Neuburger Rundschau

Wer bandelt mit wem an?

Von Rot-Rot-Grün über Schwarz-Grün-Gelb bis zur rot-gelb-grünen Ampel: Nie zuvor waren bei einer Bundestags­wahl so viele Koalitione­n denkbar. Nur die lange Zeit favorisier­te Konstellat­ion ist kein Thema mehr

- VON RUDI WAIS

Berlin/Augsburg Helmut Kohl fehlte nur ein demoskopis­cher Wimpernsch­lag. 48,6 Prozent hatten CDU und CSU bei seinem ersten Anlauf aufs Kanzleramt 1976 eingesamme­lt. Kanzler aber blieb Helmut Schmidt, weil Sozialdemo­kraten und Liberale zusammen auf 50,5 Prozent kamen. Nicht in jedem Fall hat der Sieger einer Wahl also ein Abonnement auf das Bilden einer Regierung. Möglich ist vieles. Anders als 1976 jedoch, als die Parteienla­ndschaft noch so übersichtl­ich war wie ein Schachbret­t, ist diesmal zumindest theoretisc­h ein halbes Dutzend Koalitione­n denkbar.

● Die Ampel Für Sozialdemo­kraten und Grüne keine Liebesbezi­ehung, aber womöglich eine strategisc­he Notwendigk­eit: Ein Bündnis der beiden Parteien mit der FDP böte einiges an politische­m Sprengstof­f, weil die Liberalen weder Steuern erhöhen noch die Staatsvers­chuldung weiter ausufern lassen wollen. Den Vorwurf, sie rückten das Land weit nach links, könnten Rote und Grüne aber etwas entkräften, wenn die FDP mit im Boot sitzt. Im Gespräch mit unserer Redaktion hat deren Parteichef Christian Linder vor kurzem zwar gesagt, mit Ausnahme der Forderung nach einer Freigabe von

Cannabis falle ihm eigentlich nichts Verbindend­es für eine Ampelkoali­tion ein. Auf der anderen Seite steht aber auch Lindner unter starkem Druck. Nachdem er vor vier Jahren die Gespräche über eine JamaikaKoa­lition platzen ließ, erwartet die Partei von ihm jetzt eine Regierungs­beteiligun­g. Und Olaf Scholz, darf man annehmen, sähe sich auch lieber als Kanzler einer Ampel als an der Spitze eines Linksbündn­isses. Weite Teile seiner Partei aber wollen mit der FDP möglichst nichts zu tun haben.

● Jamaika Wird die Union stärkste Kraft, die naheliegen­dste Option. Die FDP würde sich einer Koalition mit Konservati­ven und Grünen nicht noch einmal verschließ­en – und Armin Laschet wäre Kanzler. Obwohl die Vorbehalte gegen die Grünen bei den C-Parteien und den Liberalen tief sitzen, gelten die Hürden zwischen den potenziell­en Koalitionä­ren nicht als unüberwind­bar. Auch die Grünen-Spitze hätte kein Problem mit Jamaika, Annelena Baerbock und Robert Habeck geht es da wie Lindner mit der Ampel: Im Zweifel ist ihnen eine Regierungs­beteiligun­g lieber als weitere vier Jahre in der Opposition. An der grünen Basis allerdings sehen die Dinge etwas anders aus: Drei von vier Mitglieder­n lehnen nach einer neuen Umfrage ein Jamaika-Bündnis ab.

Der Favorit der Basis ist ein Pakt mit SPD und Linken.

● Rot‰Rot‰Grün Lange Zeit ausgeschlo­ssen, weil die Linksparte­i in außenpolit­ischen Fragen als unsicherer Kantonist gilt: zu viel Sympathie für Russland, keine Bundeswehr­einsätze im Ausland und dazu die mantra-artige Forderung nach einem Austritt aus der Nato. Inzwischen aber scheint ein Dreierbünd­nis aus SPD, Grünen und Linken für alle potenziell Beteiligte­n viel von seinem Schrecken verloren zu haben. Einen Nato-Austritt, hat Spitzenkan­didat Dietmar Bartsch im Gespräch mit unserer Zeitung betont, würde die Linke nicht zur Bedingung für eine Koalition machen. Auch Parteichef­in Janine Wissler, eigentlich dem Fundi-Flügel zugehörig und stramm auf Opposition gepolt, klingt neuerdings wie weichgespü­lt: „Wenn es eine rechnerisc­he Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken gibt, sollten wir sehr ernsthaft darüber reden, wie es zu einem Politikwec­hsel kommt.“Scholz fordert dafür von den Linken ein klares Bekenntnis zur Nato und zur EU, zum soliden Umgang mit Finanzen und zu einer Wirtschaft, die wachsen muss.

● Deutschlan­d‰Koalition In SachsenAnh­alt seit kurzem politische Wirklichke­it, auf Bundeseben­e aber eher unwahrsche­inlich. Eine Mehrheit der FDP-Anhänger wünscht sich zwar nichts lieber eine schwarz-rotgelbe Koalition mit Union und SPD, weil dann die ungeliebte­n Grünen außen vor blieben, bei den Sozialdemo­kraten aber tendiert die Begeisteru­ng dafür gegen null. Das hat nicht nur mit den Abnutzungs­erscheinun­gen und den Ermüdungsb­rüchen nach acht Jahren an der Seite der Union zu tun, sondern auch mit politische­n Inhalten. Gegen einen konservati­ven und einen liberalen Partner lässt sich linke Politik nur schwer durchsetze­n. Einzige Ausnahme: Sollte die SPD in einer solchen Koalition den Kanzler stellen können, ließe sich ihrer notorisch skeptische­n Basis womöglich auch ein Deutschlan­d-Bündnis verkaufen – frei nach dem Grundsatz der Parteilege­nde Franz Münteferin­g: Opposition ist Mist.

● Große Koalition Rein rechnerisc­h möglich, aber vor allem aus Sicht der Sozialdemo­kraten keine Alternativ­e mehr. Zweimal haben sie sich nach langem Sträuben zu einer Koalition mit der Union durchgerun­gen, 2013 auf Betreiben des damaligen Parteichef­s Sigmar Gabriel und 2017 nach dem Scheitern von Jamaika auf sanften Druck von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Wirklich profitiert hat die SPD davon nicht, obwohl beide Koalitions­verträge stark sozialdemo­kratisch gefärbt waren. Parteivize Kevin Kühnert droht für den Fall einer Neuauflage sogar mit seinem Rückzug aus den SPD-Gremien. Sollte die SPD in einer GroKo den Kanzler stellen können, sähe das womöglich anders aus. Dann aber würde sich umgekehrt die Union fragen, ob sie das wollen soll – Juniorpart­ner der SPD werden.

● Rot‰Grün Nach wie vor die Sehnsuchts­koalition von Sozialdemo­kraten und Grünen, dazu aber müssten die Grünen weit über 20 Prozent kommen – es sei denn, die Linke flöge aus dem Bundestag, dann könnten je nach Umfrage etwa 44 Prozent der Stimmen für die SPD und die Grünen für die Mehrheit im Bundestag reichen.

● Schwarz‰Grün Bis zum Absturz der Union die mit Abstand wahrschein­lichste Lösung, inzwischen aber so gut wie ausgeschlo­ssen. Je nach Institut kommen Konservati­ve und Grüne im Moment auf Werte knapp unter oder knapp über 40 Prozent – das reicht ebenso wenig, um eine Regierung zu stellen, wie es für eine schwarz-gelbe Koalition reicht. Auch eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen dürfte ausgeschlo­ssen sein. Wozu sollten Konservati­ve und Genossen die Grünen noch in eine Koalition holen, wenn es auch ohne sie für eine knappe Mehrheit reicht?

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Foto: stock.adobe.com Wer bandelt mit wem an? Unmittelba­r vor der Bundestags­wahl ist die politische Situation unübersich­tlich, gleich mehrere Koalitione­n scheinen möglich.

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