Das große Feilschen
Bundesregierung und Bundesrat werden immer bunter. Die Zusammenarbeit macht das nicht leichter. Wird der Vermittlungsausschuss am Ende das wichtigste Gremium der neuen Wahlperiode?
Augsburg/Berlin Es war ein strategisches Meisterstück – und ein teures obendrein. Um seine Steuerreform im Sommer des Jahres 2000 durch den Bundesrat zu bekommen, musste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Ländern feilschen wie auf einem orientalischen Basar. Seiner rot-grünen Koalition stand im Bundesrat eine Phalanx an Ländern gegenüber, die wie Bayern von der Union alleine, von Großen Koalitionen, schwarz-gelb oder rotrot regiert wurden und dem Kanzler alles gönnten, nur keinen Erfolg. Am Ende allerdings stimmten mehrere von ihnen dann doch für die von Schröder geplanten milliardenschweren Entlastungen für Unternehmer und Arbeitnehmer.
Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen hatten der Kanzler und sein Finanzminister Hans Eichel 25 Millionen D-Mark für die Museumsinsel, 20 Millionen für die Sanierung des Olympiastadions und 75 Millionen für die Polizei versprochen, Bremen köderten sie mit neuen Zugeständnissen beim Länderfinanzausgleich und Mecklenburg-Vorpommern mit 100 Millionen Mark für den Ausbau seiner Straßen. Angela Merkel, die neue CDU-Vorsitzende, war düpiert – die von der Union geplante Blockade hatte am Ende größere Löcher als der berühmte Schweizer Käse.
Wie Schröder könnte es bald auch dem nächsten Bundeskanzler ergehen, ob der nun Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt. Ähnlich bunt wie die nächste Bundesregierung ist nämlich längst auch der Bundesrat zusammengesetzt, was die Suche nach Kompromissen zwischen dem Bund und den Ländern nicht leichter macht. Im Gegenteil. Zwar hatte auch die noch amtierende Große Koalition im Bundesrat schon keine eigene Mehrheit mehr. Auf den Wunschlisten der potenziellen Koalitionäre für die nächste Legislaturperiode aber stehen jede Menge Wahlversprechen, die im Falle eines Falles die Zustimmung der Länderkammer benötigen würden – von der Wiedereinführung der Vermögenssteuer über ein neues Einkommensteuergesetz bis zu einem Aufweichen der Schuldenbremse. Alles Vorhaben, die auch die Interessen der Länder tangieren würden.
Ganz generell gilt: Etwa 40 Prozent der Gesetze, die eine Regierung erlässt, brauchen den Segen des Bundesrates. Das ist in den meisten Fällen kein Problem, bei großen, strittigen Themen allerdings kann es eines werden. Zuletzt lagen Bund und Länder beispielsweise bei der Finanzierung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagesbetreuung in der
Grundschule über Kreuz und mussten deshalb den Vermittlungsausschuss anrufen, der dann gerade noch rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode einen Kompromiss fand. Das geplante Bundespolizeigesetz, das auch den Einsatz von sogenannten Staatstrojanern erlaubt hätte, scheiterte im Juni dagegen komplett an den Ländern. Hier fand sich im Bundesrat nicht einmal eine Mehrheit zur Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Um ein zustimmungspflichtiges Gesetz durch die Länderkammer zu bringen, braucht die Bundesregierung dort 35 von insgesamt 69 Stimmen. Im Moment haben die zehn Länder, in denen die Grünen mitregieren, zusammen 41 Stimmen, mit denen sie im Prinzip jedes Gesetzesvorhaben ausbremsen können. Da die Grünen künftig im Bund mitregieren werden, verkehren sich die Verhältnisse nun um. Einer Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und Liberalen mit einem Kanzler Laschet stünde im Bundesrat ein oppositioneller Block von Ländern gegenüber, in denen die SPD mitregiert und die zusammen auf 42 Stimmen kommen. Eine Ampel mit einem Kanzler Scholz an der Spitze hätte 51 Stimmen aus Koalitionen, an denen CDU oder CSU beteiligt sind, gegen sich. In den Koalitionsverträgen dieser Länder ist das Abstimmungsverhalten im Bundesrat klar geregelt: In strittigen Fragen enthalten sie sich, ihre Stimmen fehlen damit auf der Haben-Seite.
Dagegen Steuererhöhungen oder eine Vermögenssteuer durchzusetzen, wird mindestens schrödersche Verhandlungskünste erfordern. In dem Moment, in dem die Union im Bundestag in der Opposition landet, dürfte ja auch ihre Kompromissbereitschaft im Bundesrat gegen Null gehen. Der frühere Finanzminister Theo Waigel (CSU) weiß noch, wie sich das anfühlt: Unter umgekehrten Vorzeichen hatte die SPD mit Oskar Lafontaine an der Spitze 1997 eine große Steuerreform zerschossen – es war der Anfang vom Ende der Ära Helmut Kohl. viele Angriffsflächen liefern wird. Wer, wie die FDP, aber auch wie Olaf Scholz und die Grünen lieber mit Konzernen kuschelt statt Reichtum gerecht zu besteuern, wird diese Gesellschaft noch tiefer spalten.
Und wo sehen Sie personellen Veränderungsbedarf? Welche Rolle wollen Sie zukünftig spielen? Wagenknecht: Nach dieser Niederlage sollten wir nicht in erster Linie Personaldebatten führen. Ich habe mit der Fraktionsführung um Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch immer gut zusammengearbeitet und unterstütze sie.
Was wären dann für Sie die jetzt wichtigsten nächsten Schritte, damit Ihre Partei aus der Krise kommen könnte? Wagenknecht: Wir brauchen eine ehrliche Diskussion und Analyse, warum wir so viele Stimmen verloren haben. Und natürlich müssen wir jetzt die soziale Opposition werden, die der nächsten Regierung Paroli bietet. Rentenarmut und Mietenwahnsinn, Personalnotstand in der Pflege, steigende Preise für Energie und Lebensmittel, Ungerechtigkeit im Bildungswesen - diese und viele andere Probleme wird die künftige Regierung links liegen lassen. Wir werden auch mit aller Kraft darum kämpfen, dass man nicht wieder den einfachen Leuten in die Tasche greift, um den ökologischen Umbau zu finanzieren oder die Finanzlöcher zu stopfen, die durch die Corona-Krise entstanden sind.