Als ob Trump am Rio Grande Regie führt
Der Zustrom von Migranten aus Haiti bringt die US-Regierung in Bedrängnis. Und Joe Biden befindet sich in einem Dilemma
Washington Es sollte die Woche der außenpolitischen Botschaften werden: ein Bekenntnis zur multilateralen Weltordnung vor den Vereinten Nationen am Montag, ein Treffen mit den Partnern des neuen Indopazifik-Pakts im Weißen Haus am Freitag. Am Mittwoch verkündete US-Präsident Joe Biden die Verdoppelung der Impfspenden für ärmere Länder. Doch als seine Sprecherin Jen Psaki vor die Presse trat, interessierte sich dafür niemand. Im Fokus der Nachfragen stand ein heikles innenpolitisches Thema: die Lage an der Grenze zu Mexiko.
Dort spielen sich im texanischen Del Rio Szenen ab, die nach Einschätzung der New York Times „direkt aus dem (Anti-)Einwanderungs-Drehbuch von Donald Trump stammen könnten“. Unter einer Autobahnbrücke campieren tausende Migranten aus Haiti, die
„Menschen sollten so nie behandelt werden“, erklärte Vizepräsidentin Kamala Harris. Bidens Sprecherin Psaki nannte die Bilder „schrecklich“und versicherte: „Wir werden diese unmenschliche Behandlung nicht dulden.“Doch die Distanzierung von den schockierenden Auswüchsen ändert nichts an der grundsätzlichen Haltung der BidenRegierung, die an Abschiebungen in das von politischem Chaos, Gewalt und Hunger erschütterte Haiti festhält. Aus Protest dagegen trat der US-Sonderbeauftragte für den Inselstaat, Daniel Foote, zurück.
Der Präsident befindet sich in einem Dilemma. Im Februar hatte Biden versprochen, „die nationale und moralische Schande der vorhergehenden Regierung“in der Einwanderungspolitik zu beenden. Doch viele seiner administrativen Veränderungen werden von Gerichten und Bürokratie ausgebremst, seine große Reform des Einwanderungsrechts blockieren die Republikaner im Kongress. Gleichzeitig ist der Andrang illegaler Migranten an der Grenze in einem Maße hochgeschnellt, das die Regierung nicht erwartet hatte und die Republikaner für scharfe Polemik nutzen.
„Was die Welt derzeit erlebt, sind die Folgen der Politik der offenen Grenzen der Biden-Regierung“, wettert Texas’ republikanischer Gouverneur Greg Abbott: „Sie zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Das schafft ein totales Chaos.“TVwirksam ließ der Verbündete von Ex-Präsident Trump am Ufer des Rio Grande mit Behörden-Fahrzeugen eine „Barriere aus Stahl“errichten, die angeblich Menschen hindern soll, die Grenze zu überqueren.
So einfach kann sich die BidenRegierung die Sache nicht machen. Sie hat begonnen, hunderte Migranten in Del Rio in Flugzeuge zu setzen und nach Haiti abzuschieben. Das stößt auf Protest von Menschenrechtlern und auch führenden Demokraten. „Wir dürfen nicht diese hasserfüllte und fremdenfeindliche Trump-Politik fortsetzen, die unsere Flüchtlingsgesetze missachtet“, kritisierte Chuck Schumer, Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, offen. Die Abschiebungen sind heikel, weil die meisten Migranten ihre ursprüngliche Heimat Haiti schon vor Jahren verlassen haben und zuletzt anderswo in Südamerika lebten. Nachdem sich ihre Situation durch die Corona-Pandemie dort verschlechterte, haben sie sich auf die gefährliche Reise gen Norden begeben – offenbar auch dazu verleitet durch Falschinformationen in Online-Netzwerken.