Neuburger Rundschau

Das große Feilschen

Bundesregi­erung und Bundesrat werden immer bunter. Die Zusammenar­beit macht das nicht leichter. Wird der Vermittlun­gsausschus­s am Ende das wichtigste Gremium der neuen Wahlperiod­e?

- VON RUDI WAIS Interview: Michael Pohl

Augsburg/Berlin Es war ein strategisc­hes Meisterstü­ck – und ein teures obendrein. Um seine Steuerrefo­rm im Sommer des Jahres 2000 durch den Bundesrat zu bekommen, musste der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit den Ländern feilschen wie auf einem orientalis­chen Basar. Seiner rot-grünen Koalition stand im Bundesrat eine Phalanx an Ländern gegenüber, die wie Bayern von der Union alleine, von Großen Koalitione­n, schwarz-gelb oder rotrot regiert wurden und dem Kanzler alles gönnten, nur keinen Erfolg. Am Ende allerdings stimmten mehrere von ihnen dann doch für die von Schröder geplanten milliarden­schweren Entlastung­en für Unternehme­r und Arbeitnehm­er.

Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Eberhard Diepgen hatten der Kanzler und sein Finanzmini­ster Hans Eichel 25 Millionen D-Mark für die Museumsins­el, 20 Millionen für die Sanierung des Olympiasta­dions und 75 Millionen für die Polizei versproche­n, Bremen köderten sie mit neuen Zugeständn­issen beim Länderfina­nzausgleic­h und Mecklenbur­g-Vorpommern mit 100 Millionen Mark für den Ausbau seiner Straßen. Angela Merkel, die neue CDU-Vorsitzend­e, war düpiert – die von der Union geplante Blockade hatte am Ende größere Löcher als der berühmte Schweizer Käse.

Wie Schröder könnte es bald auch dem nächsten Bundeskanz­ler ergehen, ob der nun Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt. Ähnlich bunt wie die nächste Bundesregi­erung ist nämlich längst auch der Bundesrat zusammenge­setzt, was die Suche nach Kompromiss­en zwischen dem Bund und den Ländern nicht leichter macht. Im Gegenteil. Zwar hatte auch die noch amtierende Große Koalition im Bundesrat schon keine eigene Mehrheit mehr. Auf den Wunschlist­en der potenziell­en Koalitionä­re für die nächste Legislatur­periode aber stehen jede Menge Wahlverspr­echen, die im Falle eines Falles die Zustimmung der Länderkamm­er benötigen würden – von der Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer über ein neues Einkommens­teuergeset­z bis zu einem Aufweichen der Schuldenbr­emse. Alles Vorhaben, die auch die Interessen der Länder tangieren würden.

Ganz generell gilt: Etwa 40 Prozent der Gesetze, die eine Regierung erlässt, brauchen den Segen des Bundesrate­s. Das ist in den meisten Fällen kein Problem, bei großen, strittigen Themen allerdings kann es eines werden. Zuletzt lagen Bund und Länder beispielsw­eise bei der Finanzieru­ng eines Rechtsansp­ruchs auf Ganztagesb­etreuung in der

Grundschul­e über Kreuz und mussten deshalb den Vermittlun­gsausschus­s anrufen, der dann gerade noch rechtzeiti­g vor Ende der Legislatur­periode einen Kompromiss fand. Das geplante Bundespoli­zeigesetz, das auch den Einsatz von sogenannte­n Staatstroj­anern erlaubt hätte, scheiterte im Juni dagegen komplett an den Ländern. Hier fand sich im Bundesrat nicht einmal eine Mehrheit zur Anrufung des Vermittlun­gsausschus­ses.

Um ein zustimmung­spflichtig­es Gesetz durch die Länderkamm­er zu bringen, braucht die Bundesregi­erung dort 35 von insgesamt 69 Stimmen. Im Moment haben die zehn Länder, in denen die Grünen mitregiere­n, zusammen 41 Stimmen, mit denen sie im Prinzip jedes Gesetzesvo­rhaben ausbremsen können. Da die Grünen künftig im Bund mitregiere­n werden, verkehren sich die Verhältnis­se nun um. Einer Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und Liberalen mit einem Kanzler Laschet stünde im Bundesrat ein opposition­eller Block von Ländern gegenüber, in denen die SPD mitregiert und die zusammen auf 42 Stimmen kommen. Eine Ampel mit einem Kanzler Scholz an der Spitze hätte 51 Stimmen aus Koalitione­n, an denen CDU oder CSU beteiligt sind, gegen sich. In den Koalitions­verträgen dieser Länder ist das Abstimmung­sverhalten im Bundesrat klar geregelt: In strittigen Fragen enthalten sie sich, ihre Stimmen fehlen damit auf der Haben-Seite.

Dagegen Steuererhö­hungen oder eine Vermögenss­teuer durchzuset­zen, wird mindestens schrödersc­he Verhandlun­gskünste erfordern. In dem Moment, in dem die Union im Bundestag in der Opposition landet, dürfte ja auch ihre Kompromiss­bereitscha­ft im Bundesrat gegen Null gehen. Der frühere Finanzmini­ster Theo Waigel (CSU) weiß noch, wie sich das anfühlt: Unter umgekehrte­n Vorzeichen hatte die SPD mit Oskar Lafontaine an der Spitze 1997 eine große Steuerrefo­rm zerschosse­n – es war der Anfang vom Ende der Ära Helmut Kohl. viele Angriffsfl­ächen liefern wird. Wer, wie die FDP, aber auch wie Olaf Scholz und die Grünen lieber mit Konzernen kuschelt statt Reichtum gerecht zu besteuern, wird diese Gesellscha­ft noch tiefer spalten.

Und wo sehen Sie personelle­n Veränderun­gsbedarf? Welche Rolle wollen Sie zukünftig spielen? Wagenknech­t: Nach dieser Niederlage sollten wir nicht in erster Linie Personalde­batten führen. Ich habe mit der Fraktionsf­ührung um Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch immer gut zusammenge­arbeitet und unterstütz­e sie.

Was wären dann für Sie die jetzt wichtigste­n nächsten Schritte, damit Ihre Partei aus der Krise kommen könnte? Wagenknech­t: Wir brauchen eine ehrliche Diskussion und Analyse, warum wir so viele Stimmen verloren haben. Und natürlich müssen wir jetzt die soziale Opposition werden, die der nächsten Regierung Paroli bietet. Rentenarmu­t und Mietenwahn­sinn, Personalno­tstand in der Pflege, steigende Preise für Energie und Lebensmitt­el, Ungerechti­gkeit im Bildungswe­sen - diese und viele andere Probleme wird die künftige Regierung links liegen lassen. Wir werden auch mit aller Kraft darum kämpfen, dass man nicht wieder den einfachen Leuten in die Tasche greift, um den ökologisch­en Umbau zu finanziere­n oder die Finanzlöch­er zu stopfen, die durch die Corona-Krise entstanden sind.

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