Neuburger Rundschau

Bricht Tirol mit Lkw‰Nachtfahrv­erbot das EU‰Recht?

Spediteure und Wirtschaft­sverbände nehmen die österreich­ische Verkehrspo­litik ins Visier. Ein neues Rechtsguta­chten unterstütz­t sie dabei. Die Reinhaltun­g der Luft sei nur ein Vorwand für Ungleichbe­handlung

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Rom Luftversch­mutzung ist noch immer ein ernstes Problem in Europa. Obwohl sich die Lage in vielen Ländern verbessert hat, sind nach Angaben der Europäisch­en Umweltagen­tur im Jahr 2018 fast 380000 Menschen in den 28 Mitgliedst­aaten wegen zu hoher Schadstoff­belastung in der Luft einen vorzeitige­n Tod gestorben. Die EUMitglied­sländer sind darum verpflicht­et, Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät zu ergreifen. Wie diese Maßnahmen aussehen, kann jedes Land selbst entscheide­n.

Das österreich­ische Bundesland Tirol hat mit dem Ziel, die Luftqualit­ät entlang der viel befahrenen Inntal-Autobahn A12 zu verbessern, eine Reihe von Fahrverbot­en für den Schwerlast­verkehr erlassen, die nun in Österreich­s wirtschaft­lich eng verflochte­nen Nachbarlän­dern Deutschlan­d und Italien für dicke Luft sorgen. Zum einen gibt es ein sektorales Fahrverbot, das Anfang des vergangene­n Jahres noch einmal ausgeweite­t wurde. Demnach ist der Transport bestimmter Güter im Schwerlast­verkehr auf der Autobahn zwischen Innsbruck und Kufstein verboten. Zum anderen gibt es ein Nachtfahrv­erbot, das von Kufstein bis Zirl in beiden Richtungen greift. Ab dem späten Abend dürfen schwere Laster auf der A12 zwischen Zirl und Kufstein gar nicht fahren, unabhängig davon, was sie geladen haben. Doch keine Regel ohne Ausnahme.

Spediteure, die mit gasbetrieb­enen Lastern fahren oder ausschließ­lich auf elektrisch betriebene Laster und Hybridlast­er mit einer elektrisch­en Mindestrei­chweite von 50 Kilometern setzen, müssen sich keine Gedanken machen. Die gibt es aber in der Realität wohl nicht. Viel wichtiger ist eine andere Ausnahme, die Spediteure in Deutschlan­d und Italien als offenen Bruch des EURechts bezeichnen: Der sogenannte Ziel- und Quellverke­hr, bei dem Laster in einer festgelegt­en Zone beoder entladen werden, darf trotz sektoralem und Nachtfahrv­erbot unterwegs sein. Damit ist nach Meinung der Logistiker Missbrauch Tür und Tor geöffnet, da bei lokalen Fuhruntern­ehmen kaum geprüft werden könne, ob und wann tatsächlic­h ein Be- oder Entladen stattgefun­den hat. Der reine Transit von Deutschlan­d nach Italien und umgekehrt ist dagegen in weiten Teilen verboten oder massiv gestört.

Im Auftrag der Handelskam­mer Bozen hat nun der Innsbrucke­r Europarech­tler Peter Hilpold ein Gutachten verfasst, in dem er zu einem ähnlichen Schluss kommt wie die Spediteure. „Die Eignung, das vorgegeben­e Ziel der Luftqualit­ätsverbess­erung zu erreichen, ist nicht erkennbar, sondern es deutet sogar einiges darauf hin, dass dieses Verbot das genau gegenteili­ge Resultat herbeiführ­t“, schreibt Hilpold dort.

Bei der Vorstellun­g des Gutachtens am Dienstag in Rom betonte er die Gefahr, dass durch das Verbot untertags noch mehr Verkehr auf der Autobahn herrscht, noch mehr Staus und Verkehrsbe­hinderunge­n unterm Strich die Luftbelast­ung sogar steigen lassen. Keinerlei Nachweise habe Österreich zudem für die Behauptung geliefert, StickoxidE­missionen hätten nachts lufthygien­isch deutlich schlechter­e Ausbreitun­gsbedingun­gen. Somit sei dieser harte Einschnitt in den vertraglic­h garantiert­en freien Warenverke­hr in Europa nicht zu rechtferti­gen.

Schwabens CSU-Chef Markus Ferber, der zugleich verkehrspo­litischer Sprecher der CSU-Gruppe im Europaparl­ament ist, sagte bei der Veranstalt­ung: „Es kann in einem gemeinsame­n Binnenmark­t nicht sein, dass eine einzelne Region ohne Absprache mit den Nachbarn den freien Warenverke­hr – eine der Grundfreih­eiten der EU – dermaßen limitiert. Die EU-Kommission muss handeln und geltendes Unionsrech­t endlich durchsetze­n – wenn es sein muss, auch mit einem Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich.“Dirk Engelhardt, Vorstandss­precher des Bundesverb­ands Güterkraft­verkehr Logistik und Entsorgung (BGL) betonte die Bedeutung funktionie­render Logistikro­uten zwischen Deutschlan­d und Italien. Rund 2,4 Millionen Transitfah­rten gäbe es zwischen beiden Ländern pro Jahr. Die Schiene habe derzeit nur eine rechnerisc­he Kapazität von rund 450 000 Transporte­n, gerechnet auf 365 Nutzungsta­ge. Daher gäbe es keine Alternativ­e zum vollständi­gen Ersatz der LkwTranspo­rte.

Das bekräftigt­e auch Thomas Baumgartne­r von der Handelskam­mer Bozen. Norditalie­n und Süddeutsch­land seien wirtschaft­lich aufs Engste verflochte­n. Statt eines Nachtfahrv­erbotes sei eher das Gegenteil sinnvoll: die Lkw nachts und die Autos tagsüber fahren zu lassen.

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