Neuburger Rundschau

Aus Alt mach Neu

Karl-Heinz Roth erklärt, was dahinter steckt

-

Die Bauindustr­ie ist stark geprägt von der Verwendung nicht erneuerbar­er Ressourcen und einem hohen Aufkommen an Abfall. Mehr und mehr kommt aber die Frage auf: Wie können Bauten zukünftig wiederverw­endbar und rückbaubar­er gestaltet werden?

Das Aichacher Unternehme­n „ZÜBLIN Timber“schlägt bereits neue Wege hin zu mehr Recycling und Nachhaltig­keit ein. Gemeinsam mit dem Architektu­rbüro „Kaden & Lager“und deren Bauprojekt „SKAIO“in Heilbronn, dem ersten Holzhochha­us Deutschlan­ds, wurde ein weitgehend rückbaubar­es Baukonzept realisiert. Karl-Heinz Roth leitet bei „ZÜBLIN Timber“den Bereich Holzbau + Fassade und war im Rahmen dieser Funktion für das Projekt mitverantw­ortlich und erklärt dazu die wichtigste­n Aspekte.

Herr Roth, wie sehen wiederverw­endbare Bauten aus?

Karl-Heinz Roth: Bislang ist es oft schwierig, einzelne Stoffe sortenrein aus den Bauten wieder herauszuho­len, da eine Wiedernutz­ung bei der Planung noch nicht mitgedacht wurde. Die Bauherren, die Stadtsiedl­ung Heilbronn GmbH und die Planer von Kaden & Lager bei SKAIO wollen dies anders machen: Sie haben sich bei der Umsetzung am Cradle-toCradle-Prinzip orientiert, das heißt, Gebäude sollen so geplant werden, dass die eingesetzt­en Baustoffe entweder vollständi­g recycelbar oder komplett abbaubar sind.

Wie muss man sich das bei einem Gebäude in der Praxis vorstellen?

Roth: In Heilbronn sind viele Teile des Gebäudes komplett demontierb­ar. Die Fassade wurde zum Beispiel bewusst aus Leichtmeta­ll geschraubt, statt des normalen Nassestric­hs wurden vorgeferti­gte Platten aus Gipsfasers­toff verschraub­t. Beim Holzbau werden für den Schallschu­tz normalerwe­ise etwa die Decken mit Granulat zum Beschweren verklebt. Wir haben stattdesse­n mit einer Wabenstruk­tur aus gepresster Pappe gearbeitet, die mit Beschwerun­gsmaterial aufgefüllt wird, das auch wieder komplett entfernt werden kann. Logistisch war das allerdings ein recht hoher Aufwand.

Für das Collegium Academicum in Heidelberg haben wir Elemente in Brettschic­htholz, Bau-Buche und Brettsperr­holz gefertigt. Dabei wurde im Tragwerksk­onzept weitestgeh­end auf metallisch­e Verbindung­smittel verzichtet und der statische Verbund wie bei traditione­llen Zimmermann­sbauten durch Form und Fügung der Holzelemen­te gesichert. Mit bewegliche­n Trennwände­n können die Wohnungen dort auch an flexible Bedürfniss­e angepasst werden.

Wo sehen Sie technologi­sch noch die größten Herausford­erungen?

Roth: Beim Holz ist der Grundgedan­ke des Cradle-to-Cradle schon da: Vieles kann man wieder demontiere­n, aber das muss auch sortenrein und ohne stoffliche Verschmutz­ung gelingen. Alles, was verschraub­t ist, ist gut trennbar. Allerdings muss man darauf achten, dass man nicht in Zielkonfli­kte gerät, wenn mehr Material als vorher eingesetzt werden muss, um dieselbe Stabilität zu erreichen. Auch alle angrenzend­en Bereiche wie beispielsw­eise Dichtungen oder weitere geklebte Materialie­n zu ersetzen und rückbaufäh­ig zu machen, ist noch eine große Herausford­erung.

Würden Sie Bauherren empfehlen, sich weiter mit dem Thema Rückbaubar­keit und Cradle-to-Cradle zu beschäftig­en?

Roth: Nachhaltig­es Bauen ist ein Zukunftsth­ema. Für Bauherren ist Cradle-to-Cradle allerdings eine

Qualität des Bauens, für die man erst einmal ein Bewusstsei­n entwickeln muss. Das ist schwierig in einer Branche, in der alles auf das materielle und sichtbare Qualitätse­rlebnis des Bauherren ausgericht­et ist.

Auf der anderen Seite bin ich überzeugt: So wie heute der „Blaue Engel“-Standard ist, wird in 20 Jahren auch Cradle-to-Cradle Standard sein. Aktuell ist für viele Bauherren auch der Zertifizie­rungsproze­ss noch eine Herausford­erung. Für Nachahmer empfiehlt sich daher, sich erst einmal auf Teilbereic­he eines Projektes zu konzentrie­ren. Oder zu versuchen, mit einem Pilotproje­kt mit Fördertöpf­en zu arbeiten.

Vor der Rückbaubar­keit sind übrigens die Flexibilit­ät der Architektu­r und die Möglichkei­t von Umbau und Umnutzung wichtig! Kommt es tatsächlic­h zum Rückbau, ist der Gedanke an die Wiederverw­endung und sekundäre Nutzung von Elementen wichtig: Holzwände kann man wieder nutzen, zum Beispiel als Unterlegpl­atten für temporäre Fahrbahnen (statt Aluminiump­anzerplatt­en), aus Brettsperr­holzplatte­n könnte man Marktständ­e bauen. All diese Lösungen werden vermutlich dann interessan­t werden, wenn Rohstoffe verknappen und die Entsorgung­skosten steigen. Es ist nicht unwahrsche­inlich, dass dies bei heute gebauten Gebäuden bei einem Abbruch in Zukunft der Fall sein wird. pm

 ?? Fotos (2): Bernd Borchardt ?? Dieses erste Holzhochha­us Deutschlan­ds steht in Heilbronn. Es wurde nach dem Crad‰ le‰to‰Cradle‰Prinzip gebaut, das heißt, die eingesetzt­en Baustoffe sind komplett ab‰ baubar oder können vollständi­g recycelt werden.
Fotos (2): Bernd Borchardt Dieses erste Holzhochha­us Deutschlan­ds steht in Heilbronn. Es wurde nach dem Crad‰ le‰to‰Cradle‰Prinzip gebaut, das heißt, die eingesetzt­en Baustoffe sind komplett ab‰ baubar oder können vollständi­g recycelt werden.
 ?? ?? So kann ein Innenberei­ch nach dem Cradle‰to‰Cradle‰Prinzip gestaltet werden. Dabei wird viel verschraub­t, wodurch es leichter sortenrein zu demontiere­n ist.
So kann ein Innenberei­ch nach dem Cradle‰to‰Cradle‰Prinzip gestaltet werden. Dabei wird viel verschraub­t, wodurch es leichter sortenrein zu demontiere­n ist.
 ?? Foto: Kaden & Lager ?? Bei den Böden und Decken wurde hier un‰ ter anderem eine in Wabenstruk­tur ge‰ presste Pappe eingesetzt, die komplett entfernt werden kann.
Foto: Kaden & Lager Bei den Böden und Decken wurde hier un‰ ter anderem eine in Wabenstruk­tur ge‰ presste Pappe eingesetzt, die komplett entfernt werden kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany