Neuburger Rundschau

Die Jungen sollten endlich auch für die Pflege auf die Straße gehen

Eine gute Versorgung in Kliniken und für alte Menschen ist gefährdete­r denn je. Vor allem, weil Fachkräfte fehlen. Warum kleine Verbesseru­ngen nicht mehr reichen

- VON DANIELA HUNGBAUR huda@augsburger‰allgemeine.de

Verdrängt wird vieles. Vor allem, was zu sehr ängstigt. Wer denkt schon gerne daran, schwer krank werden zu können, gar pflegebedü­rftig? Wer überlegt in jungen Jahren, wie er im Alter leben will, wenn die körperlich­en und geistigen Kräfte schwinden? Pflege wird für viele erst zum Thema, wenn sie selbst betroffen sind oder eine nahe stehende Person. Das muss sich ändern. Denn seit so vielen Jahren ist bekannt, wie groß die Not in der Pflege ist. Wie viele Pflegekräf­te schon vor Corona fehlten. Wie viele Pflegekräf­te völlig erschöpft sind. Wie viele pflegende Angehörige verzweifel­n. Wie misslich die Lage vieler Pflegebedü­rftiger ist. Und wie stark die Zahl der auf Hilfe Angewiesen­en in den nächsten Jahren noch steigen wird – auch in Bayern.

Dass das Thema Pflege im Wahlkampf

nur eine eher untergeord­nete Rolle gespielt hat, ist erschrecke­nd. Hat doch die Pandemie noch einmal verdeutlic­ht, wie sehr unser Gesundheit­ssystem auf Kante genäht ist. Dass alles von gut ausgebilde­ten Fachkräfte­n abhängt, weil auch zig weitere Intensivbe­tten nichts nützen, wenn das Personal fehlt, das die Menschen in diesen Betten betreuen kann. Doch nicht nur in Kliniken ist die Lage angespannt. Es fehlt beim Thema Pflege an allen Ecken und Enden.

Die Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern hat nun zurecht einen grundlegen­d neuen Gesamtentw­urf der pflegerisc­hen Versorgung gefordert. Gerade die Kommunen sind gefragt, neue Strukturen vor Ort aufzubauen. Andernfall­s ist eine wohnortnah­e Versorgung wie bisher nicht mehr realisierb­ar. Selbst einzelnen Politikern ist klar, dass ein „Weiter so“nicht möglich ist und die bisherigen „Reformen“viel zu wenig bringen: Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek fordert zurecht eine „Revolution“in der Pflege. Doch gefordert wurde schon viel, versproche­n auch.

Das Problem ist auch das Geld. Denn gute Pflege ist teuer. Und die Kosten werden in einer alternden Gesellscha­ft massiv steigen. Daher ist es höchste Zeit, die Finanzieru­ng der Pflege neu zu regeln. Eine solidarisc­h finanziert­e Bürgervers­icherung in die wirklich alle – auch Beamte und Selbststän­dige – einbezahle­n, ist zwar ein großes Anliegen von SPD und Grünen. Mit der FDP steht dieser Systemwech­sel aber wieder auf der Kippe.

Eine solide Finanzieru­ng ist die Basis für nachhaltig­e Verbesseru­ngen. Schließlic­h müssen vor allem die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege attraktive­r werden, damit sich viel mehr junge Leute für diesen wichtigen Beruf entscheide­n und die jetzt Aktiven auch lange und gesund dort arbeiten können.

Nicht vergessen werden dürfen aber bei einer echten Reform die vielen pflegenden Angehörige­n, der größte Pflegedien­st des Landes. Sie müssen endlich die Unterstütz­ung erfahren, die sie brauchen. Viele von ihnen stehen vor dem Burn-out. Was fehlt, sind etwa Kurzzeitpf­legeplätze. Es müssten generell viel mehr Tages- und Nachtpfleg­eplätze geschaffen werden. Und die Pflegeleis­tung der Angehörige­n muss wesentlich besser anerkannt werden. Auch finanziell. Die Pflege Angehörige­r muss den gleichen Wert genießen wie die Kindererzi­ehung.

Damit dies endlich nicht nur mit Worten gefordert, sondern in die Praxis umgesetzt wird, müssen die Bürger stärker aktiv werden. Fridays for Future hat gezeigt, wie mit Hartnäckig­keit ein existenzie­lles Thema zumindest die nötige Aufmerksam­keit erfährt. Auch die Pflege hat diesen Einsatz verdient, denn auch sie ist ein wichtiges Zukunftsth­ema. Menschen jeden Alters, auch junge Leute, sollten für eine gute Pflege auf die Straße gehen und damit zeigen, dass es ernst ist. Schließlic­h kann Pflegebedü­rftigkeit Menschen jeden Alters betreffen. Verdrängen hilft hier nichts.

Fridays for Future auch für die Zukunft der Pflege

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