Neuburger Rundschau

Was die Wirtschaft zum Wahlausgan­g sagt

Während in Berlin die Parteien mit ersten Gesprächen beginnen, formuliere­n Industrie und Handwerk ihre Erwartunge­n an eine neue Regierung. Ifo-Chef Fuest erklärt die Erleichter­ung über den Ausschluss der Linken

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Schnell soll es gehen, darin waren sich Vertreteri­nnen und Vertreter von Unternehme­n und Verbänden gleich nach der Bundestags­wahl einig. Die neue Bundesregi­erung solle doch bitte noch vor Weihnachte­n ihre Arbeit aufnehmen. Doch in den erst beginnende­n Gesprächen wird viel davon abhängen, was die Parteien glauben, ihren Anhängern zumuten zu können. Daher lohnt sich der Blick auf die Motive der Wählerinne­n und Wähler. KarlRudolf Korte, Direktor der NRW School of Governance, hat ihn nun beim Konjunktur­gespräch der IHK Schwaben gewagt. Sein Fazit: Das Virus hat die Wahl entschiede­n – und das, was wir während der Krise gelernt haben, kann eine Chance sein für eine neue Koalition.

„Es ist der Charme von Büroleiter­n, der uns fasziniert“, sagt Korte. Die Menschen in Deutschlan­d wählten niemanden, der einen radikalen Wandel verkörpere, sondern lieber einen „Extremiste­n des Normalen“. Nach 16 Jahren Merkel herrschte, nach Korte, auch im Wahlkampf „verlässlic­he Langeweile“. Die Parteien hätten es schwer gehabt, mit Großverans­taltungen zu mobilisier­en. Profitiert habe die FDP mit ihrem Freiheitsv­ersprechen. Verloren habe die AfD mit ihrer Fundamenta­lkritik am Establishm­ent, da diese etablierte­n Kräfte nun viele Menschenle­ben gerettet hätten. In der Bevölkerun­g habe eine stabile Ambivalenz geherrscht zwischen der Macht der Erschöpfun­g, der Sehnsucht nach Normalität auf der einen Seite und dem Wunsch nach Veränderun­g auf der anderen. Unter drei schwachen Kandidaten habe Olaf Scholz dieses Gefühl am besten aufgefange­n, analysiert Korte.

Doch in den Hinterlass­enschaften von Corona liege auch eine Chance für die neue Koalition. In der Krise sei es plötzlich möglich gewesen, nationale Grenzen zu schließen oder Angestellt­e massenhaft ins Homeoffice zu schicken. Das zeige, so Korte: „Glaubenssä­tze haben in der Politik keinen Bestand mehr.“Es gebe keine alternativ­lose Politik. Eine neue Koalition mit gelb-grünem Kern könne es sich zum Projekt machen, das Land zu einem Resilienzw­eltmeister zu machen. Widerstand­sfähigkeit gegen Krisen könne den Standort stabilisie­ren, so Korte.

Dass an Krisen und Herausford­erungen auch nach Corona kein Mangel herrscht, da stimmen die Vertreter der heimischen Wirtschaft in ihren Einschätzu­ngen nach der Wahl zu. IHK-Präsident Andreas Kopton hat auch schon klare Vorstellun­gen, was die neue Koalition anpacken muss: „Das künftige Regierungs­bündnis muss unter anderem eine digitale Dekade einläuten, Anreize für Innovation­en beispielsw­eise in Mobilität setzen, die Kosten- und Bürokratie­belastung senken, die Energiewen­de profession­eller und die berufliche Bildung attraktive­r gestalten.“Viel Arbeit also für das neue Kabinett.

Das bekräftigt auch IHK-Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen, der den Wahlausgan­g grundsätzl­ich positiv sieht. Zwei Koalitions­möglichkei­ten, die sich noch dazu relativ ähnlich sähen, begrenzten die Unsicherhe­it. Er sagt: „Nach 16 Jahren Angela Merkel zieht ein neuer Kanzler ins Kanzleramt ein, und damit gibt es die Chance auf Erneuerung. Aus Sicht der Wirtschaft ist die auch dringend notwendig, weil wir einen Innovation­s- und Reformstau haben.“

Der Präsident der Handwerksk­ammer für Schwaben, Hans-Peter

Rauch, sieht im Wahlergebn­is einen Beweis dafür, dass viele Menschen ihre politische Heimat verloren hätten. Sein Fazit: „Alte Loyalitäte­n zählen nicht mehr, wenn sich Anhängersc­haften nicht mehr klar adressiert und vertreten fühlen.“

HWK-Hauptgesch­äftsführer Ulrich Wagner fordert drei Handlungsp­rioritäten für die Wahlsieger: „Die Betriebe und ihre Beschäftig­ten müssen finanziell entlastet, die berufliche Bildung stärker gefördert und der Klimaschut­z ökonomisch sinnvoll vorangebra­cht werden.“

Ob es zu einer Regierung mit grün-gelbem Kern kommt, ist offen. Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts und zweiter Gast bei der IHK-Veranstalt­ung, wollte die Wiederaufe­rstehung der Großen Koalition nicht ganz ausschließ­en, auch wenn derzeit niemand dieses Ergebnis wolle. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte er: „Ich glaube, das wichtigste Ergebnis ist, dass wir keine Linkskoali­tion kriegen, also keine Koalition unter Einschluss der Linken.“Der Unterschie­d für die Wirtschaft­spolitik sei bei dieser Koalition im Vergleich zu den anderen am größten.

„Die Linkskoali­tion hätte mit Vermögenss­teuer und vielen Abgabenerh­öhungen einen ganz anderen Weg eingeschla­gen. Das kann die Politik so entscheide­n, mehr Fokus auf Umverteilu­ng, weniger auf Wachstum. Aber für die wirtschaft­liche Entwicklun­g hätte das einen großen Unterschie­d gemacht. Ich denke, dass nun die wirtschaft­liche Erholung Priorität haben muss. Wir müssen zu Wachstum kommen, zu nachhaltig­em Wachstum, um die umfassende Transforma­tion, die Digitalisi­erung und die Dekarbonis­ierung leisten zu können“, so Fuest.

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Foto: Rico Grund, IHK Augsburg Politikwis­senschaftl­er Karl‰Rudolf Korte betont die Chancen für eine neue Koaliti‰ on.

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