Neuburger Rundschau

Wahlkampf ohne Bierzeltst­immung

In Corona-Zeiten sieht auch der Wahlkampf anders aus. Wo sie sonst vor Hunderten Menschen lautstark Reden gehalten haben, mussten sich die Kandidaten coronakonf­orme Modelle überlegen. Was funktionie­rt hat und was nicht

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Neuburg‰Schrobenha­usen Normalerwe­ise würden sie jetzt in Bierzelten stehen, von Wirtschaft zu Wirtschaft touren, bei Podiumsdis­kussionen ihre Ideen präsentier­en und in Fußgängerz­onen Aberhunder­te Hände schütteln und den Menschen bei dieser Gelegenhei­t gleich noch Kugelschre­iber, Tomatensam­en, Sonnenblum­en und jede Menge Flyer in die Hände drücken.

Doch in diesem Jahr sitzen die elf Direktkand­idaten für den Wahlkreis Ingolstadt nicht bei Vereinsfes­ten mittendrin, sondern zum Teil fast allein vor einer Kamera. Sie drehen Videos, organisier­en ZoomMeetin­gs und beantworte­n auf Facebook und Instagram die Fragen von Wählern. Wahlkampf in Corona-Zeiten verlangt von den Parteien und Kandidaten, neue Wege zu gehen. Und manchmal auch, in ganz neue Dimensione­n vorzustoße­n.

Wie bei Reinhard Brandl, dem CSU-Kandidaten, der sein Mandat verteidige­n möchte. Er und sein Team haben in 35 Städten und Gemeinden im Wahlkreis eine Drohne in die Höhe geschickt und dabei kleine Filme über die jeweiligen Orte gedreht und regionale CSUPolitik­er zu Wort kommen lassen. Über 60.000 Aufrufe haben die Filme, die sich auch über einen QRCode auf Wahlplakat­en anschauen lassen, inzwischen, „was ich sehr gut finde“. Die Vorbereitu­ngen jedoch für den digitalen Wahlkampf seien „wahnsinnig aufwändig“gewesen, sagt Brandl. Und dennoch: „Die großen Kundgebung­en, wo man viele Leute erreicht, fehlen.“Brandl habe beobachtet, dass „die Leute die Bierzelte vermissen“. Und so setzt die CSU auch in CoronaZeit­en auf analoge Wahlwerbun­g. Der Kandidat war an Ständen im Wahlkreis unterwegs, hat an Haustüren geklingelt und dort seine Taschen mit kleinen Geschenken überreicht. Brandl will heuer zum vierten Mal in den Bundestag einziehen und hat bereits entspreche­nde Wahlkampfe­rfahrung. Was ihm aufgefalle­n ist: „Die Leute sind viel freundlich­er.“Während vor vier Jahren die Flüchtling­skrise oftmals zu hitzigen Diskussion­en geführt hat, seien ihm die Menschen heuer fast durchgehen­d positiv - oder zumindest neutral – gegenüber getreten.

Ein reiner Online-Wahlkampf hat auch in den Augen von Werner Widuckel keine Zukunft. „Atmosphäri­sch hat eine ganze Menge gefehlt“, resümiert der Kreisvorsi­tzende der SPD Neuburg-Schrobenha­usen. Ebenso wie Brandl, hat er den Corona-Wahlkampf als anstrengen­d empfunden. Um eine entspreche­nde Reichweite zu erzielen, sei wesentlich mehr Aufwand nötig, hat Widuckel beobachtet. „Das Salz in der Suppe ist das direkte Gespräch“, sagt er und hat deshalb versucht, an SPD-Ständen quer durch die Region Werbung für die Partei und die regionale Direktkand­idatin Jessica Meier zu machen, die aktuell erkrankt ist. Beobachtet hat er dabei vor allem ein wachsendes Interesse, je näher der Wahltermin rückt. Ganz in den Vor-Corona-Modus werden aber auch die Wahlkämpfe der SPD nicht fallen. Einige OnlineVera­nstaltunge­n werde die Partei sicherlich auch bei kommenden Wahlen beibehalte­n, so Widuckel. Denn ein bestimmter Typus von Menschen werde damit am besten angesproch­en.

Joachim Siebler, Direktkand­idat der Grünen, musste sich erst überwinden, an den Haustüren von Unbekannte­n zu klingeln: „Eigentlich mag man ja nicht in die Privatsphä­re eindringen.“Aber die meisten Erfahrunge­n seien dann doch positiv gewesen im Haustür-Wahlkampf, so Siebler. Genauso wie an den verschiede­nen Info-Ständen, wo er so oft wie möglich selbst präsent war. „Am Samstagabe­nd war ich sogar heiser“, erzählt er. Denn die Menschen wollten sich so kurz vor dem Wahltag noch viele Infos holen, und er musste den ganzen Tag reden, reden, reden.

Gefehlt haben Siebler in den vergangene­n Wochen vor allem die Podiumsdis­kussionen, mit denen man sehr viele Menschen erreichen kann, wie der Ingolstädt­er aus vorangegan­genen Wahlkämpfe­n weiß. Inwiefern die hiesigen Grünen auch über Online-Portale Wähler mobilisier­en können, lasse sich nur schwer feststelle­n, sagt Siebler und vergleicht es mit dem Plakatiere­n. Den Wahlkampf selbst hat Siebler als weniger anstrengen­d empfunden, schließlic­h gab es deutlich weniger Termine für den Kandidaten als in anderen Jahren.

Obwohl die Zahl der Veranstalt­ungen eher überschaub­ar war, zieht die Bundestags­kandidatin der FDP ein positives Resümee aus den vergangene­n Wochen. „Wir sind wahnsinnig zufrieden“, bekräftigt Theresa Ley. Man habe gutes Feedback bekommen – persönlich, aber auch mit Blick auf die gesamte Partei. „Die Umfragewer­te geben uns recht, dass wir Aufwind haben. Ein toller Wahlkampf“, sagt die JuraStuden­tin. Wo dieses Ergebnis gefeiert werden soll, steht allerdings noch nicht fest. Die Entscheidu­ng für die Location der Wahlparty, sagt die junge Bundestags­kandidatin, stehe noch aus.

Geht es nach Roland Meier von den Linken, dann konnte der Ingolstädt­er in den vergangene­n Wochen (fast) alles loswerden, was er sagen wollte. „Ich habe coronabedi­ngt kaum bis gar keine Einschränk­ungen gespürt“, sagt der 56-Jährige. Er sei bei etlichen Wahlkampfv­eranstaltu­ngen gewesen – Gelegenhei­t, seinen Standpunkt deutlich zu machen, habe es also ausreichen­d gegeben.

Was Meier jedoch negativ aufgefalle­n ist: Die Veranstalt­ungen, egal ob online oder in Präsenz, seien durchweg schlecht besucht gewesen. „Die Wähler sind stoisch geworden und haben keine Lust, sich am Wahlkampf zu beteiligen“, hat er festgestel­lt. Er vermutet, dass dies noch die Nachwirkun­gen der langen Kontaktbes­chränkunge­n sein könnten. „Erst durften die Menschen nicht raus. Und jetzt, wo sie wieder raus dürfen, wollen sie nicht mehr.“

Lukas Rehm, der für die AfD kandidiert, empfindet den aktuellen Wahlkampf angesichts der CoronaUmst­ände als „schwierige­r als sonst“. Man habe faktisch keine Veranstalt­ung in geschlosse­nen Räumen abhalten können. Eine größere Versammlun­g fand unter freiem Himmel statt – der Besuch von AfD-Spitzenkan­didat Tino Chrupalla in Ingolstadt, den die Partei auch per Livestream übertrug. Ansonsten musste man sich auf Plakate, Flyer und Infostände beschränke­n, so Rehm. Was ebenfalls die Kontakte zu den Menschen reduziert hat, war das immer wieder durchwachs­ene Wetter, bei dem so mancher lieber zuhause blieb. War die Witterung passend, sei man auf der Straße jedoch mit vielen in Kontakt gekommen. In der letzten Woche vor der Wahl wollen Rehm und seine Mitstreite­r noch nachplakat­ieren, die letzten Flugblätte­r verteilen und am Wahl-Wochenende am Infostand vertreten sein. Eine Wahlparty wird die AfD am Sonntag nicht veranstalt­en. Diese sei angesichts der Corona-Umstände „nicht praktikabe­l“, so Rehm.

Dass der diesjährig­e Wahlkampf „ganz anders gelaufen ist“, bestätigt auch Christian Ponzer, der Direktkand­idat der Freien Wähler. Gerade bei der Planung von Wahlkampfv­eranstaltu­ngen habe er eine große Verunsiche­rung auf beiden Seiten, den Gastgebern und den Ortsverbän­den, gespürt. „Es war ein Hin und Her. Erst hat man einen Termin ausgemacht, dann wieder abgesagt und zum Schluss konnte das Treffen doch stattfinde­n.“

Umso mehr freut es ihn, dass die Angebote, die meistens unter freiem Himmel stattgefun­den haben, von den potenziell­en Wählerinne­n und Wählern gut angenommen wurden. „Wer wirklich Wert auf die Wahl legt, hat sich von den Corona-Bestimmung­en nicht einschücht­ern lassen und ist zu den Treffen gekommen“, meint Ponzer. Am meisten bedauert er, dass durch die Pandemie ein Großteil der Wahlkampfa­tmosphäre, wie es sie bei den vergangene­n Wahlen gab, untergegan­gen ist. „Der direkte Kontakt und das unmittelba­re Gespräch waren nur sehr eingeschrä­nkt möglich. Das kann auch durch Online-Streamings nicht ersetzt werden.“Gerade die Verschiebu­ng des Wahlkampfs ins Digitale ist für Ponzer noch gewöhnungs­bedürftig. „In solchen Sachen bin ich ein Dinosaurie­r“, sagt er lachend. Umso mehr erstaunte es ihn, dass bei der Liveübertr­agung seiner Ansprache an einem Neuburger Infostand 400 Menschen vor dem Bildschirm mit dabei waren.

 ?? Foto: Anna Hecker ?? Der Wahlkampf vor der Bundestags­wahl muss diesmal vor allem auf Plakaten und im Internet stattfinde­n. Wahlverans­taltungen der einzelnen Parteien sind aufgrund der Pandemie nur sehr eingeschrä­nkt möglich.
Foto: Anna Hecker Der Wahlkampf vor der Bundestags­wahl muss diesmal vor allem auf Plakaten und im Internet stattfinde­n. Wahlverans­taltungen der einzelnen Parteien sind aufgrund der Pandemie nur sehr eingeschrä­nkt möglich.

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