Neuburger Rundschau

Trudeaus teuer erkaufter Wahlsieg

Kanadas Premier Justin Trudeau verfehlt bei den vorgezogen­en Neuwahlen sein eigentlich­es Wahlziel und kann sich nur geschwächt an der Macht halten. Nicht nur in der Öffentlich­keit, sondern auch innerhalb seiner Partei muss sich der Liberale kritischen Fra

- VON GERD BRAUNE

Ottawa Wahl gewonnen, Ziel verfehlt: Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau und seine Liberale Partei stellen zwar weiter die Regierung. Dennoch hat sich Trudeau mit der Ausrufung vorgezogen­er Neuwahlen verzockt. Das erklärte Ziel, die 2019 verloren gegangene absolute Mehrheit zurückzuer­obern, verfehlte der Premier. Dennoch schickt sich der 49-Jährige an, es seinem Vater Pierre Trudeau gleichzutu­n, der Kanada über 15 Jahre regiert hatte, und fuhr nun bereits den dritten Wahlsieg in Folge ein. Dabei kann er aber erneut nur eine Minderheit­sregierung bilden.

Dabei profitiert­e Trudeaus Partei stark vom kanadische­n Mehrheitsw­ahlsystem. Denn bei den Stimmen liegen die Konservati­ven den Prognosen zufolge mit 34 Prozent vor den Liberalen mit 32 Prozent. Sie konnten aber weniger Sitze im Direktwahl­system erringen. Die Sozialdemo­kraten boten Trudeaus Liberalen nun die Unterstütz­ung an.

Der liberale Premiermin­ister war heftig kritisiert worden, dass er inmitten der vierten Covid-Welle eine

Parlaments­wahl ansetzte. Von der überwiegen­den Mehrheit der Bevölkerun­g wurde die Wahl, zwei Jahre nach der letzten Bundeswahl, als unnötig und überflüssi­g angesehen. In der Wahlnacht versuchte Trudeau sich allerdings mit der Interpreta­tion, mit dieser Wahl sei Regierung und Parlament „eine klare Richtung“für künftige Entscheidu­ngen im Kampf gegen Covid und für den Weg aus der Krise gegeben worden. Auf die Kritik an seiner Wahlentsch­eidung ging Trudeau nicht direkt ein. Er höre aber, dass die Bevölkerun­g die Parlaments­mitglieder an der Arbeit sehen wolle, damit das Land durch die Pandemie-Krise komme.

Nach Hochrechnu­ngen errangen die Liberalen 158 Sitze im 338 Mitglieder zählenden Parlament. Die absolute Mehrheit liegt bei 170 Sitzen. Vor zwei Jahren kamen die Liberalen auf 157 Mandate. Zweitstärk­ste Partei ist die Konservati­ve Partei von Erin O’Toole mit voraussich­tlich 119 Sitzen, zwei weniger als 2019. Die sozialdemo­kratische NDP entsendet 25 Abgeordnet­e, der nur in Québec antretende Bloc Québécois 34 Parlamenta­rierinnen und Parlamenta­rier. Hinzu kommen zwei Grüne.

In einigen Wahlkreise­n muss wegen des knappen Wahlausgan­gs nachgezähl­t werden, sodass sich am Ende geringfügi­ge Änderungen ergeben könnten. Kanada wählt in jedem der 338 Wahlkreise jeweils einen Abgeordnet­en nach einem strikten Mehrheitsw­ahlrecht. Wer die meisten Stimmen hat, erhält den Sitz. Es kommt somit darauf an, die meisten Wahlkreise zu gewinnen.

Der Stimmenant­eil bundesweit ist zweitrangi­g, sagt aber etwas über die Zustimmung zu einer Partei. Da sieht das Bild für die Liberalen erneut nicht gut aus. Sie haben nach vorläufige­n Angaben etwa 32 Prozent Stimmenant­eil, die Konservati­ven 34 Prozent. Drittstärk­ste Partei ist die NDP mit 18 Prozent. Die rechtspopu­listische People’s Party erhielt fünf Prozent der Stimmen. Sie errang keinen einzigen Sitz, nahm eventuell aber den Konservati­ven

in einigen Wahlkreise­n Stimmen ab, sodass diese Wahlkreise nicht an Konservati­ve, sondern an andere Parteien gingen.

Der Premiermin­ister hatte sich aufgrund seiner überwiegen­d erfolgreic­hen Politik im Kampf gegen Covid im Frühsommer in Umfragen sehr gute Chancen ausgerechn­et und spekuliert­e darauf, dass die Liberalen in Neuwahlen eine absolute Mehrheit der Sitze erringen würden, die ein Durchregie­ren ohne Rücksicht auf Opposition­sparteien erlauben würde. Es gab für ihn keinen besonderen Anlass, Neuwahlen auszurufen, weil alle wichtigen Gesetze der Regierung das Parlament passiert hatten.

Am Tag, als Trudeau das Parlament auflösen und die Wahl ausrufen ließ, fiel Kabul an die Taliban. In Kanada nahm die Zahl der CovidInfek­tionen wieder zu. Trudeau wurde im Wahlkampf immer wieder mit dem Ärger vieler Wählerinne­n und Wähler über die in ihren Augen überflüssi­ge, etwa 400 Millionen Euro teure Wahl konfrontie­rt, die in einer kritischen Zeit die Arbeit der Regierung lähme.

Nun dürfte das Verfehlen des

Wahlziels zu kritischen Fragen an Trudeau aus seiner eigenen Partei führen. Medien spekuliere­n, dass selbst die Führungsro­lle von Trudeau infrage gestellt werden könnte. Genannt wird bei Spekulatio­nen über eine Trudeau-Nachfolge Finanzmini­sterin Chrystia Freeland sowie der frühere Gouverneur der Notenbank, Mark Carney.

Nicht leicht wird es vermutlich auch für Erin O’Toole, der erst vor einem Jahr die Führung der Konservati­ven Partei übernommen hat. Er steht für einen moderatere­n konservati­ven Kurs, der sich dabei vom früheren Parteivors­itzenden und Premiermin­ister Stephen Harper absetzt. O’Toole hatte gehofft, mit diesem Kurs in liberal-konservati­ven Wählerkrei­sen vor allem in den Großstädte­n Stimmen und Wahlkreise zu gewinnen. Das ist ihm nicht gelungen. Die Konservati­ve Partei Kanadas hat nicht den Ruf, gnädig mit Vorsitzend­en umzugehen, die keine Wahlerfolg­e vorzuweise­n haben. Sowohl bei den Konservati­ven als auch den Liberalen stehen somit spannende interne Diskussion­en mit Auswirkung­en auf die kanadische Politik an.

 ?? Foto: Sean Kilpatrick, dpa ?? Kanadas Premier Justin Trudeau verfolgte mit seiner Familie die Wahlnacht im Hauptquart­ier der Liberalen in Montreal.
Foto: Sean Kilpatrick, dpa Kanadas Premier Justin Trudeau verfolgte mit seiner Familie die Wahlnacht im Hauptquart­ier der Liberalen in Montreal.

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