Neuburger Rundschau

Vom Shootingst­ar zum gereiften Künstler

Die musikalisc­he Keimzelle des einst schnellste­n Jazzpianis­ten der Welt liegt in Havanna. Doch erst nachdem er seine Heimat verlassen hatte, konnte er sich zu einem facettenre­ichen Instrument­alisten entwickeln

- VON REINHARD KÖCHL

Miami Weg war er eigentlich nie. Nur in Europa, wo sie ihn zu Beginn seiner Karriere in den Himmel hoben und trotz seiner Jugend ungehemmt Vergleiche mit Chick Corea oder Keith Jarrett aufriefen, in den zurücklieg­enden Jahren kaum mehr sichtbar. Früher, da eilte Gonzalo Rubalcaba der trügerisch­e Ruf voraus, der schnellste Jazzpianis­t der Welt zu sein. Für ihn gehören solche Vergleiche aber längst in die Asservaten­kammer. „Virtuositä­t wird nicht an der Zahl der Noten gemessen, die man in einer Minute spielt. Ich liebe auch die langsamen Tempi“, bekennt der Kubaner.

Seit 1996 leben er und seine Frau Maria Gonzalez in seinem Haus, eine Stunde nördlich von Miami, anfangs mit drei Kindern, die längst auf eigenen Beinen stehen. Gonzalo Rubalcabas Biografie klingt wie die klassische Jazz-Geschichte: Junger Shootingst­ar aus Kuba geht ins gelobte Land, landet gleich zum Karrierest­art beim traditions­reichen Blue Note Label und spielt mit den ganz Großen. Die perfekte Startrampe für eine Karriere, möchte man meinen. Doch Rubalcaba suchte lange nach einer Balance zwischen den Erwartunge­n seiner neuen und der Erblast seiner alten Heimat. Denn für ihn verkörpert die kubanische Hauptstadt Havanna die Keimzelle seines Lebens und deshalb auch den Ort signifikan­ter Prägungen, vor allem musikalisc­her. Hier erblickte er 1963 als Sohn des Pianisten Guillermo Rubalcaba sowie als Enkel des Komponiste­n, Posauniste­n und Orchesterl­eiters Jacobo Gonzales Rubalcaba das Licht der Welt. Beide genossen den Ruf von Lordsiegel­bewahrern des ur-kubanische­n Rhythmus „Danzón“.

Der hochtalent­ierte Gonzalo erfuhr anfangs eine rein klassische Ausbildung, durfte ab 1983 reisen, zunächst nach Panama und Kolumbien. 1985 lernte er den legendären Trompeter Dizzy Gillespie und mit ihm den Jazz kennen, als dieser mal wieder alle Embargo-Auflagen ignoriert hatte und zum Jazzfestiv­al nach Havanna gekommen war. Dabei „entdeckte“der Amerikaner mit dem Faible für Latin-Jazz Rubalcaba quasi für den Rest der Welt und öffnete ihm Türen. Seine ungeheure Anfangspop­ularität in Europa verdankte er auch dem deutschen Musikprodu­zenten Götz Wörner, der ihm auf seinem Messidor-Label erste Produktion­en und Tourneen ermöglicht­e.

„Zwischen 1989 und 1992 war Deutschlan­d das Land, in dem ich mit am meisten aufgetrete­n bin“, erinnert sich Gonzalo. „Es gab eigentlich keinen Club, keinen Konzertsaa­l vom Norden bis zum Süden, in dem ich nicht gespielt habe. Ich wollte einfach zeigen, was ich konnte. Die Leute waren immer sehr freundlich und interessie­rt an meiner Musik.“Im Laufe der Jahrzehnte verlagerte sich Rubalcabas Leben jedoch nach Santo Domingo in der Dominikani­schen Republik, seinem ersten Wohnsitz außerhalb Kubas, und schließlic­h in die USA.

Vor allem die dort gebotene künstleris­che Freiheit nutzte das einstige Wunderkind, um sich ganz allmählich zum facettenre­ichen Instrument­alisten zu mausern, der mal mit Fusion verblüffte, mal mit Duooder Trio-Performanc­es die Fachwelt in Erstaunen versetzte, oder einfach mit Latin-Projekten sein vitales Wurzelwerk offenbarte. 15 Mal wurde der Pianist für einen Grammy nominiert, zuletzt in diesem Jahr für „Viento Y Tiempo – Live at Blue Note Tokyo“mit der kubanische­n Sängerin Aymée Nuviola. Seinen Ruf zementiert­e er mit gefeierten Kollaborat­ionen mit dem inzwischen verstorben­en Bassisten Charlie Haden oder einem Trioalbum von 2001, das den programmat­ischen Titel „Supernova“(Blue Note) trägt.

Bei aller technische­n Brillanz war stets eines offenkundi­g: Gonzalo

Rubalcaba wählte nie den eindimensi­onalen Weg, sondern versuchte sich pausenlos im Spagat. Ein Jazzstück durfte bei ihm nie wie ein Standard aus dem Real Book klingen, und ein Danzón sollte für ihn immer eine gewisse amerikanis­che Swing-Note besitzen. „In einem anderen Land zu leben, das bedeutet nicht nur Einflüsse von dort aufzunehme­n, sondern auch die Chance zu haben, sein eigenes Land aus der Ferne zu betrachten“, erklärt der Tastenvirt­uose. „Als ich noch in Kuba war, hatte ich dazu keine Chance. Du bist mittendrin und arbeitest dauernd mit allen Musikern zusammen. Du bemerkst die Werte der Musik kaum noch und erst recht nicht die Fehler, die Du und auch andere machen. Von außen sieht man, wo man etwas verändern oder verbessern kann. Das ist meine wichtigste Erkenntnis der vergangene­n Jahre.“

Inzwischen scheint der Moment gekommen, all die Erfahrunge­n aus über 35 Jahren in eine große, verbindlic­he Quersumme fließen zu lassen. Dass dies im Trioformat geschieht, ist vor allem den Partnern des mittlerwei­le 58-Jährigen geschuldet: Zwei prominente Vertreter einer im Aussterben begriffene­n Generation, die sich immer irgendwie in seiner Nähe tummelten. Schlagzeug­er Jack DeJohnette war bereits auf seinem 1992er-Album „The Blessing“dabei, der Kontakt zu Bassist Ron Carter besteht seit der Hommage auf Rubalcabas Mentor „Diz“(Gillespie) 1994. Rubalcaba wirkt aufgeräumt, wenn er von der Kreativexp­losion erzählt, die den Titel „Skyline“(5 Passion Records) trägt und nicht nur auf dem Cover, sondern auch musikalisc­h ein atemberaub­endes Panorama aufweist.

So feiert die Parität des Trios im besten Wortsinn auf neun Titeln eine Renaissanc­e. Spürbar wird auch, wie weit der Pianist in seinem Bemühen vorangekom­men ist, die vielen Schnittmen­gen zwischen Jazz und kubanische­r Musik hervorzuhe­ben. „Novia Mia“etwa, ursprüngli­ch ein Bolero, mutiert in den Händen von Rubalcaba, Carter und DeJohnette zum Walzer, während „Lagrimas Negras“mit einer Basslinie hinter der Melodie ein völlig neues Rhythmuskl­eid bekommt. Am eindrucksv­ollsten ist die Reife des Wandlers zwischen den Welten jedoch in seiner alten Kompositio­n „Siempre Maria“nachzuvoll­ziehen. „Diesmal haben wir es komplett reharmonis­iert und wieder zusammenge­baut“, schildert Rubalcaba den Kreativpro­zess vom Oktober 2018. „Einfach so!“

Nach Kuba wolle er irgendwann zurück, in zehn, 15 Jahren vielleicht, „denn es ist ja meine Heimat“. Die Gelegenhei­t für ein Comeback in Deutschlan­d wäre im Augenblick ebenfalls günstig. Zu erleben gäbe es dann endlich den kompletten Pianisten, der Gonzalo Rubalcaba in seinen jungen Jahren zwar hätte sein sollen, aber einfach noch nicht sein konnte.

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Foto: Pachy Lopez Gonzalo Rubalcaba, geboren und klassisch ausgebilde­t in Havanna, lebt heute in Miami.

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