Neuburger Rundschau

„Christo hat mich auf den Geschmack gebracht“

Der Triumphbog­en in Paris ist verhüllt und wird von Tausenden bestaunt. Felix Dickenberg­er hat mit seinem Team die Verpackung realisiert – und spricht von weiteren Projekten des verstorben­en Künstlers

- Interview: Christa Sigg

Herr Dickenberg­er, Sie waren Projektman­ager bei der Verhüllung des Arc de Triomphe. Wie kommt man zu einem Job bei Christo? Dickenberg­er: Robert Meyknecht, unser Geschäftsf­ührer, ist Ballonfahr­er. Und weil es im Winter nichts zu tun gab, begann er Ballone zu warten und selbst zu bauen. Dazu braucht man große Langarm-Nähmaschin­en mit einer Spannweite von 60 bis 100 Zentimeter­n, damit kann man auch textile Sonderkons­truktionen umsetzen. Was die Kunst betrifft, ging es vor genau zehn Jahren in Oberhausen los mit einem riesigen Mond, den wir auf einem Gasometer installier­t haben. Wolfgang Volz, der Exklusiv-Fotograf von Christo, hat das damals kuratiert, und so ergab sich dann 2013 die Mitarbeit an Christos „Big Air Package“. Das war eine mächtige Stoffskulp­tur im Inneren des Gasometers. Dann kamen auch schon die „Floating Piers“auf dem Lago d’Iseo. Seither fragt uns niemand mehr, ob wir das können.

Am Arc de Triomphe ging es über 50 Meter in die Höhe. Eigentlich wäre alles ganz leicht: Zwei Riesen nehmen eine Vorratspac­kung Klopapier und wickeln das Gebäude ein. Dickenberg­er: Genau so fing Christo aber an. Er hat immer erst ein kleines Modell mit Stoff umwickelt. Dann sind Leute wie wir ins Spiel gekommen und haben das auf ein realisierb­ares Modell übertragen. Im Vergleich zu Christos Küchentuch hängen riesige Stoffbahne­n ja schnell durch. Deshalb muss man diese Hülle in Teile zerlegen, für den Arc de Triomphe sind es jetzt 40 Stoffbahne­n.

Sie brauchten sehr stabiles Material, was haben Sie verwendet? Dickenberg­er: Polypropyl­en, das ist absolut wetterfest und wird sonst vor allem im Straßenbau und auf Sportplätz­en eingesetzt. Für den Arc wurde das Material blau eingefärbt und auf einer Seite mit Aluminium beschichte­t. Deshalb glänzt das jetzt so schön silbern.

Aus der Ferne wirkt es eher leicht und dünn.

Dickenberg­er: Tatsächlic­h ist dieses Material sehr hart, rau und schwer. Unsere Näherinnen konnten nur mit Handschuhe­n arbeiten. Zum Vergleich: Ballonstof­f wiegt 60 Gramm pro Quadratmet­er, das Kunststoff­material für den Arc 600 Gramm.

Diese Stoffbahne­n sind fertig genäht nach Paris gekommen?

Dickenberg­er: Ja, wir haben im Mai 2020 angefangen und bis November 2020 genäht, alles war jetzt so vorbereite­t, dass es am Gebäude nur noch hochgezoge­n und ausgewicke­lt werden musste.

Kann man das Material wiederverw­enden?

Dickenberg­er: Es wird am Ende geschredde­rt, eingeschmo­lzen, und dann könnte man wieder exakt die gleichen Planen herstellen. Christo war es immer wichtig, dass man alles recyceln kann. Für die zwei Wochen Verhüllung des Triumphbog­ens wurden immerhin 20 Tonnen Material verarbeite­t. Aus den orangen „Floating Piers“sind übrigens LKW-Rutschmatt­en geworden.

Wie viele Leute waren wie lange beschäftig­t?

Dickenberg­er: Bei uns haben sieben Näherinnen gearbeitet. Jede hat dann noch mal zwei Hilfskräft­e, die den schweren Stoff zuführen und halten. Andernfall­s entstehen keine geraden Nähte. Von unserer Seite stecken insgesamt zwischen 8000 und 9000 Arbeitsstu­nden in diesem Projekt – allein in Lübeck. Vor Ort waren wir zu dritt, aber natürlich sehr wenige im Vergleich zu den 120 Industriek­letterern. Dazu kamen die Stahlbauer, die zum Schutz des Gebäudes ein Gerüst um den Triumphbog­en gebaut haben. Insgesamt arbeiteten zwischen 400 und 500 Leute am Projekt.

Sie haben Christo noch kennengele­rnt, wie haben Sie ihn erlebt? Dickenberg­er: 2016 gab es immer mal einen Austausch am Lago d’Iseo. Christo hat ausschließ­lich für seine Kunst gelebt und war voller Visionen. Den Arc de Triomphe begann er ja schon 1962 zu planen, aus dieser Zeit stammen die ersten Zeichnunge­n und Fotomontag­en. Diese Vorstellun­gskraft hat mich völlig beeindruck­t.

Haben Sie sich vorher schon für Kunst interessie­rt?

Dickenberg­er: Ich habe Logistik studiert, Kunst war da eher fern. Aber Christo hat mich schon auf den Geschmack gebracht. Und natürlich auch die Arbeit bei den Luftwerker­n. Wir haben viel mit namhaften Künstlern zu tun. Etwa mit Maurizio Cattelan, als er im Blenheim Palace in der englischen Grafschaft Oxfordshir­e ausgestell­t hat. Die

Union Jacks, die im Schlossgar­ten ausgelegt waren, kamen von uns.

Wurde dort nicht das goldene Klo geklaut?

Dickenberg­er: Genau – mit dem Klo hatten wir allerdings nichts zu tun. Die meisten Künstler schätzen es nicht, wenn wir über ihre Projekte reden, deshalb muss ich mich mit weiteren Namen zurückhalt­en.

Der Arc de Triomphe gilt als Christos Vermächtni­s. Ist noch etwas geplant? Dickenberg­er: Es gibt Projekte, die nicht abgeschlos­sen sind. Geschichte­te Ölfässer etwa wie „The Mastaba“im Hyde Park in London. Da existieren zwar die Zeichnunge­n, aber Christo hat damals die Zusammenar­beit mit Saudiarabi­en eingestell­t. Auch in den USA wäre noch eine Sache: Der Arkansas River in Oklahoma sollte über zehn Kilometer hinweg überspannt werden. Als Donald Trump Präsident wurde, hat Christo die Planung sofort gestoppt. Er war absolut frei und unabhängig. Aber das konnte er auch sein, weil sämtliche Projekte über die Zeichnunge­n finanziert wurden. Christo musste nie Sponsoren zufriedens­tellen, und was ihm nicht in den Kram passte, hat er nicht gemacht. Für das Projekt am Arkansas River hatte er bereits über 11 Millionen Dollar investiert, doch Geld war ihm nicht wichtig.

Wer bezahlt Sie eigentlich? Dickenberg­er: Auch die Verhüllung des Arc de Triomphe wird über Christos Zeichnunge­n finanziert. Die sind ja nicht ganz billig. Und schon zu seinen Lebzeiten hat er für seine Projekte jeweils ein Unternehme­n gegründet. Von einer solchen Firma werden wir bezahlt – mittlerwei­le hält sein Neffe Wladimir Jawaschew die Fäden zusammen. Jetzt auch in Paris. Christo war es immer wichtig, dass nicht irgendein Team durch die Welt zieht und aufbaut. Er wollte, dass die Menschen vor Ort beteiligt sind und die lokale Wirtschaft profitiert. Wir aus Lübeck sind da eine Ausnahme. Aber das kann auch nicht jeder.

Felix Dickenberg­er, 27, stammt aus Lübeck. Er ar‰ beitet für die Firma „geo – Die Luftwerker“, zeitweise auch als Ballonfahr­er.

 ?? Foto: Getty Images ?? Bläulich schimmernd­e Stoffbahne­n verhüllen den Arc de Triomphe in Paris. Das Projekt des verstorben­en Künstlereh­epaars Christo und Jeanne‰Claude ist derzeit in der fran‰ zösischen Hauptstadt eine Attraktion.
Foto: Getty Images Bläulich schimmernd­e Stoffbahne­n verhüllen den Arc de Triomphe in Paris. Das Projekt des verstorben­en Künstlereh­epaars Christo und Jeanne‰Claude ist derzeit in der fran‰ zösischen Hauptstadt eine Attraktion.
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