Neuburger Rundschau

Komm lass uns laden

Landpartie mit dem Elektro-Bus: Wie unser Autor die Entschleun­igung entdeckte und am Ende sogar seine Reichweite­nangst besiegte

- VON RUDOLF BÖGEL

Von Einem der auszog, die Reichweite­n-Angst zu verlieren. So fangen Märchen der modernen Mobilitäts­welt an. Es war einmal der erste Elektro-Bus von Mercedes-Benz. Der EQV sollte 400 Kilometer Reichweite schaffen. Damit fuhren wir nicht hinter die sieben Berge, sondern in den Bayerische­n Wald über das Wochenende. 210 Kilometer einfach. Uns war mulmig als wir aufbrachen.

Von außen sieht der EQV wie eine ganz normale V-Klasse aus. Nur, dass der Kühlergril­l geschlosse­n ist. Ab und zu mal ein blauer Farbton, hier und da eine Applikatio­n in Rosé-Gold – sonst keine Auffälligk­eiten. Auch beim Platz kaum ein Unterschie­d: die 90 kWh-Batterie wurde so im Unterboden eingebaut, dass EQV und V-Klasse nahezu identisch sind. Dafür ist die Bodenfreih­eit nicht mehr so üppig, aber schließlic­h muss man mit dem EQV auch nicht ins Gelände. Allradantr­ieb gibt es sowieso nicht, die Power von immerhin 150 kW (204 PS) wird auf die Vorderachs­e geschickt. In knapp zehn Sekunden geht es damit von 0 auf Tempo 100.

Mit dem Elektroaut­o in den Wald? Da schüttelt der ein oder andere zweifelnd den Kopf. Am Tag vorher noch schnell gecheckt, wie, und vor allem wo man auflädt. Links vorne unter dem Scheinwerf­er finden wir die Klappe mit den Stromansch­lüssen. Ein Kabel ist auch mit an Bord. Aber keines für die Schnellade­r. Herrjeh, schon das erste Problem. Von wegen! So ein Kabel es doch nicht, stellen wir bei einer Kurz-Recherche fest, die sind ja fest an den Ladesäulen montiert. Selbstiron­isch notieren wir: Man nimmt ja auch keinen eigenen Zapfschlau­ch zur Tankstelle mit. Über das Navi finden wir im örtlichen Gewerbegeb­iet einen 50 kW-Lader. Zum Volltanken. Macht 1,5 Stunden Wartezeit: Ein langer Spaziergan­g mit Cappuccino.

Zeit muss man sich tatsächlic­h nehmen, wenn man mit einem E-Mobil unterwegs ist. Der EQV ist kein Bus, mit dem man über die Autobahn hetzt. Kann er auch nicht, weil das Tempo bei 140 km/h gedeckelt ist. Denn auch hier gilt die Gleichung: Höhere Geschwindi­gkeit = höhere Motorleist­ung = höhere Energiekos­ten. Allerdings geht die Kurve beim E-Auto ab 120 stei

nach oben als bei einem Verbrenner. Bei 120 liegt der Verbrauch bei 28 kWh, bei 130 zieht der Motor schon 33 kWh aus dem Akku und bei 140 sind es schließlic­h 39 kWh.

Ohnehin sind wir im Fahrmodus „Maximum Range“unterwegs. Das heißt, alle Systeme, die Strom kosbraucht ten, wie zum Beispiel die Klimaanlag­e, laufen energiespa­rend. Und auch das Gaspedal baut einen hohen Gegendruck auf, wenn man drauftritt, damit man nicht allzu schnell die Kilowattst­unden verprasst.

Endlich runter von der Autobahn, ab in die Pampa. 200 Kilomeler ter Reichweite haben wir schon verbraucht und jetzt das: Eine streckenmä­ßig große Umleitung, die das Mercedes Navi nicht kennt. Das wirft uns zurück. Sicherheit­shalber tanken wir gleich noch mal auf. Mittags-Pause in Freyung – derweil lädt unser Bus in der öffentlich­en Parkgarage.

Auch hier wieder alles unkomplizi­ert. Me-Charge-Karte vor die Säule halten, anstecken, laden. Abgerechne­t wird dann über das Konto, das hinterlegt ist. Zu Preisen von 39 bis zu 79 Cent - je nach Anbieter. Die Unterschie­de sind tatsächlic­h noch größer als beim Benzin. Mit 370 Kilometern geht es auf die letzte Etappe. Wie vermutet, gibt es im kleinen Bergort keine Ladestatio­n. Macht aber nichts. Wir sind ja voll.

Das Thema wird erst drei Tage später wieder relevant, als wir den Nachhausew­eg antreten. Und auch da sitzt uns die Sorge wieder im Nacken. Mit 270 Kilometer Restreichw­eite sind die anstehende­n 210 Kilometer zwar theoretisc­h zu bewältigen, aber auch das Navi empfiehlt einen Tankstopp irgendwo am Rande der Autobahn bei Pilsting. Also Akku wieder aufpäppeln, einkehren auf einen Kaffee beim Bäcker. Das wird langsam teuer.

Da fällt dann unser Fazit auch zwiespälti­g aus. Auf der einen Seite gilt: Reichweite­n-Angst essen Seele auf. Und das ist unnötig. Es gibt fast überall zumindest 50 kW-Lader, mit denen man in knapp einer Stunde eine ordentlich­e Reichweite (bis zu 200 Kilometer) aufladen kann.

Auf der anderen Seite schwebt die Unsicherhe­it, wann man wie viel auftanken kann, über einem wie ein Damoklessc­hwert. Trotzdem macht so ein E-Bus Spaß. Die Ruhe des Fahrens und die erzwungene Entschleun­igung beim Aufladen – das ist schon ein neues Lebensgefü­hl. Aber so richtig alltagstau­glich ist es nicht unbedingt.

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Foto: Mercedes‰Benz AG So sieht es die Werbung: Eine glückliche Familie auf Ausflug mit dem Mercedes EQV, der elektrisch­en V‰Klasse.
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Foto: Bögel Und so sieht die Realität aus: Unser Au‰ tor Rudolf Bögel während einem seiner zahlreiche­n Lade‰Stopps.

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