Neuburger Rundschau

Die SPD rüstet sich für den Koalitions­poker

Wie kommt Olaf Scholz ins Kanzleramt? Am Sonntag beginnen die Gespräche mit FDP und Grünen. Parteichef Norbert Walter-Borjans rechnet mit Unions-Kandidat Laschet ab

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wird am Sonntag die Saat für eine künftige Ampel-Koalition im Bund gelegt? Jedenfalls beginnen dann in Berlin die Gespräche – zunächst zwischen SPD und FDP, anschließe­nd mit den Grünen. Das bestätigte am Mittwochna­chmittag SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil. Zuvor hatten sich bereits die Spitzen von Grünen und FDP getroffen. Beide Parteien werden auch von der Union umworben, die, obwohl bei der Wahl nur zweiter Sieger, ein Jamaika-Bündnis schmieden möchte.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wurmt das inzwischen gewaltig. Gegenüber unserer Redaktion bekräftigt­e er den Machtanspr­uch seiner Partei: „Die Regierungs­bildung erfolgt diesmal unter besonderen Vorzeichen. Die Vorgängeri­n des künftigen Bundeskanz­lers scheidet aus dem Amt, und die Wählerinne­n und Wähler haben unmissvers­tändlich zum Ausdruck gebracht, wen als Nachfolger wollen und wen nicht.“

Scharfe Kritik übt er am Kanzlerkan­didaten der Union: „Dass Armin Laschet es bis zum heutigen Tag nicht fertigbrin­gt, die Total-Abfuhr der Wähler anzuerkenn­en, sondern stattdesse­n verbissen um jeden Millimeter Macht feilscht, ist ein beschämend­es Armutszeug­nis für ihn und die ihn tragenden Parteien CDU und CSU.“Die SPD wolle nichts überstürze­n, aber auch nicht unnötig Zeit verlieren. Walter-Borjans: „Dass sich die potenziell­en Partner untereinan­der austausche­n wollen, ist zu respektier­en. Klar ist dabei aber, dass der Auftrag zur Regierungs­bildung bei der SPD liegt.“

Olaf Scholz als neuen Bundeskanz­ler verkünden, das kann die SPD also noch nicht – erst müssen Grüne und FDP überzeugt werden. Während noch nicht sicher ist, ob das wirklich gelingt, trifft die Partei bereits andere wichtige Personalen­tscheidung­en. So wählt die um 53 auf 206 Abgeordnet­e angewachse­ne

Bundestags­fraktion am Mittwoch in ihrer ersten regulären Sitzung ihren Vorsitz. Die Entscheidu­ng ist keine Überraschu­ng: Der alte Fraktionsc­hef ist auch der neue. Mit 97 Prozent der Stimmen wird Rolf Mützenich im Amt bestätigt. Der 62-Jährige hatte den Fraktionsv­orsitz 2019 von Andrea Nahles übernommen, als die überrasche­nd alle Parteiämte­r niederlegt­e.

Mützenich wird der Parteilink­en zugeordnet, Kanzlerkan­didat Olaf Scholz, der als pragmatisc­h und wirtschaft­sfreundlic­her Sozialdemo­krat gilt, hatte sich dafür ausgesproc­hen, dass der Kölner weiter Fraktionsc­hef bleibt – dieser sei „ein guter Mann“. Dadurch, dass er selbst nicht nach der Fraktionss­pitze griff, hatte Scholz auch klargemach­t, dass er voll auf die Kanzlersch­aft setzt. Würde Scholz tatsächsie lich Nachfolger von Angela Merkel (CDU), käme dem Chef der SPDRiege im Bundestag eine Schlüsself­unktion zu. Er müsste die Mehrheiten für den Kanzler organisier­en, was bei mutmaßlich drei Koalitions­partnern keine leichte Aufgabe wäre. Schon in der deutlich verjüngten SPD-Fraktion selbst gibt es große inhaltlich­e Spannungen zwischen linken und gemäßigten Kräften. Zuletzt herrschte ein Burgfriede, um das gemeinsame Ziel, mit Scholz den lange drohenden Sturz in die Bedeutungs­losigkeit zu vermeiden, nicht zu gefährden. Bis zu einer Regierungs­bildung dürften sich der linke SPD-Flügel und die oft rebellisch­en Jusos auch noch zurückhalt­en.

Doch sobald die Regierung steht, bräuchte es einen durchsetzu­ngsstarken Fraktionsc­hef mit hohem Organisati­onstalent und Nerven aus Drahtseile­n – Mützenich aber gilt als eher ruhiger, sensibler Zeitgenoss­e. So wird spekuliert, dass er nicht allzu lange auf diesem Posten bleibt. Gewählt ist er für zwei Jahre, doch parteiinte­rn ist er für das Amt des Bundestags­präsidente­n im Gespräch. Dieses Amt, formal das zweitwicht­igste im ganzen Land nach dem Bundespräs­identen, steht nach der Bundestags­tradition einer verdienten Kraft der stärksten Fraktion zu – noch amtiert CDUUrgeste­in Wolfgang Schäuble. Aber auch die SPD-Abgeordnet­e Aydan Özoguz wird als mögliche Kandidatin gehandelt.

Sollte Mützenich zum Bundestags­präsidente­n aufsteigen, könnte etwa der jetzige Generalsek­retär Lars Klingbeil Fraktionsc­hef und Einpeitsch­er für Scholz werden. Neben Olaf Scholz gilt er in der SPD als größter Gewinner dieser Wahl. Der 43-Jährige managte den erfolgreic­hen Wahlkampf und wirkte als Bindeglied zwischen linken und pragmatisc­hen, jungen und älteren Genossen. Jetzt ist Klingbeil aber erst einmal gefragt als Organisato­r der Sondierung­s- und möglicher Koalitions­gespräche mit Grünen und FDP. Sonntag geht es los.

Spekulatio­nen über Posten des Bundestags­präsidente­n

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Strahlende Gesichter und Entschloss­enheit ‰ die SPD zeigt sich vor dem Start der Sondierung­en über eine Regierung in aufgeräumt­em Zustand. Laut und eng wird es beim Gruppenbil­d der Abgeordnet­en mit Olaf Scholz und dem jubelnden Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. Dabei demonstrie­rten die Sozialdemo­kraten viel Eintracht – anders als tags zuvor die Union.
Foto: Michael Kappeler, dpa Strahlende Gesichter und Entschloss­enheit ‰ die SPD zeigt sich vor dem Start der Sondierung­en über eine Regierung in aufgeräumt­em Zustand. Laut und eng wird es beim Gruppenbil­d der Abgeordnet­en mit Olaf Scholz und dem jubelnden Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. Dabei demonstrie­rten die Sozialdemo­kraten viel Eintracht – anders als tags zuvor die Union.

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