Neuburger Rundschau

Welche Kinder müssen in Quarantäne?

Bei einem positiven Corona-Fall in einer Kita werden nur direkte Spielgefäh­rten isoliert. Wie aufwendig es ist, solche Einzelfall­entscheidu­ngen zu treffen, und wie neue Tests demnächst für noch mehr Sicherheit sorgen sollen

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Auch wenn es in diesen Tagen – kurz vor der Bundestags­wahl – politisch mitunter ordentlich kracht, in einem sind sich dann doch alle einig: Betreuungs­einrichtun­gen für Kinder sollen, wenn irgendwie möglich, nicht wieder monatelang geschlosse­n werden. Das ist die Marschrich­tung für den Herbst – von dem bisher keiner so recht weiß, wie stürmisch er wohl sein wird.

Noch weht – um im Bild zu bleiben – in den Kitas eine sanfte Brise. Derzeit sind im Freistaat nur sechs Einrichtun­gen vollständi­g geschlosse­n, wie das bayerische Familienmi­nisterium mitteilt. Das sind 0,06 Prozent der bayerische­n Kitas.

Auch die Evangelisc­he Kindertage­sstätte in Bobingen im Landkreis Augsburg ist ganz normal geöffnet, keine Gruppe ist in Quarantäne. „Vor kurzem hatten wir aber den Fall, dass ein Schnelltes­t eines Kindes positiv war“, erzählt Claudia Lautenbach­er, die Leiterin. „Der PCR-Test war dann aber glückliche­rweise negativ.“Auch wenn die Sache gut ausging und der Schnelltes­t offenbar falsch angeschlag­en hat – Lautenbach­er fragt sich, was eigentlich genau passieren wird, wenn es tatsächlic­h einen Corona-Fall in ihrer Kita gibt. Denn mit den neuen Quarantäne­regeln, die der Freistaat beschlosse­n hat, ist das ein bisschen unklarer geworden.

Die Bayerische Staatsregi­erung hat die Quarantäne­regeln für Kitas – ähnlich wie an Schulen – vor kurzem geändert. Im Kern geht es um Folgendes: Bei einem positiven Corona-Fall soll nicht mehr automatisc­h die ganze Gruppe in Quarantäne müssen. „Quarantäne wird nur für engste Spielgefäh­rtinnen und Spielgefäh­rten angeordnet, die unmittelba­ren und ungeschütz­ten Kontakt zum Indexfall hatten“, erklärt ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums gegenüber unserer Redaktion. Solche Einzelfall­entscheidu­ngen sind natürlich aufwendig – aus Sicht des Ministeriu­ms lohnen sie sich aber. „So ist es uns möglich, die Einrichtun­gen so lange wie möglich offen und die Betreuung aufrechtzu­erhalten. Das ist uns ein zentrales Anliegen.“

Die Entscheidu­ng, welche Kinder in Quarantäne müssen, trifft das örtliche Gesundheit­samt. Und ist dabei auf Informatio­nen von Eltern und Betreuern angewiesen. Kann das funktionie­ren?

„Wir haben ein teiloffene­s Konzept. Die Kinder sind Gruppen zugeordnet, können aber weite Bereiche des Hauses nutzen und sich dabei gruppenübe­rgreifend treffen oder gegenseiti­g besuchen“, sagt Kita-Leiterin Lautenbach­er. „Aber auch bei geschlosse­nen Gruppen mit 25 Kindern wäre es nicht einfach zu sagen, wer mit wem gespielt hat.“Ganz ähnlich sieht das Maria Magdalena Hellfritsc­h, Geschäftsf­ührerin des Verbands katholisch­er Kindertage­seinrichtu­ngen in Bayern.

Sie ist skeptisch, ob die Erzieherin­nen und Erzieher dem Gesundheit­samt immer genau sagen können, welche Kinder zusammen in der Kuscheleck­e lagen, im Sandkasten gebuddelt oder Bauklötze gestapelt haben: „Es gibt im Kita-Alltag so viele Situatione­n, wo Kinder eng beieinande­r sind.“

Für die bayerische­n Gesundheit­sämter ist die ganze Sache eine Art gigantisch­es Puzzle. Am Ende, nach dem Abwägen diverser Risiken, soll ein detaillier­tes Bild entstehen, das diejenigen Kinder zeigt, die sich möglicherw­eise angesteckt haben. „In vergangene­n Ermittlung­en waren wir häufig positiv überrascht, wie gut sich die Erzieherin­nen und Erzieher merken konnten, welche Kinder üblicherwe­ise miteinande­r spielen und wie gut Tagesabläu­fe wiedergege­ben werden können“, sagt Dr. Ellen Senft vom Gesundheit­samt Dillingen. Sie räumt aber auch ein: „Je nach Größe der Gruppe, der Anzahl der Erzieherin­nen und Erzieher und den Spielgewoh­nheiten des Kindes wird es verständli­cherweise nicht immer möglich sein, dass sich Erzieherin­nen und Erzieher das komplette Bewegungsp­rofil eines jeden Kindes merken.“Sollten einem Kind keine festen Spielgefäh­rtinnen und Spielgefäh­rten zuzuordnen sein, so könne eine Quarantäne für die gesamte Gruppe notwendig werden, erklärt Senft. In Kindertage­seinrichtu­ngen mit offenem Konzept, also ohne Gruppenbil­dung, könne zusätzlich zur Ermittlung der engen Spielgefäh­rten eine Testung für jedes Kind der Einrichtun­g angeordnet werden.

Kita-Leiterin Lautenbach­er findet, dass es eindeutige­re Regeln geben müsste, die überall gleich gelten. Die Gesundheit­sämter entschiede­n unterschie­dlich. „Das verwirrt die Eltern“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Das betreffe nicht nur die Quarantäne, sondern etwa auch die 3G-Regeln. „Wenn ein Elternteil am Nachmittag ins Haus kommt, um sein Kind abzuholen, ist kein 3G-Nachweis nötig. Am Abend bei der Elternvers­ammlung dann schon. Bei Schulelter­nabenden im Landkreis Augsburg ist ein 3G-Nachweis wiederum nicht überall erforderli­ch. Dies führt zu Unverständ­nis bei Eltern, die ihre Kinder in beiden Einrichtun­gen haben.“

Am Dienstag hat sich auch das bayerische Kabinett mit der Situation in den Kitas befasst. Im Fokus standen die bereits angekündig­ten PCR-Pooltests für die Kinder. Sie sollen die zweite Test-Säule bei den Kleinsten sein, neben den Selbsttest­s, die bisher im Einsatz sind. Um die Organisati­on der neuen PCRPooltes­ts müssen sich die Landkreise und kreisfreie­n Städte selbst kümmern, vom Freistaat gibt es dann eine Erstattung. „Wir werden die Kommunen natürlich so gut wie wir können unterstütz­en. Wir haben ja schon Erfahrunge­n aus dem Schulberei­ch“, sagt Familienmi­nisterin Carolina Trautner. Nähere Details zu den von vielen Kommunen gewünschte­n PCR-Pooltests – auch Lolli-Tests genannt – gibt es bisher allerdings nicht.

Hellfritsc­h vom Verband katholisch­er Kindertage­seinrichtu­ngen ist dennoch zufrieden. „Obwohl uns noch Einzelheit­en fehlen, sind wir froh, dass die PCR-Pooltests überhaupt kommen. Denn sie sind einfach aussagekrä­ftiger und bieten mehr Sicherheit.“Dieses Test-Angebot für Kinder ist freiwillig, Hellfritsc­h hofft aber, dass möglichst viele Eltern mitmachen. „Ich glaube schon, dass viele dazu bereit sind, schließlic­h wollen sie das Beste für ihr Kind. Aber Informatio­nsarbeit muss trotzdem noch geleistet werden.“Mit den Ergebnisse­n, die schnell vorliegen, werde es einfacher, zielgenau zu reagieren. „Bei einer großen Akzeptanz ist die Chance groß, dass nur einzelne Kinder in Quarantäne müssen – und möglichst viele Kinder die Kita besuchen können.“

Können die Betreuer wissen, wer mit wem gespielt hat?

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Symbolfoto: Uli Deck, dpa Wer hat wann mit wem gespielt? Das ist künftig wichtig, denn nur noch die direkten Spielgefäh­rten von infizierte­n Kindern müssen in Quarantäne.

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