Entdeckungen im Nordsee-Wasser
Hunderttausende kleine Algen, eine Milliarde Bakterien, zehn Milliarden Viren – so viele Mikroorganismen enthält ein Liter Nordsee-Wasser durchschnittlich. Ein Team des Bremer Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie hat die Dynamik dieser Gemeinschaften im Frühjahr vor Helgoland analysiert. Dabei entdeckten die Forschenden etliche bislang unbekannte Arten und Familien von Viren.
Das Team um Nina Bartlau analysierte das Wasser vor Helgoland jeweils im Frühling 2017 und 2018. Dann lösen steigende Temperaturen und die stärkere Sonneneinstrahlung die Frühjahrsblüte des Phytoplanktons aus, das vor allem aus Mikroalgen besteht. Gleichzeitig schnellt die Menge jener Bakterien in die Höhe, die die Algen zersetzen – darunter insbesondere Flavobakterien. Bei genetischen Analysen entdeckten die Forschenden neben den Bakterien massenhaft Viren, die Bakterien befallen – sogenannte Bakteriophagen. Bei manchen Arten überstieg die Zahl der Phagengenome die ihrer Bakterien-Wirte im April um das mehr als 450-fache. Einen Monat später – im Mai – war die Phagen-Zahl dagegen wieder drastisch zurückgegangen.
Im Labor kultivierten die Forscher 44 auf Flavobakterien spezialisierte Phagen – sogenannte Flavophagen. Zwölf bislang unbekannte Arten ordneten sie nach genetischen Kriterien zehn neuen Virenfamilien zu. „Diese Studie enthüllt nicht nur eine neue Diversität von Flavophagen, sondern strukturiert auch einen beträchtlichen Teil der bekannten marinen Flavophagen-Vielfalt in Familien“, schreibt das Team im ISME Journal, einem Fachjournal für Mikrobiologie.
Das Verhältnis zwischen diesen Bakterien und Viren könnte möglicherweise sogar den globalen Kohlenstoff-Kreislauf beeinflussen: Denn Flavobakterien bauen Reste abgestorbener Algen ab und setzen damit das von diesen Organismen aus der Atmosphäre aufgenommene Kohlendioxid zum Großteil wieder frei. Flavophagen bremsen diesen Prozess. „Hier besteht eine mögliche Verbindung zwischen den Viren und dem globalen KohlenstoffKreislauf, deren weitere Erforschung sicher sehr spannend wird“, sagt Bartlau. Walter Willem (dpa)