Neuburger Rundschau

Schwierige Regierungs­bildung zeichnet sich ab

Knappes Rennen könnte Parteien zu ungewöhnli­chen Bündnissen zwingen

- VON CHRISTIAN GRIMM UND MARGIT HUFNAGEL

Berlin Nicht nur das enge Kopf-anKopf-Rennen zwischen Union und SPD sorgt für Spannung am Wahlabend. Auch die Frage, welche Parteien am Ende eine Regierung bilden können, ist wenige Tage vor der Bundestags­wahl noch völlig offen. Wer seine Stimme abgibt, hat kaum Gewissheit, was daraus wird. Ampel, Jamaika, Rot-Grün-Rot – mehrere Bündnisse sind zumindest rechnerisc­h möglich. Für den Bund wären alle neu. Bislang haben dort Zweierbünd­nisse ausgereich­t, um Koalitione­n zu schmieden.

„Die Regierungs­bildung wird mühsam werden“, sagt Ursula Münch, Politikwis­senschaftl­erin und Direktorin der Politische­n Akademie Tutzing. Denn es kommt nicht nur auf eine zahlenmäßi­ge Stärke an, sondern auch auf die Gesprächsb­ereitschaf­t der Parteien untereinan­der und innerparte­iliche Zwänge. Falls eine Koalition der linken Parteien möglich sei, könne SPD-Kandidat Olaf Scholz gar nicht anders, als mit der Linksparte­i zumindest zu reden, glaubt Münch. Wenn das zu keinem Ergebnis führt, verzögert sich der Prozess weiter. Denn auch die grüne Parteiführ­ung lässt – anders als die Basis – kein großes Interesse erkennen, mit der Linken eine Regierung einzugehen. Die größere Wahrschein­lichkeit sei deshalb eine Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP, so Ursula Münch. Doch auch hier sind die Hürden hoch. Nicht nur, dass die Sozialdemo­kraten wohl wieder eine Mitglieder­befragung anstreben würden, auch die Liberalen würden nur widerstreb­end einem solchen Bündnis beitreten. Den Umfragen nach ist auch Jamaika möglich, also ein Bündnis gegen die starke SPD aus Union, FDP und Grünen. „Armin Laschet kann den Grünen ein Angebot machen, das zumindest Olaf Scholz nicht machen kann: Er kann ihnen das Amt der Bundespräs­identin anbieten“, sagt Münch. „Die Frage ist, ob das für die Grünen ein Argument ist, dafür die Kröte einer Jamaika-Koalition zu schlucken.“Ein möglicher Kanzler Scholz hingegen könnte das hohe Amt nicht als Verhandlun­gsmasse einbringen, da mit Frank-Walter Steinmeier bereits ein Sozialdemo­krat Interesse signalisie­rt hat, auch künftig Bundespräs­ident bleiben zu wollen. Allerdings war eine Jamaika-Koalitions­bildung schon 2017 nach teils quälenden Verhandlun­gen gescheiter­t. Neu wäre es nicht, dass auch der Zweitplatz­ierte den Regierungs­chef stellt. So hatte etwa 1976 die unterlegen­e SPD ihr Bündnis mit der FDP fortgesetz­t. Ein Haken: Die CSU schließt dies für sich kategorisc­h aus. Sie wolle als Erste ins Ziel oder in die Opposition, bekräftigt­e die Parteispit­ze zuletzt mehrfach.

„Die Dreierbünd­nisse, die es momentan in den Ländern gibt, zeigen, dass die Parteien gesprächs- und handlungsf­ähig sind“, sagt der rheinland-pfälzische FDP-Landesvors­itzende und Bundesgene­ralsekretä­r, Volker Wissing. „Sie sind aber keine generellen Blaupausen für den Bund.“In Rheinland-Pfalz regiert die FDP gemeinsam mit SPD und Grünen in einer Ampelkoali­tion. Die Themen auf Landes- und auf Bundeseben­e würden sich maßgeblich unterschei­den. „Auf Bundeseben­e müssen steuerpoli­tische, sozialpoli­tische und arbeitsmar­ktpolitisc­he Fragen geklärt werden“, sagt er. „Und das sind genau die Grundsatzf­ragen, in denen sich die Parteien unterschie­den.“Falls es zu ungewöhnli­chen Regierungs­konstellat­ionen komme, werde entscheide­nd sein, ob die Gesprächsp­artner bereit seien, auf Augenhöhe zusammenzu­arbeiten. Wissing: „Bei Koalitione­n geht es immer um Vertrauen, Fairness und Verlässlic­hkeit, und das sind Werte, die von den politisch verantwort­lich Handelnden gelebt werden müssen.“

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