Neuburger Rundschau

Unter den Augen des Adlers

Größer, jünger, weiblicher? Wie bunt ist das neu gewählte Parlament wirklich zusammenge­setzt? Eine Analyse zeigt: Vor allem die Grünen haben viele Neulinge und viele Frauen in ihren Reihen

- VON VANESSA POLEDNIA

Berlin Die Deutschen haben ihren Bundestag neu gewählt. Wer sie in den kommenden vier Jahren politisch vertreten wird, steht nun fest. Manche Experten hatten schon ein Parlaments­ungetüm von über 900 Abgeordnet­en befürchtet. Dabei hat Deutschlan­d schon lange das mit Abstand größte Parlament in Europa. Und nach China die größte politische Vertretung weltweit. Wie groß der Bundestag nun geworden ist und wie er sich zusammense­tzt – ein Übersicht in Zahlen und Fakten.

● Größe Ein Parlament XXL ist es nicht geworden, aber wieder einer der Größe XL: Mit 735 Abgeordnet­en ist der neue Bundestag dennoch der größte aller Zeiten. Im Bundeswahl­gesetz sind mindestens 598 Sitze vorgesehen – 299 für Direktkand­idatinnen und -kandidaten, 299 für Abgeordnet­e, die über die Landeslist­en einziehen. Es können aber mehr Listenmand­ate vergeben werden – nämlich dann, wenn eine Partei – wie die CSU in Bayern – mehr Direktmand­ate holt, als ihr nach dem Prozenterg­ebnis zustehen. Dann kommt es nach dem Wahlrecht zu Überhangs- und Ausgleichs­mandaten, um das Verhältnis der Parteien zueinander wieder herzustell­en. So wurden also dieses Mal 436 Listenplät­ze vergeben. Der neue Bundestag hat damit 26 Sitze mehr als der alte. Bereits seit der Wiedervere­inigung 1990 gehörten der Volksvertr­etung stets mehr als 600 Mitglieder an. Seitdem ist das Parlament stetig gewachsen.

● Alter Der Bundestag ist jünger geworden. Im Durchschni­tt sind die Abgeordnet­en 47,5 Jahre alt. Nach der Wahl 2017 waren es 49,4 Jahre. Knapp ein Drittel der Parlamenta­rier ist 40 Jahre oder jünger, 2017 waren dies nur 15 Prozent. Mit einem Altersdurc­hschnitt von 42,6 Jahren sind die Grünen am jüngsten. Mit der 23-jährigen Emilia Fester und dem gleichaltr­igen Niklas Wagener stellen die Grünen die jüngsten Abgeordnet­en überhaupt. Der AfD-Politiker Alexander Gauland ist mit 80 Jahren der älteste Abgeordnet­e. Dienstälte­ster Abgeordnet­e ist und bleibt Wolfgang Schäuble (CDU), der seit 1972 im Parlament sitzt. Die AfD stellt mit im Mittel 51,2 Jahren die älteste Fraktion.

● Geschlecht Wenn man bedenkt, dass rund die Hälfte der Bevölkerun­g weiblich ist, sind Frauen auch im neuen Bundestag unterreprä­sentiert. 255 Frauen wurden gewählt und sie machen damit rund 35 Prozent aus. Der Frauenante­il in diesem

20. Bundestag ist im Vergleich zum Ergebnis der letzten Wahl 2017 um vier Prozent angestiege­n, bleibt damit aber erneut unter dem bisherigen Höchststan­d von 37,1 Prozent, der in der 18. Wahlperiod­e 2013-2017 erreicht wurde. Den höchsten Frauenante­il stellen die

mit rund 58 Prozent. Den niedrigste­n Anteil hat die AfD mit 13 Prozent. Mit Awel Tesfaiesus, Direktkand­idatin der Grünen, zieht die erste schwarze Frau und mit Tessa Ganserer sowie Nyke Slawik ziehen zudem erstmals zwei Transfraue­n in den Bundestag ein.

● Neueinstei­ger Viele neue Gesichter finden sich auf den Foto-Kacheln der Abgeordnet­enseite des Deutschen Bundestags: 282 Frauen und Männer wurden erstmals ins Parlament gewählt, das sind 38 Prozent – also rechnerisc­h vier von zehn. Mit 57 Prozent wird es in der Grünen-Fraktion die meisten Neueinstei­ger geben. 62 Prozent der Parlaments­mitglieder sind dagegen in ihrem Mandat bestätigt worden. Berufspoli­tiker und -politikeri­nnen stellen dementspre­chend die größte Berufsgrup­pe im Parlament dar. Die meisten „alten Hasen“hat die Linke mit 79 Prozent, gefolgt von der Union mit 75 Prozent.

● Berufe und Bildung Nach einer Datenanaly­se der Süddeutsch­en Zeitung sind vor allem Personen besonders häufig vertreten, die in der UnGrünen ternehmens­organisati­on und Verwaltung arbeiten (57 Prozent), aber auch zahlreiche Juristinne­n und Juristen (14 Prozent). Lehrende Berufe sind demnach nun häufiger vertreten. Von den bisherigen Abgeordnet­en waren nur drei Abgeordnet­e aus dieser Gruppe, nun sind es

29. Viele Berufe – vor allem aus dem Niedrigloh­nbereich – sind dagegen gar nicht vertreten. So hat es beispielsw­eise die laut Bundeswahl­leiter einzige kandidiere­nde Reinigungs­kraft – Christiana Hofer aus Bayern (Partei für Veränderun­g, Vegetarier und Veganer) – nicht in den Bundestag geschafft. Die Zahl promoviert­er Abgeordnet­er ist dagegen vergleichs­weise hoch. 15 Prozent haben einen Doktortite­l. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 hatten rund 1,2 Prozent der Menschen in Deutschlan­d einen Doktortite­l, wie aus den Daten des Mikrozensu­s hervorgeht.

● Migrations­hintergrun­d Laut einer Recherche des Mediendien­stes Integratio­n haben mindestens 83 Abgeordnet­e des neuen Bundestags einen Migrations­hintergrun­d. Das ergibt bei 735 Abgeordnet­en insgesamt einen Anteil von 11,3 Prozent – ungefähr drei Prozentpun­kte mehr als nach der vorangegan­genen Bundestags­wahl. Die Linke hat mit 28,2 Prozent den höchsten Anteil an Abgeordnet­en mit persönlich­en Wurzeln im Ausland. Hier liegt der Anteil von Personen mit einer Einwanderu­ngsgeschic­hte über dem Anteil in der Gesamtbevö­lkerung von etwa 26 Prozent. Die Union ist nach wie vor die Fraktion mit dem geringsten Anteil von Menschen mit Migrations­hintergrun­d: 4,6 Prozent. 2017 waren es 2,9 Prozent.

● Fünfprozen­thürde Sowohl die Linke als auch der Südschlesw­igsche Wählerverb­and (SSW) haben weniger als fünf Prozent der Zweitstimm­en erhalten – und es dennoch in den neuen Bundestag geschafft. Die Linke kann mit 39 Mandaten entspreche­nd ihres Zweitstimm­energebnis­ses einziehen, da sie die Voraussetz­ung von drei gewonnenen Direktmand­aten erfüllt. Für den SSW gilt eine Besonderhe­it des Wahlgesetz­es. Parteien nationaler Minderheit­en sind von der Fünfprozen­thürde ausgenomme­n. Der Flensburge­r Stefan Seidler sitzt damit als alleiniger SSW-Vertreter im Reichstags­gebäude.

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Foto: Thalia Engel, dpa Unter dem strengen Blick des Bundesadle­rs werden im neuen Bundestag 735 Frauen und Männer Politik für Deutschlan­d machen. Das Parlament ist mit der Wahl am Sonntag wieder jünger und weiblicher geworden.

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