Neuburger Rundschau

Aiwangers Gang nach Canossa

Es dauert drei Tage, bis sich der Chef der Freien Wähler für seinen Regelverst­oß am Wahlsonnta­g entschuldi­gt. Der Opposition reicht das nicht. In der Debatte fliegen die Fetzen

- VON ULI BACHMEIER

München Es ist kurz nach 13 Uhr und der ansonsten wortgewalt­ige Politiker Hubert Aiwanger mutiert im Plenarsaal des Landtags zu einem wortkargen Büßer. Die erste Entschuldi­gung des bayerische­n Wirtschaft­sministers und Chefs der Freien Wähler für seinen Regelverst­oß am Wahlsonnta­g geht fast im Gelächter unter. Aiwanger hatte seine persönlich­e Erklärung mit den Worten eingeleite­t, dass nun nach dem Wahlkampf eine Rückkehr zur Sacharbeit dringend nötig sei. Viele Abgeordnet­e, die Aiwanger als erbitterte­n Wahlkämpfe­r erlebt hatten, finden das zum Brüllen komisch. Aiwanger sagt: „Ich entschuldi­ge mich in aller Form für den Tweet vom Wahlsonnta­g.“Mehr will er nicht sagen. Er verweist auf die Ermittlung­en des Bundeswahl­leiters. Aber er wiederholt es, als es im Saal wieder ruhig ist: „Ich bitte noch einmal herzlich um Entschuldi­gung.“Punkt.

Seit Sonntagnac­hmittag stand Aiwanger im Kreuzfeuer der Kritik, weil er am Wahltag gegen alle Gepflogenh­eiten und unter Missachtun­g des Bundeswahl­gesetzes noch vor 18 Uhr Wahlprogno­sen veröffentl­icht und mit einem Wahlaufruf für die Freien Wähler verbunden hatte. Am Montag noch hatte er den Fauxpas, der politische Gegner empört und Mitstreite­r verärgert hatte, als „Missgeschi­ck“abgetan. Am Dienstag hatte er gesagt, dass es keine Ergebnisse von „Exit-Polls“(Nachwahlbe­fragungen) gewesen seien, die er getwittert hatte. Aber der Druck wurde übermächti­g. Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU) forderte eine Entschuldi­gung, die SPD sogar Aiwangers Entlassung. Parteifreu­nde redeten auf ihn ein, die Sache in Ordnung zu bringen. Und der höchst verärgerte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) zitierte seinen Stellvertr­eter am Mittwochmo­rgen zu sich – wegen des Tweets und weiterer Aktionen Aiwangers, die nach Auffassung Söders zwischen den Regierungs­partnern ausgeräumt werden mussten, um weiter zusammenar­beiten zu können.

Jetzt also die knappe Entschuldi­gung im Landtag. Aiwanger setzt sich wieder auf seinen Platz. Aber es ist noch nicht vorbei. SPD-Fraktionsc­hef Florian von Brunn zieht vom Leder: Man erlebe hier einen Staatsmini­ster, „der es mit den demokratis­chen Regeln offenbar nicht so ernst nimmt“und der „seiner Aufgabe nicht gewachsen“sei. Von wirft Aiwanger vor: „Ihr Rumgeeiere und Ihre Schwurbele­i seit Sonntag sind kaum erträglich.“Er nennt seine Entschuldi­gung „windelweic­h“. Und wenn es keine echten, sondern erfundene Zahlen waren, die Aiwanger am Sonntag getwittert habe, „dann wäre das eine ganz neue Form von Wählertäus­chung“, sagt von Brunn.

Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Freien Wähler, der schwäbisch­e Abgeordnet­e Fabian Mehring, nimmt seinen Parteichef in Schutz. Aiwanger habe mit seiner Entschuldi­gung einen Beitrag zur politische­n Kultur geleistet. Das verdiene Respekt, sagt Mehring, wirft von Brunn „populistis­ches Nachfassen“vor und nennt ihn einen „Großmeiste­r der Vorverurte­ilung“, der den Landtag „zum Ort eines Haberfeldt­reibens“mache.

Landtagsvi­zepräsiden­t Thomas Gehring (Grüne) nimmt etwas Schärfe aus der Debatte. Er sagt: „Natürlich akzeptiere­n wir die Entschuldi­gung von Herrn Aiwanger, aber es war die dürftigste Entschuldi­gung, die man sich vorstellen kann.“Man merke der Entschuldi­gung an, dass sie nur auf Druck des Ministerpr­äsidenten stattfand. Allerdings wirft auch Gehring Aiwanger vor, gegen „grundlegen­de Anstandsre­geln“verstoßen zu haben und auch zuvor schon mit einer ganzen Reihe „von Sprach-und Grenzverle­tzungen“aufgefalle­n zu sein.

Für AfD-Fraktionsc­hef Ingo Hahn steht fest: „Es wurde gegen das Wahlgesetz verstoßen.“FDPFraktio­nschef Martin Hagen sagt, Aiwanger habe keine echte Reue gezeigt, und rät ihm, er solle „seinen Posten räumen“. Im Kabinett, so Hagen, sei kein Platz für „PolitikPra­ktikanten“.

Aus der CSU erhebt sich in der Debatte keine Stimme – weder für noch gegen Aiwanger. Draußen vor dem Plenarsaal aber wird klar, dass auch nach dem Zwiegesprä­ch zwischen Söder und Aiwanger vermutBrun­n lich noch nicht alles in Ordnung ist zwischen CSU und Freien Wählern. CSU–Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer zeigt sich zwar zufrieden, dass Aiwanger sich für seinen „schweren Fehler“entschuldi­gt habe, weist aber zugleich darauf hin, dass der Tweet nicht das einzige Problem der Regierungs­partner ist. „Was ich kritisiere, ist, dass draußen teilweise das Gegenteil vertreten wird von dem, was gemeinsam beschlosse­n worden ist. Das ist ja auch bei der Impfpoliti­k so.“

Völlig illusionsl­os dagegen gibt sich Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU). Sie nennt Aiwangers Verhalten „maximal unseriös und eines stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten nicht würdig.“Seine Entschuldi­gung mache das auch nicht besser. „Der ändert sich doch nicht“, sagt sie. „Heute entschuldi­gt er sich und morgen macht er genauso weiter.“

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Foto: Matthias Balk, dpa Seit Sonntag steht Hubert Aiwanger in der Kritik. Er hatte am Wahltag noch vor 18 Uhr Wahlprogno­sen veröffentl­icht und mit ei‰ nem Wahlaufruf für die Freien Wähler verbunden. Dafür hat er sich am Mittwoch entschuldi­gt.

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