Welche Kinder müssen in Quarantäne?
Bei einem positiven Corona-Fall in einer Kita werden nur direkte Spielgefährten isoliert. Wie aufwendig es ist, solche Einzelfallentscheidungen zu treffen, und wie neue Tests demnächst für noch mehr Sicherheit sorgen sollen
Augsburg Auch wenn es in diesen Tagen – kurz vor der Bundestagswahl – politisch mitunter ordentlich kracht, in einem sind sich dann doch alle einig: Betreuungseinrichtungen für Kinder sollen, wenn irgendwie möglich, nicht wieder monatelang geschlossen werden. Das ist die Marschrichtung für den Herbst – von dem bisher keiner so recht weiß, wie stürmisch er wohl sein wird.
Noch weht – um im Bild zu bleiben – in den Kitas eine sanfte Brise. Derzeit sind im Freistaat nur sechs Einrichtungen vollständig geschlossen, wie das bayerische Familienministerium mitteilt. Das sind 0,06 Prozent der bayerischen Kitas.
Auch die Evangelische Kindertagesstätte in Bobingen im Landkreis Augsburg ist ganz normal geöffnet, keine Gruppe ist in Quarantäne. „Vor kurzem hatten wir aber den Fall, dass ein Schnelltest eines Kindes positiv war“, erzählt Claudia Lautenbacher, die Leiterin. „Der PCR-Test war dann aber glücklicherweise negativ.“Auch wenn die Sache gut ausging und der Schnelltest offenbar falsch angeschlagen hat – Lautenbacher fragt sich, was eigentlich genau passieren wird, wenn es tatsächlich einen Corona-Fall in ihrer Kita gibt. Denn mit den neuen Quarantäneregeln, die der Freistaat beschlossen hat, ist das ein bisschen unklarer geworden.
Die Bayerische Staatsregierung hat die Quarantäneregeln für Kitas – ähnlich wie an Schulen – vor kurzem geändert. Im Kern geht es um Folgendes: Bei einem positiven Corona-Fall soll nicht mehr automatisch die ganze Gruppe in Quarantäne müssen. „Quarantäne wird nur für engste Spielgefährtinnen und Spielgefährten angeordnet, die unmittelbaren und ungeschützten Kontakt zum Indexfall hatten“, erklärt ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums gegenüber unserer Redaktion. Solche Einzelfallentscheidungen sind natürlich aufwendig – aus Sicht des Ministeriums lohnen sie sich aber. „So ist es uns möglich, die Einrichtungen so lange wie möglich offen und die Betreuung aufrechtzuerhalten. Das ist uns ein zentrales Anliegen.“
Die Entscheidung, welche Kinder in Quarantäne müssen, trifft das örtliche Gesundheitsamt. Und ist dabei auf Informationen von Eltern und Betreuern angewiesen. Kann das funktionieren?
„Wir haben ein teiloffenes Konzept. Die Kinder sind Gruppen zugeordnet, können aber weite Bereiche des Hauses nutzen und sich dabei gruppenübergreifend treffen oder gegenseitig besuchen“, sagt Kita-Leiterin Lautenbacher. „Aber auch bei geschlossenen Gruppen mit 25 Kindern wäre es nicht einfach zu sagen, wer mit wem gespielt hat.“Ganz ähnlich sieht das Maria Magdalena Hellfritsch, Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern.
Sie ist skeptisch, ob die Erzieherinnen und Erzieher dem Gesundheitsamt immer genau sagen können, welche Kinder zusammen in der Kuschelecke lagen, im Sandkasten gebuddelt oder Bauklötze gestapelt haben: „Es gibt im Kita-Alltag so viele Situationen, wo Kinder eng beieinander sind.“
Für die bayerischen Gesundheitsämter ist die ganze Sache eine Art gigantisches Puzzle. Am Ende, nach dem Abwägen diverser Risiken, soll ein detailliertes Bild entstehen, das diejenigen Kinder zeigt, die sich möglicherweise angesteckt haben. „In vergangenen Ermittlungen waren wir häufig positiv überrascht, wie gut sich die Erzieherinnen und Erzieher merken konnten, welche Kinder üblicherweise miteinander spielen und wie gut Tagesabläufe wiedergegeben werden können“, sagt Dr. Ellen Senft vom Gesundheitsamt Dillingen. Sie räumt aber auch ein: „Je nach Größe der Gruppe, der Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher und den Spielgewohnheiten des Kindes wird es verständlicherweise nicht immer möglich sein, dass sich Erzieherinnen und Erzieher das komplette Bewegungsprofil eines jeden Kindes merken.“Sollten einem Kind keine festen Spielgefährtinnen und Spielgefährten zuzuordnen sein, so könne eine Quarantäne für die gesamte Gruppe notwendig werden, erklärt Senft. In Kindertageseinrichtungen mit offenem Konzept, also ohne Gruppenbildung, könne zusätzlich zur Ermittlung der engen Spielgefährten eine Testung für jedes Kind der Einrichtung angeordnet werden.
Kita-Leiterin Lautenbacher findet, dass es eindeutigere Regeln geben müsste, die überall gleich gelten. Die Gesundheitsämter entschieden unterschiedlich. „Das verwirrt die Eltern“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Das betreffe nicht nur die Quarantäne, sondern etwa auch die 3G-Regeln. „Wenn ein Elternteil am Nachmittag ins Haus kommt, um sein Kind abzuholen, ist kein 3G-Nachweis nötig. Am Abend bei der Elternversammlung dann schon. Bei Schulelternabenden im Landkreis Augsburg ist ein 3G-Nachweis wiederum nicht überall erforderlich. Dies führt zu Unverständnis bei Eltern, die ihre Kinder in beiden Einrichtungen haben.“
Am Dienstag hat sich auch das bayerische Kabinett mit der Situation in den Kitas befasst. Im Fokus standen die bereits angekündigten PCR-Pooltests für die Kinder. Sie sollen die zweite Test-Säule bei den Kleinsten sein, neben den Selbsttests, die bisher im Einsatz sind. Um die Organisation der neuen PCRPooltests müssen sich die Landkreise und kreisfreien Städte selbst kümmern, vom Freistaat gibt es dann eine Erstattung. „Wir werden die Kommunen natürlich so gut wie wir können unterstützen. Wir haben ja schon Erfahrungen aus dem Schulbereich“, sagt Familienministerin Carolina Trautner. Nähere Details zu den von vielen Kommunen gewünschten PCR-Pooltests – auch Lolli-Tests genannt – gibt es bisher allerdings nicht.
Hellfritsch vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen ist dennoch zufrieden. „Obwohl uns noch Einzelheiten fehlen, sind wir froh, dass die PCR-Pooltests überhaupt kommen. Denn sie sind einfach aussagekräftiger und bieten mehr Sicherheit.“Dieses Test-Angebot für Kinder ist freiwillig, Hellfritsch hofft aber, dass möglichst viele Eltern mitmachen. „Ich glaube schon, dass viele dazu bereit sind, schließlich wollen sie das Beste für ihr Kind. Aber Informationsarbeit muss trotzdem noch geleistet werden.“Mit den Ergebnissen, die schnell vorliegen, werde es einfacher, zielgenau zu reagieren. „Bei einer großen Akzeptanz ist die Chance groß, dass nur einzelne Kinder in Quarantäne müssen – und möglichst viele Kinder die Kita besuchen können.“
Können die Betreuer wissen, wer mit wem gespielt hat?