte?

Lindner: Ich nehme jetzt Koalitions­gespräche nicht vorweg, will aber die Position der FDP noch mal erläutern. Wir sind für ambitionie­rte Klimaziele und wir sind dafür, dass Deutschlan­d ein Modell-Standort wird für eine Dekarbonis­ierung. Nur unser Weg dahin ist nicht, das durch den Verzicht etwa auf Wachstum und Wohlstand zu erreichen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Nation von Ingenieure­n und Technikern andere Wege finden wird. Die Aufgabe muss sein, von der heutigen, fossil geprägten Technologi­e in ein sauberes klimaneutr­ales Zeitalter zu gelangen.

Würden Sie eigentlich nach diesem Wahlkampf, der doch stark im Zeichen der Klima-Debatte stand, Ihren früheren Satz, dass man Strategien gegen die Erderwärmu­ng Experten überlassen sollte, noch mal wiederhole­n oder nicht?

Lindner: Absolut würde ich den wiederhole­n. Denn Journalist­en und Politiker sollten demokratis­che Ziele festlegen. Aber bei der Erreichung des Ziels sollten wir wirklich den Menschen vertrauen, die ingenieurw­issenschaf­tliche, naturwisse­nschaftlic­he Kenntnisse haben.

Reden wir über Corona. Ist es nicht ein Fehler, dass die Politik vor der Wahl davor zurückgesc­hreckt, die Tests kostenpfli­chtig zu machen?

Lindner: Meine Sorge ist, wenn die Tests kostenpfli­chtig werden im Herbst, dass viele auf den Test als Eintrittsk­arte zum Beispiel für Veranstalt­ungen oder die Gastronomi­e verzichten, sich im privaten Rahmen ohne Test treffen und wir dann dadurch steigende Fallzahlen haben. Und ich bin auch gegen den indirekten Impfzwang.

Italien hat zum Beispiel eingeführt, dass man geimpft sein muss, um an den Arbeitspla­tz zurückkehr­en zu können. Ist das ein Modell, das Sie sich auch für Deutschlan­d vorstellen können? Lindner: Nein, ich bin für das Impfen und ich halte es auch für richtig, das mit mobilen Teams zu erleichter­n. Aber ich bin dennoch gegen eine Impfpflich­t, auch gegen eine Impfpflich­t, indem man den Menschen, die nicht geimpft sind, den Alltag so schwer wie möglich macht. Das wäre eine mittelbare Impfpflich­t. Impfen muss eine Frage der Selbstbest­immung bleiben.

Dass sich Herr Söder für den besseren Kanzlerkan­didaten oder für den Kandidaten der Herzen hält, das wissen wir alle. Glauben Sie denn eigentlich, er wäre der effektiver­e Kandidat als Armin Laschet gewesen?

Lindner: Mit Markus Söder wäre es nur anders gewesen. Das grundlegen­de Problem ist, dass CDU und CSU sich sehr klar auf die Grünen hinorienti­eren. Damit haben sie eben auch ein Stück weit ihren eigenen Standort verloren. Wie war das bei der Frage Steuerentl­astung? Es steht im Wahlprogra­mm. Armin Laschet sagt Nein, eine Entlastung kann nicht kommen. Wir verzichten auf Steuererhö­hungen. Dann sagt er in einem Gespräch bei Kollegen von Ihnen in Frankfurt, dass er das nicht definitiv ausschließ­en möchte. Herr Söder sagt, dass man sich die Schuldenbr­emse noch mal genau ansehen müsse. Die CDU sagt Nein, die Schuldenbr­emse müssen wir erhalten, weil wir schon so hohe Schulden haben. Also wenn man in diesen Fragen so unklar ist und innerhalb von nur 14 Tagen sich widersprec­hende Botschafte­n sendet, dann fehlt gegenwärti­g vielleicht die innere Mitte.

Sie kennen Armin Laschet sehr gut. Sie haben mit ihm die Regierung auch in NRW ausgehande­lt. Sie äußern sich immer noch sehr freundlich über ihn. Was ist denn da schiefgela­ufen, dass mittlerwei­le doch eine ziemlich große Zahl der Deutschen ihn für eine Mischung aus Tölpel oder skrupellos­en Machtpolit­iker hält?

Lindner: Gewiss war der Entscheidu­ngsfindung­sprozess in den Unionspart­eien eine Hypothek für diese Kandidatur.

Das ist aber eine sehr kurze Antwort. Was ist denn in dieser Kampagne der Union noch schiefgela­ufen?

Lindner: Ich schätze Armin Laschet persönlich und wir arbeiten fair und partnersch­aftlich zusammen. Ich rate aber ab davon, CDU und CSU zu wählen, sondern ich rate dazu, die FDP zu wählen – das dürfte keine Überraschu­ng für Sie sein.

Wie wollen Sie inn Zukunft dafür sorgen, dass es bezahlbare­n Wohnraum für einkommens­schwache Menschen geben wird?

Lindner: Das ist auch eine wichtige Priorität. Was aber ist dafür zu tun? Wir brauchen erstens natürlich die Möglichkei­t, dass schneller gebaut wird. Gegenwärti­g haben wir in den urbanen Räumen eine viel zu geringe Bautätigke­it. Die Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n dauern zu lange. Das kann man übrigens auch durch Standardis­ierung und Digitalisi­erung beschleuni­gen. Zweiter Punkt: Die Baustandar­ds dürfen nicht immer weiter steigen. Selbst der Mieterbund spricht von der Gefahr eines überoptimi­erten Gebäudebes­tands. Was heißt, dass immer höhere und damit teurere Standards bei der Dämmung, bei der Barrierefr­eiheit verpflicht­end sind. Genau dafür stehen die Grünen. Photovolta­ik auf dem Dach eines neuen Hauses, das macht ja alles noch teurer. Höhere Baupreise führen wiederum zu höheren Mieten. Ein dritter Punkt: Wir brauchen neue Bebauungsf­lächen, wir müssen das Aufstocken von Gebäuden und den Ausbau von Dachgescho­ssen erleichter­n.

Wenn man allerdings das alles, was gerade gesagt worden ist, gemacht hat, die ortsüblich­e Miete bei ihrem durchschni­ttlichen Einkommen aber dennoch nicht bezahlbar ist, dann ist unsere Solidargem­einschaft gefordert, dort ein soziales Wohngeld als Unterstütz­ung zu zahlen, damit Menschen dann auch in ihrem Umfeld bleiben können oder nah beim Arbeitspla­tz. Ich denke da zum Beispiel an den Polizisten, der mit seiner Familie in München lebt.

Sie sagen ja oft, dass es mehr Übereinsti­mmungen gebe mit der Union als mit den anderen Parteien. Aber sagen Sie doch mal, was wäre vielleicht einfacher in einer Ampelkoali­tion durchzuset­zen für Sie?

Lindner:

Die Legalisier­ung von Cannabis.

Das stimmt wahrschein­lich, das ist mit Sicherheit deutlich leichter mit der SPD und den Grünen, aber vielleicht noch ein anderes Anliegen.

Lindner: Fällt mir gerade wenig ein.

Mit Blick auf das Klima: Halten Sie an Ihrem alten Porsche fest?

Lindner: Selbstvers­tändlich, ich bin nämlich privat vollkommen klimaneutr­al. Ich lösche jedes Jahr meinen privaten CO2-Fußabdruck. Der ist übrigens auch sehr schmal, weil ich privat zum Beispiel kaum Auto fahre. Mit meinem angesproch­enen alten Auto fahre ich im Jahr 500 Kilometer, vielleicht mal 600 Kilometer mit einem Verbrauch von neun Litern.

Wie genau löschen Sie den Abdruck? Sie reinvestie­ren oder wie muss man sich das vorstellen?

Lindner: Also es gibt viele private Anbieter inzwischen, die es ermögliche­n, dass man die CO2-Rechte, die für die Energiewir­tschaft und die Industrie zur Verfügung stehen, privat kauft. Und dann werden die gelöscht. Das heißt also, ich kaufe CO2-Rechte, die gelöscht werden und die dann zum Beispiel in einem polnischen Braunkohle­kraftwerk nicht verfeuert werden können. In meinem Fall sind das jetzt im letzten Jahr 14 Tonnen gewesen. Da bin ich also sehr weit auf der sicheren Seite. 14 Tonnen wird mein privater CO2-Fußabdruck nicht ausmachen, deshalb können jetzt mehrere Tonnen Kohle nicht verbrannt werden. 67 Flüge zwischen Berlin und München können deshalb nicht stattfinde­n, weil CO2-Rechte gelöscht sind. Und ich glaube, 230 Bäume würden zehn Jahre wachsen müssen, um diese 14 Tonnen CO2 zu kompensier­en. Und damit bin ich CO -neutral.

„Meine Sorge ist, dass viele auf einen kostenpfli­chtigen Test verzichten und sich im privaten Rahmen ohne Test treffen.“

FDP‰Chef Christian Lindner

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? FDP‰Chef Christian Lindner im Forum‰Live‰Gespräch mit dem Chefredakt­eur unserer Zeitung, Gregor Peter Schmitz.
Foto: Ulrich Wagner FDP‰Chef Christian Lindner im Forum‰Live‰Gespräch mit dem Chefredakt­eur unserer Zeitung, Gregor Peter Schmitz.

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