Schweinehalter in der Existenzkrise
Die Preise für Schweinefleisch sinken, der Bauernverband schlägt deshalb Alarm. Ein Landwirt aus dem Augsburger Land stellt die Situation aus seiner Sicht dar. Welche Probleme am dringlichsten sind und was er fordert
Augsburg/Westendorf Betritt man Josef Kastners Hof am Rande von Westendorf im Landkreis Augsburg, wirkt alles in guter Ordnung. Mehrere Landmaschinen, drei Hallen, ein Futtersilo – und jede Menge Schweine. Etwa 2000 davon leben hier, kaum einen Kilometer von der Bundesstraße entfernt. Kastner, ein kleiner Mann von 62 Jahren, betreibt diesen Hof seit über 40 Jahren. Sein Gesicht ist wettergegerbt, er trägt eine blaue Latzhose, Gummistiefel und eine Kappe. Sein Bauernhof sieht aus, wie man sich einen Bauernhof vorstellt. Doch hinter den Kulissen des Familienbetriebs brodelt es. Denn für Bratwürste, Hinterschinken und Schweinekoteletts zahlen die Supermärkte weniger Geld als zuvor. Und die Auflagen für Schweinezüchter werden nicht nur mehr, sondern auch teurer. Deshalb gehen die Landwirte nun auf die Barrikaden.
Die Schweinebauern sind sauer. Das sind sie zugegebenermaßen häufig, wenn zum Beispiel neue Auflagen kommen, doch diesmal ist der Fortbestand der Schweinezucht in Deutschland massiv bedroht. So schildern es die Bauern selbst. „Ich mache derzeit 20 Euro Verlust – pro Schwein“, rechnet Josef Kastner vor. Bei 1000 verkauften Schweinen pro Jahr macht das 20 000 Euro. Die Gründe für den aktuellen Preisverfall für Schweinefleisch: wenig Feste im zweiten Corona-Jahr, gesunkener Absatz in der Gastronomie und Exportbeschränkungen für deutsches Schweinefleisch wegen der Afrikanischen Schweinepest.
Die Auflagen für die Bauern sind in Deutschland weitaus strikter als in anderen Ländern, die Schweinefleisch exportieren, zum Beispiel Brasilien. Käme es in Zukunft in großem Stil zum Verkauf von Schweinefleisch aus Brasilien nach Europa, fände das Kastner schwierig. Immerhin müsse er wegen gesetzlicher Vorgaben unter anderem auf seine Öko-Bilanz achten, während Flüge um die halbe Welt schon beim Transport weitaus mehr CO2 ausstoßen als sein lokaler Betrieb. Überhaupt fühlen sich einige Bauern in ihrer Existenz bedroht. In Süddeutschland wollen einer Umfrage zufolge mehr als 70 Prozent der Sauenhalter und 55 Prozent der Schweinemäster in den kommenden zehn Jahren den Betrieb aufgeben.
Dieses Problem sieht auch Walter Heidl. Den Vorsitzenden des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) stören insbesondere die gesunkenen
Preise für Schweinefleisch. Deshalb fordert er ebenso wie die Staatsregierung höhere Preise für Schweinefleisch von den Supermarktketten. „Wegen der gesunkenen Erzeugerpreise ist die Existenz der bayerischen Schweinehaltung in Gefahr“, warnt Heidl. „Es ist eine Krise der Preise und der Kosten“.
Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatten den Lebensmitteleinzelhandel aufgefordert, den Bauern höhere Preise zu zahlen. „Handel und Verbraucher müssen Mehrleistungen unserer Bäuerinnen und Bauern auch finanziell honorieren“, sagte Kaniber. „Sie brauchen eine faire Entlohnung für den Mehraufwand, damit wir auch in Zukunft regionale Erzeuger haben.“Dabei geht es vor allem um die Anforderungen bei der
Tierhaltung, die Aldi und andere Ketten erhöhen wollen.
„Es wäre fatal, wenn es bereits in wenigen Jahren keinen Schweinebraten und keine Bratwürstchen mehr aus bayerischer Produktion gäbe, sondern aus China, Brasilien und den USA, über Großschlächtereien und Wurstfabriken außerhalb unserer Kontrollmöglichkeiten“, warnte Aiwanger. „Die derzeitigen 1,25 Euro je Kilogramm Schweinefleisch sind ruinös.“Es müsse ein Umdenken bei den Lebensmittelkonzernen her, fordert auch der Präsident des Bauernverbandes Heidl.
Das haben auch die Konzerne erkannt. Die REWE Group zum Beispiel sei sich ihrer besonderen Verantwortung gegenüber der Landwirtschaft in Deutschland bewusst und trage dem auch Rechnung. So bestätigt die REWE-Group , dass sie seit Anfang September die über dem aktuellen Marktpreisniveau liegenden Zahlungen für Schweinefleisch deutlich erhöht habe. Zudem plane das Unternehmen bis Sommer 2022 rund 95 Prozent des konventionellen Schweinefrischfleisch-Sortiments auf deutsche Herkunft umzustellen. Der Grund: „REWE und PENNY müssen ihren Kunden wettbewerbsfähige Preise anbieten, um im Wettbewerb bestehen zu können“, sagt ein REWE-Sprecher.
Das sehen auch die Lebensmittelkonzerne Lidl und Aldi Süd so. Lidl zahle trotz sinkender Nachfrage nach Schweinefleisch „unseren Lieferanten Preise über der aktuellen Schweinepreisnotierung.“Zudem habe der Konzern mit Handelspartnern wie Kaufland Schweinehalter der Initiative Tierwohl Ende des vergangenen Jahres mit einer Sonderzahlung von 50 Millionen Euro unterstützt. Diesem Impuls, das Preisniveau von Schweinefleisch zugunsten der Landwirte zu erhöhen, seien andere nicht gefolgt.
Auch Aldi Süd zahle „weiterhin die Preise, die wir auch vor dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest gezahlt haben“– diese würden 15 bis 20 Prozent über dem aktuellen Preisniveau liegen. Das solle auch so bleiben. Dennoch sei ALDI SÜD nur Teil einer komplexen Lieferkette, landwirtschaftliche Produkte würden dabei starken Preisschwankungen unterliegen.
Geländer aus Eisenstangen und graue Wände aus Plastik trennen auf dem Hof von Josef Kastner die Schweinchen voneinander, in einer Parzelle tummeln sich um die zehn, zwanzig von ihnen. Auf einer der Abgrenzungen ist, perfekt ausbalanciert, eine Eisenstange befestigt, an deren beiden Enden eine Kette mit einem Stück Holz ist – eine Wippe im Schweinestall. Immer wieder zieht eines der Ferkel daran, die eine Seite der stählernen Wippe wird dann nach oben gezogen. Seit August sind diese Spielzeuge für die Tiere eine Vorgabe der Regierung, um für mehr Beschäftigung zu sorgen. Das Tierwohl ist einer der Aspekte, die sich für Schweinebauern in der jüngeren Vergangenheit geändert haben. „Das Beschäftigungsmaterial macht nur etwa 4000 Euro pro Jahr aus“, sagt Kastner.
Dennoch sind viele Bauern verunsichert, weiß deren Verbandspräsident Heidl. „Es herrscht Verunsicherung um Auflagen und Tierwohlanforderungen – manche Bauern wissen gar nicht, was sie tun können und was nicht.“Er fordert deshalb einen Stopp der Beschränkungen und eine Etikettierung des lokal produzierten Schweinefleisches. Dies soll seiner Ansicht nach für ein höheres Bewusstsein für die regionale Wirtschaft sorgen.
Die Bürgerinnen und Bürger spüren laut Bauernverband von den niedrigen Erzeugerpreisen jedoch nichts: „Im Gegenteil, die Marge zwischen Landwirtschaft und Ladentheke ist gestiegen“, sagte Heidl. Der Erzeugerpreis sei um 30 Cent je Kilo gesunken und der Preis an der Ladentheke um etwa einen Euro gestiegen. „Hier werden offensichtlich Gewinne zulasten der Erzeuger gesteigert.“Es stehe sehr viel auf dem Spiel. „Es geht um die Frage, ob uns die Tierhaltung in Deutschland wegbricht oder nicht.“Nach Ansicht Josef Kastners wird sie das früher oder später auch – wenn sich nichts ändert.