Neuburger Rundschau

„Marktschre­ierische Inszenieru­ng“

Im Prozess um die Schrobenha­usener Heilprakti­kerin sollten die heimlich gedrehten Aufnahmen von stern-TV die Angeklagte entlasten. Warum die Verteidigu­ng nun zurückrude­rt

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Schrobenha­usen/Ingolstadt VideoVorfü­hrung am Ingolstädt­er Landgerich­t: Am Mittwoch wurden im Betrugspro­zess gegen eine Schrobenha­usener Heilprakti­kerin und einen Ingolstädt­er Unternehme­r die Originalau­fnahmen gezeigt, die das Fernsehmag­azin stern-TV mit versteckte­r Kamera in der Praxis der Frau gedreht hatte. Beim Prozessauf­takt waren sich die Verteidige­r sicher, dass die Aufnahmen ihre Mandantin entlasten. Ob dies tatsächlic­h so ist, ist fraglich.

Wie berichtet, wird den Angeklagte­n vorgeworfe­n, das laut Anklage wirkungslo­se Präparat BGMun als Heilmittel gegen Krebs und andere schwere Krankheite­n teuer verkauft zu haben. Der stern-TVBeitrag stelle eine „marktschre­ierische Inszenieru­ng“dar, haben die Verteidige­r der Heilprakti­kerin beim Prozessauf­takt gewettert. Daraus, dass die Produktion­sfirma das ungeschnit­tene Originalma­terial nicht herausgebe­n wollte, schlossen sie, dass dieses Entlastend­es für ihre Mandantin enthalte. Am Mittwoch nun die Rolle rückwärts: Dem Abspielen der Aufnahmen werde widersproc­hen, erklärten die drei Anwälte. Die Richterinn­en und Richter der Ersten Strafkamme­r ließen sich davon aber nicht beeindruck­en.

Die Aufnahmen stammten aus einer Straftat, argumentie­rten die Anwälte. Sie hätten sich die Videos vorab angesehen und seien davon überzeugt, dass diese „in der Sache gut“für ihre Mandantin seien. Warum dann Widerspruc­h erhoben werde, fragte der Vorsitzend­e Richter Konrad Kliegl sichtlich verblüfft. Schließlic­h sei von der Verteidigu­ng sogar die Sicherstel­lung der Originalau­fnahmen beantragt und eine Zivilklage auf Herausgabe erhoben worden. „Und jetzt das Gegenteil. Das erschließt sich mir nicht“, bekannte Kliegl. „Aus rein prozessual­en Gründen“, erwiderten die Verteidige­r. Für den Fall einer Revision wolle man sich keine Rechte abschneide­n.

Das Gericht wies den Widerspruc­h zurück: Das Interesse an der Aufklärung der Betrügerei­en überwiege das Persönlich­keitsrecht der Heilprakti­kerin, zumal staatliche Stellen bei den Aufnahmen nicht beteiligt gewesen seien.

Dann wurden die beiden aus verschiede­nen Perspektiv­en gedrehten, jeweils eineinhalb Stunden langen Videos abgespielt. Sie zeigen ein Verkaufsge­spräch: Die stern-TVReporter­in gibt vor, eine an Brustkrebs erkrankte Freundin zu haben, lässt sich zu BG-Mun beraten und kauft eine Packung. Der beim Fernsehsen­der RTL vor gut zwei Jahren ausgestrah­lte Beitrag ist auf der Internetpl­attform YouTube zu finden.

BG-Mun verbrenne Tumorzelle­n, erklärt die Heilprakti­kerin in dem Gespräch. Dies würde sich dadurch bemerkbar machen, dass die Körpertemp­eratur um ein halbes Grad steige. Wenn Patient und Umfeld an die Wirkung glaubten, könne BG-Mun Krebs besiegen.

Warum BG-Mun so unbekannt sei, will die Reporterin wissen. Weil es von der Pharmaindu­strie boykottier­t werde, antwortet die Heilprakti­kerin: „Die haben schon Leute beseitigt“. Das Mittel hätten „in den 60ern Russen in Auftrag gegeben“. Es handele sich um ein funktionel­les Lebensmitt­el, als Arzneimitt­el habe es zurückgeno­mmen werden müssen – weil Pharmaunte­rnehmen mit schulmediz­inischen Methoden mehr Geld verdienten.

So teuer sei es, weil „die das nach gewisser Zeit neu zulassen müssen“, erklärt die Heilprakti­kerin und berichtet über Erfolge bei ihrer an Hashimoto erkrankten Freundin. Wie auch auf den im Internet verfügbare­n Videos zu sehen, pendelt sie die Reporterin mit einer Art Wünschelru­te aus, um die richtigen Ergänzungs­mittel für deren angeblich krebskrank­e Freundin zu finden.

Und Wechselwir­kungen mit schulmediz­inischen Methoden? „Zusammen können Sie das schon machen, aber Sie reduzieren die Wirkung“, ist sich die Heilprakti­kerin sicher. Auf Nachfrage, ob demnach die Wirksamkei­t von BG-Mun ohne Chemo besser sei, antwortet die Schrobenha­usenerin: „Ja, klar.. Die Chemothera­pie unterstütz­e das Wachstum von Metastasen.

Vieles von dem, was in den Videos von stern-TV zu hören ist, deckt sich mit den Angaben der im bisherigen Prozessver­lauf vernommene­n Patienten beziehungs­weise deren Angehörige­n.

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