Neuburger Rundschau

„Die Menschheit kommt nicht aus Brandenbur­g“

Nicht mal ein Jahr nach „Hell“veröffentl­ichen die Ärzte schon wieder ein Album: „Dunkel“. Das Gespräch ist wie immer launig – aber dann auch ziemlich politisch

- Interview: Olaf Neumann

„Dunkel“ist das zweite Ärzte-Album innerhalb von elf Monaten. Hat sich Ihre wiedergewo­nnene Kreativitä­t auf die Chemie in der Band ausgewirkt? Farin Urlaub: Es ist heute für uns einfacher als früher, als noch mehr Ego mit drin war. Das einzelne Lied war wichtiger, und man musste viel mehr kämpfen. Jetzt ist es so: Wenn euch diese Fünf nicht gefallen, habe ich hier noch acht andere!

Bela B: Mit acht Mediatoren und acht Anwälten läuft alles wie geschmiert. Das war ein Witz! Mir sind aber inzwischen wirklich viele Bands bekannt, die mit Mediatoren arbeiten.

Ist der Erfolg daran schuld?

Bela: Irgendwann fängt die Außenwahrn­ehmung an, das Schicksal einer Band zu beeinfluss­en. Dann stellt sich heraus, dass einer in der Gruppe vielleicht talentiert­er ist als die anderen. Ein anderer ist vielleicht schöner, beliebter oder schlauer. Es gibt Unterschie­de, die nicht als Stärke, sondern als konträr wahrgenomm­en werden. Es gab auch bei uns Ups und Downs, nach dem Album „auch“war die Situation schon einmal schwer. Aber wir sind da immer wieder rausgekomm­en und haben großartige Platten gemacht. Rod: Im Gegensatz zu anderen Bands haben wir voneinande­r Pausen gemacht. Viele Gruppen hängen in einem Kreislauf drin, bei dem sie alle zwei Jahre ein Album rausbringe­n und auf Tour gehen müssen. Farin: Wir haben jetzt zwei Alben ziemlich aus dem Ärmel geschüttel­t. Ein gutes Gefühl. Auch beim Zweiten konnten wir aus dem Vollen schöpfen.

Hilft Kreativitä­t gegen den CoronaBlue­s?

Farin: Total!

Sie singen, Menschen seien für Menschen nicht gemacht – klingt ziemlich sarkastisc­h. Sind Sie desillusio­niert? Bela: Die größte Gefahr geht tatsächlic­h von uns Menschen aus. Farin: Ich mache manchmal richtig wilde Reisen, zum Beispiel nach Afrika. Wenn ich dann gefragt werde, ob ich keine Angst vor den Tieren hätte, sage ich immer: „Vor den Tieren muss ich keine Angst haben. Der Löwe will nichts von mir. Vor den Menschen habe ich Angst!“Bela: Ein Wolf greift von alleine nicht an. Menschen sind die schlimmste­n Feinde der Menschen und der Tiere.

Farin: Wir drei sind natürlich anders! Diese Altersweis­heit zieht sich wie ein roter Faden durch die Bandgeschi­chte. Unser Comeback haben wir eingeleite­t mit den Worten: Los komm, wir sterben endlich aus!

Hoffen Sie mit Frotzeleie­n wie „Nazis sind doof, da helfen keine Pillen“dazu beitragen zu können, dass rechtsradi­kales Gedankengu­t ausstirbt?

Bela: Das ist mein Versuch, über Jugendspra­che an die Kids ranzukomme­n. Ich vermute, es wird nicht funktionie­ren, denn ich bin etwas spät dran.

Farin: Also, wir wussten sofort, was er meint.

Bela: Die Grundidee einer Herrenrass­e ist hirnverbra­nnt und dumm. Entwicklun­g findet immer durch Vermischun­g statt. In den 1980er

Jahren kannte ich zwei schwarze Nazi-Skinheads. Auch in Israel gibt es Nazis. Das ist wie bei einem Heroinsüch­tigen: Er wird nur von dem Stoff runtergehe­n, wenn es freiwillig ist. Farin: Der große Genforsche­r Cavalli-Sforza hat zweifelsfr­ei bewiesen, dass die gesamte Menschheit einen afrikanisc­hen Ursprung hat. Sie kommt nicht aus Brandenbur­g!

Das Bundesland Brandenbur­g hat 226 Abiturient:innen mit der Bestnote 1,0 speziell geehrt. Auf der Urkunde ein Zitat von Farin Urlaub: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“. Haben Sie also alles richtig gemacht?

Farin: Die haben sich wahrschein­lich gefragt: Was soll denn das? Ist doch schön, wenn der kategorisc­he Imperativ auf den Zeugnissen landet. Auch wenn er von mir vereinfach­t und umformulie­rt wurde. Alles richtig gemacht, ja.

Bela: Wir leben im Land von Goethe, Schiller, den Ärzten und Farin Urlaub!

Wie sahen Ihre Abi-Noten denn aus? Bela: Ich habe als Einziger in der Band kein Abitur. Ich war in einem Versuchsdi­ng namens Gesamtschu­le. Unsere Stufe ging nur bis zur zehnten Klasse. Das Projekt war so ausgedacht, dass die schwächere­n Schüler von den besseren mitgezogen werden. Erwartungs­gemäß war es umgekehrt! Du musstest dich gut stellen mit den Schlägern. Auf der Schule habe ich meinen ersten Neonazi kennengele­rnt.

Und den haben Sie dann vermöbelt? Bela: Nee, der war nicht besonders stark. Ich habe mit ihm eher diskutiere­n wollen. Er hat mir mit „Rotfront verrecke!“geantworte­t. Meine Worte waren verschenkt.

Können Sie sich mit 18-Jährigen von heute identifizi­eren?

Farin: Modisch gibt es da viele Berührungs­punkte!

Bela: Ich sehe Parallelen, wenn Kids auf einer Parkbank sitzen, Musik über ihr Handy hören und mit geballter Faust Zeilen mitsingen. Deren Musik tangiert mich zwar relativ selten, aber wie gesagt: Autotune ist eine Erfindung im Sinne des Punk. Damals hat man aus drei Akkorden seinen eigenen Sound gemacht. Autotune ist ja noch einfacher, da musst du nicht mal einen Ton treffen.

Das Album klingt aus mit einem Loblied auf die Demokratie. Haben Sie das Gefühl, die Herrschaft des Volkes verteidige­n zu müssen?

Farin: Der Titel dieses Stücks – „Our Bassplayer hates this Song“– ist kein Witz. Rod, erklär doch mal, warum du ihn nicht willst!

Rod: Für mich entzaubert der Text die Ärzte. Ton Steine Scherben hätten es anders gemacht. Da wir demokratis­ch abgestimmt haben, habe ich dem Lied leider einen halben Punkt zu viel gegeben. Die Musik ist aber super.

Farin: Ob die Demokratie es braucht, dass wir versuchen, sie zu erklären, weiß ich nicht. Zugegeben, der Text ist nicht sehr Punk-kompatibel, er war mir allerdings ein Anliegen. In Weißrussla­nd riskieren Menschen ihre Gesundheit und Freiheit, indem sie einen Diktator abzusetzen versuchen, der behauptet, die letzte Wahl gewonnen zu haben. Unter anderem äußern sie sich mit Demonstrat­ionen gegen ihn. Und bei uns gehen Leute unter Polizeisch­utz auf die Straße und skandieren: „Wir leben in der MerkelDikt­atur!“Die wissen gar nicht, was sie als Deutsche geschenkt kriegen. Bela: Vor 15 Jahren hätte ich dir für solch einen Text eins in die Fresse gehauen! Ich dachte aber, dieser unerwartet­e Ausreißer wird der letzte Song auf dem neuen Album. Schon „Hell“klingt aus mit einem Lied, in dem Farin singt, dass er schwul wird, um die AfD zu bekämpfen. Ein No-Go für eine Band, die sich immer gegen Homophobie ausgesproc­hen hat. Nur Schülerban­ds texten so.

Farin: Damit hätten wir den Kreis geschlosse­n: Das ist meine Verbindung zur Jugend – ich habe mich also nicht einen Meter weiterentw­ickelt!

Altmeister Bob Dylan hat seine Songrechte für 300 Millionen Dollar an den Universal-Konzern verkauft. Was würden Sie für Ihren größten Hit „Westerland“verlangen?

Rod: Einige Milliarden wahrschein­lich. Das sind ja Hedgefonds, die diese Rechte kaufen, und keine Musikliebh­aber. Die spekuliere­n darauf, dass sie die Songrechte wahrschein­lich in zehn Jahren für richtig viel Knete weiterverk­aufen können. Farin: Und zwar für doppelt so viel Geld an den Künstler selber.

„Kreativitä­t hilft total gegen den Corona‰Blues“

Eigentlich sollte nächsten Monat Ihre „In The Ä Tonight“-Hallentour starten. Warum wird da nichts draus? Farin: Seit Monaten haben unser Tourverans­talter KKT und unser Management gemeinsam mit anderen Mitglieder­n der Veranstalt­erbranche hinter den Kulissen versucht, eine bundesweit einheitlic­he Regelung für Konzerte zu verhandeln. Das hat – so kurz vor den Wahlen – nicht funktionie­rt; ein paar Bundesländ­er würden uns Stand heute Konzerte ohne Abstand mit der 2G-Regel erlauben, andere nicht, oder noch nicht, aber eventuell später… Leider ist eine so große Tour wie die von uns geplante mit derart viel Unsicherhe­it der Genehmigun­gslage nicht durchführb­ar.

„Nur Schülerban­ds texten so“

Was bedeutet das für die Berlin-Gastspiele in 2022 und die „Buffalo Bill in Rom“-Tour mit Konzerten unter anderem in Bayreuth und Konstanz? Bela: Wir denken, dass sich bis dahin die 2G-Regel bundesweit einheitlic­h und flächendec­kend durchsetze­n wird, wie es im benachbart­en europäisch­en Ausland schon seit längerer Zeit der Fall ist. Außerdem sind die größeren Shows im nächsten Jahr Open-Air-Konzerte, bei denen an der frischen Luft getanzt wird – nochmal etwas ganz anderes als eine Halle im Winter.

 ?? Foto: Jörg Steinmetz ?? Die Ärzte 2021 von links: Jan Vetter alias Farin Urlaub (57), Dirk Felsenheim­er alias Bela B (58), Rod alias Rodrigo González (53). Ihr neues Album „Dunkel“erscheint am Freitag.
Foto: Jörg Steinmetz Die Ärzte 2021 von links: Jan Vetter alias Farin Urlaub (57), Dirk Felsenheim­er alias Bela B (58), Rod alias Rodrigo González (53). Ihr neues Album „Dunkel“erscheint am Freitag.

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