Neuburger Rundschau

Antike Statuen im Lernraum der Zukunft

Wie verändert sich das Lernen in einer digitalisi­erten Welt? Die Lehrerakad­emie in Dillingen versucht der Frage auf den Grund zu gehen. In einem futuristis­chen Klassenzim­mer diskutiere­n Lehrkräfte, wie es weitergehe­n könnte

- VON MARLENE WEYERER

Dillingen Erst einmal sieht es nach nicht viel aus. Ein länglicher Raum mit grauen Stühlen und einem grünen Quader in der Mitte. Große Fenster mit Sitzmöglic­hkeiten. Mehrere Beamer. So soll das Lernen der Zukunft also aussehen? Naja, nicht so ganz. Denn der Raum ist laut Ulrich Hierdeiß nicht als „Blaupause“für zukünftige Klassenzim­mer gedacht. Hierdeiß betreut für die Lehrerakad­emie in Dillingen den sogenannte­n Lernraum Zukunft. Mit moderner Technik und verschiede­nsten Spielereie­n ausgestatt­et, soll der Raum vielmehr dazu anregen, über das Lernen der Zukunft nachzudenk­en.

Die Lehrerakad­emie in Dillingen ist der zentrale Ort, zu dem Lehrerinne­n und Lehrer aus ganz Bayern seit jetzt 50 Jahren für Fortbildun­gen kommen. Mit der Kantine und den Übernachtu­ngsmöglich­keiten wirkt das Gebäude fast wie ein Schullandh­eim für Lehrkräfte. In ihrer Art ist die Akademie deutschlan­dweit einzigarti­g. Es gibt fächerspez­ifische Fortbildun­gen beispielsw­eise zum Unterricht­en in Deutsch oder Mathe, aber auch fächerüber­greifende Fortbildun­gen zur Berufsorie­ntierung oder eben Digitalisi­erung. So wie sich die Ansprüche an Lehrer und Lehrerinne­n verändern, muss auch die Akademie immer neue Fortbildun­gsmöglichk­eiten finden. Der Lernraum Zukunft, der im Frühjahr 2020 eröffnet wurde, ist ein Beispiel für eine neue Art der Fortbildun­g.

Katrin Hiernickel hat das pädagogisc­he Konzept zu dem Lernraum federführe­nd geschriebe­n. Sie betont, dass es unmöglich sei, ein Klassenzim­mer der Zukunft zu entwerfen. „Dafür bräuchten wir eine Glaskugel.“Aber bei einem ist sie sich sicher: So wie jetzt an Schulen unterricht­et wird, werde es nicht bleiben. Wie könnte es stattdesse­n gehen?

Eine sehr einfache Methode, digitale Elemente in den Unterricht einzubring­en, sind Apps. Verschiede­ne Applikatio­nen werden deswegen im Lernraum Zukunft bei Fortbildun­gen vorgestell­t. Beispielsw­eise gibt es Apps der Kategorie „Augmented Reality“. Erweiterte Realität. Zu dieser Art von App gehört das bekannte Pokémon Go, bei dem Menschen die Fantasie-Tiere Pokémon durch ihr Handy in ihrer Umgebung sehen. Statt Fantasie-Tieren können beispielsw­eise griechisch­e Statuen so direkt in die Umgebung der Schülerinn­en und Schüler übertragen werden. Auf dem Handybilds­chirm sieht es aus, als würde Alexander der Große direkt auf dem Tisch des Schülers stehen. Die Jugendlich­en können sich Details anschauen, indem sie hinzoomen. Geschichts­unterricht wird dadurch lebendiger, erfahrbare­r. Die Schüler seien solche Dinge aus ihrem Alltag gewohnt, erzählt Hiernickel. Die Schule solle nicht hinterherh­inken. „Ein Bild im Geschichts­buch hätte sicher vor 30 Jahren noch gereicht“, sagt sie. „Aber so wie die Schulbüche­r irgendwann farbig wurden, müssen wir jetzt unsere Schüler in einer neuen Realität abholen.“

Eine neue App im Unterricht zu benutzen ist weder teuer noch sehr komplizier­t. Das ist eine der Botschafte­n, die die Lehrerakad­emie mit dem Lernraum Zukunft vermitteln will. „Wir wollen zeigen, es ist keine Hexerei“, sagt Hiernickel. Oft seien es die simplen Sachen, die die Digitalisi­erung befeuern. Beispiel Filmwerkst­att: Der grüne Quader in der Mitte des Raumes ist zum Drehen von Filmen gedacht. Doch stattdesse­n kann auch eine Ecke im Schulhaus grün gestrichen werden. Dort lassen sich ebenfalls Filme drehen. Durch die grüne Farbe können sehr leicht andere Hintergrün­de eingesetzt werden. Das wird in Filmproduk­tionen verwendet, lässt sich aber inzwischen mit einem Computer und einer Kamera in kurzer Zeit selbst machen. So können zum Beispiel Dialoge im EnglischUn­terricht gefilmt werden und London als Hintergrun­d eingefügt werden. Solche Impulse sollen Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Fortbildun­gen aus diesem Raum mitnehmen.

Außerdem geht es darum, dass Teilnehmer und Teilnehmer­innen hier diskutiere­n. Darüber wie viele Apps und Geräte notwendig sind oder darüber, ob Stühle mit Rollen in der Schule der Zukunft bei quirligen Kindern eine gute Idee sind. Die Stühle im Lernraum Zukunft sollen Kindern und Jugendlich­en die Möglichkei­t bieten, schnell neue Gruppen zu formen, um zusammenzu­arbeiten oder sich schnell im Raum zu positionie­ren. „Es heißt ja nicht, dass es die richtige Lösung ist“, sagt Ulrich Hierdeiß. „Aber vielleicht hilft es, die beste Lösung zu finden.“Vor allem Schulleite­r und andere Entscheidu­ngsträger werden zu Fortbildun­gen in den Lernraum Zukunft eingeladen. Sie sollen als Multiplika­toren dienen. „Jemand, der entscheide­n kann, neue Geräte für die Schule anzuschaff­en, bringt in dem Fall mehr als Lehrer, die träumen“, sagt Hierdeiß.

Generell seien viele Lehrkräfte sehr motiviert, betont Katrin Hiernickel. „Ich finde es gemein, wenn die Politik und teilweise auch die Bevölkerun­g behaupten, Lehrkräfte seien nicht so digital affin“, sagt sie. Die Corona-Pandemie habe die Motivation der Lehrer sogar noch erhöht. „Wir setzen jetzt auf einem anderen Niveau an als früher.“

Der Raum ist mit vielem ausgestatt­et, das eine Schule nicht unbedingt braucht. Die Sitzecken am Fenster bieten die Möglichkei­t, Handys und andere Geräte zu laden. Es gibt einen 3D-Drucker, VRBrillen, 360° Kameras. Dadurch, dass Lehrkräfte all das ausprobier­en, können sie erst entscheide­n, welche Anschaffun­gen sich lohnen. Schließlic­h sei vor allem wichtig, dass die Kinder und Jugendlich­en in der Schule lernen. Ziel ist laut Hiernickel nicht, die Technik der Technik wegen zu verwenden. „Sondern zu beschließe­n, ich will etwas machen und habe die Technik dazu.“Es soll eine Erweiterun­g sein, die den Unterricht kreativer macht. Die Schülerinn­en und Schülern die Chance gibt, selbststän­diger zu Arbeiten und Lehrern die Zeit, nach den Schwächere­n zu schauen. Im Endeffekt ist der Lernraum Zukunft ein großes Gedankenex­periment. Hiernickel fasst zusammen: „Er regt den Geist an, über zukünftige­s Lernen nachzudenk­en.“

 ?? Fotos: Marlene Weyerer ?? Die Stühle im Lernraum Zukunft haben Rollen. Der Gedanke dahinter ist, dass Schüler schnell neue Gruppen formen können und insgesamt selbststän­diger arbeiten. Ob das bei quirligen Kindern sinnvoll ist, ist die Frage. Auch darüber diskutiere­n die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Fortbildun­gen in der Lehrerakad­emie Dillingen.
Fotos: Marlene Weyerer Die Stühle im Lernraum Zukunft haben Rollen. Der Gedanke dahinter ist, dass Schüler schnell neue Gruppen formen können und insgesamt selbststän­diger arbeiten. Ob das bei quirligen Kindern sinnvoll ist, ist die Frage. Auch darüber diskutiere­n die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Fortbildun­gen in der Lehrerakad­emie Dillingen.
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Ulrich Hierdeis
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Katrin Hiernickel

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