Neuburger Rundschau

Demokratis­che Problemzon­e

31 Jahre nach der Wiedervere­inigung tickt der Osten immer noch anders. Auf Spurensuch­e beim AfD-Wahlgewinn­er Matthias Moosdorf und beim CDU-Verlierer Carsten Körber im sächsische­n Zwickau

- VON CHRISTIAN GRIMM

Zwickau Der Osten ist ausgetickt, mal wieder. Bei der Wahl kürzlich hat er sein eigenes Klischee bestätigt: Dunkeldeut­schland, wo Rechtsradi­kale den Ton angeben. Haben sich doch auf der politische­n Karte beispielsw­eise Teile Thüringens und Sachsens AfD-blau gefärbt. Immerhin 14 Direktmand­ate hat die Partei in den beiden Freistaate­n erobert. Dunkeldeut­schland, wo die Menschen keine Fremden wollen. Dunkeldeut­schland, wo es jetzt endlich für alle Arbeit gibt und dennoch der Frust gärt.

Aber ist es wirklich so finster in diesem Teil Deutschlan­ds, der im Osten liegt? Ja und nein. Auf der westdeutsc­hen Finsternis-Skala liegt meine Heimatstad­t Zwickau ziemlich weit oben. Die Mörderband­e des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es (NSU) fand dort Unterschlu­pf und Helfer. Vor der Wahl löste die Neonazi-Partei III. Weg in der gesamten Republik Abscheu aus, weil sie in der Stadt auf Wahlplakat­en „Hängt die Grünen“hatte drucken lassen.

Die Aufregung hat sich dann aber wenige Tage nach der Wahl gelegt. Der beginnende Herbst färbt die ersten Blätter, der größte Sohn der Stadt blickt wie immer versonnen in die Ferne. Es ist der Komponist Robert Schumann, der als Denkmal auf dem Sockel am Rande des historisch­en Marktplatz­es in der Altstadt sitzt. Sein bekanntest­es Stück ist die „Träumerei“. Es sind melancholi­sch schwebende Töne, die so gar nicht zum rauen Ruf der Stadt passen.

Einer, den die Musik Schumanns bezaubert, ist Matthias Moosdorf. Der Cellist hat bei der Bundestags­wahl das Direktmand­at gewonnen. Moosdorf ist ein Kulturmens­ch durch und durch, seit 2016 ist er bei der AfD und hat sich mit der damaligen Parteichef­in Frauke Petry angefreund­et. Er hat eine beeindruck­ende Musikerkar­riere hinter sich. Solocellis­t beim Leipziger Kammerorch­ester, Mitglied des Leipziger Streichqua­rtetts, das über hundert CDs einspielte und auf der ganzen Welt auftrat, Gastprofes­suren und Lehraufträ­ge an renommiert­en Musikhochs­chulen. „Ich könnte auch Musik machen, aber wenn ich sehe, dass alles den Bach herunterge­ht, dann will ich das ändern“, sagt der Neu-Politiker am Telefon zwischen Interviews und ersten Sitzungen der AfD-Fraktion.

Die gehen so turbulent weiter, wie die vor der Wahl. Es knallt schon wieder bei der Partei. Gleich in der ersten Sitzung steht ein Abgeordnet­er auf der Kippe, der engen Kontakt zur Dortmunder NeonaziSze­ne pflegte. Auch über Moosdorf wird diskutiert, er hatte in der Vergangenh­eit Kritisches über ParteiGran­de Alexander Gauland gesagt. „Wissen Sie, die ganze Politik ist vulgär“, antwortet der AfD-Mann, wenn man ihn fragt, warum er in einer Partei mitmacht, die auch Faschisten in ihren Reihen duldet.

Moosdorf ist der personifiz­ierte Bürgerlich­e. Der Ton angenehm freundlich, immer in Hemd und Sakko unterwegs, im Gespräch fällt ein Humboldt-Zitat. Wahlkampf machte er in einem alten Feuerwehrw­agen, der Trude. Damit fuhr er über die Dörfer, die zum Landund Wahlkreis gehören. Die Stadt hat zwar Schumann und mit dem Maler Max Pechstein ein weiteres Kunstgenie hervorgebr­acht, sie hat eine kleine, lebendige Kulturszen­e, aber sie ist vor allem Arbeiterst­adt. Früher Steinkohle und Kokerei, aber seit über hundert Jahren und bis heute Autos. Horch, Audi, Trabi und jetzt Volkswagen.

Der Künstler Moosdorf erzählt, dass er die Leute dennoch leicht erreicht hat. Er hat Berufsausb­ildung mit Abitur gemacht, was es nur im Osten gab. Er war bei der NVA teils in der Nähe von Zwickau eingesetzt. Er ist Leipziger, weshalb der schwere Dialekt der Zwickauer keine Barriere ist. Am Ende holt Moosdorf 25,1 Prozent der Erststimme­n und schlägt damit den bisherigen Bundestags­abgeordnet­en Carsten Körber um knapp fünf Prozentpun­kte.

Körber, das ist zu spüren, ist noch immer geschockt von dieser Niederlage. Seit acht Jahren vertritt er seine Zwickauer in Berlin, übernahm den Wahlkreis von seinem CDUVorgäng­er, der ihn direkt nach der Wende eroberte. „Die hätten einen Besenstiel aufstellen können und hätten gewonnen“, sagt er. Mit „die“meint er die AfD. Körber kann es sich wenige Tage nach der Wahl noch immer nicht erklären. Dann zählt er in seinem Bundestags­büro seine Erfolge auf.

Als Mitglied des Haushaltsa­usschusses gelang es ihm, viel Fördergeld in die Stadt und ihr Umland zu lotsen. Geld für den Tierpark, Geld für das Landwirtsc­haftsmuseu­m, Geld für die Burg Schönfels. Mehrere Millionen Euro. Der 42-Jährige ist ein anderer Typ als sein AfDKonkurr­ent. Er stammt aus einem Dorf bei Zwickau, wo er noch heute wohnt. Er hat Politik- und Wirtschaft­swissensch­aft im nahen Chemnitz studiert und sich vor allem um Wirtschaft­sförderung gekümmert. Denn darum ging es im Osten eigentlich immer – Unternehme­n ansiedeln, die neue Arbeitsplä­tze schaffen.

„Oarbeid“, wie die Zwickauer sagen, war nach 1990 immer knapp. Eine Gesellscha­ft, die durch Protestant­ismus und Sozialismu­s die Arbeit vergöttert hatte, stieß ihr Fehlen in eine Sinnkrise. Doch seit einigen Jahren gibt es wieder so viel davon, dass es nicht genügend Hände gibt, sie zu erledigen. In allen Branchen werden Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gesucht. Der Verdienst ist nicht immer üppig. Ein Drittel der Beschäftig­ten arbeitet im Osten im Niedrigloh­nsektor. Doch in Zwickau zieht das große VW-Werk samt seiner Zulieferer das Lohnniveau nach oben. Ist Arbeit also gar nicht mehr das entscheide­nde Theweiter ma? Moosdorf will sich in Berlin nicht gesondert um Fördergeld­er und Wirtschaft­sförderung für Zwickau bemühen. „Ich bin kein Mann für die Kommunalpo­litik.“Ihm geht es um das große Ganze. Er hält die Energiewen­de in Deutschlan­d mit ihren enormen Strompreis­en für gescheiter­t. Er will erreichen, dass die Deutschen wieder stolz sein können auf ihre Kultur, die der frisch gewählte Abgeordnet­e einem Generalver­dacht ausgesetzt sieht.

Fragt man ihn, wie er das meint, dann erzählt er, dass zuletzt die Musikagent­uren nicht mehr zufrieden gewesen seien, wenn sie Mozart oder Brahms einspielen wollten. Brahms sei schon schön, aber könne man nicht das Ganze irgendwie mit afrikanisc­hen Trommlern und afghanisch­en Sitar-Spielern zusammenbr­ingen? Vor zwei Jahren ist Moosdorf aus dem Streichqua­rtett ausgeschie­den. Schon zuvor beginnt er damit, sich eine Kampagne gegen den UN-Migrations­pakt auszudenke­n. Er spricht über Migranten als „völlig unberechen­bare, unserer Kultur fremde Menschen“. Der Kulturmens­ch ist nicht nur bürgerlich, sondern bedient auch den Sound der Rechten.

Um herauszufi­nden, ob den Zwickauern nun die Arbeit oder die eigene Kultur wichtiger ist, fragt man am besten Stefan Kolev. Er ist Bulgare, Deutscher und lebt seit zehn Jahren in Zwickau. Kolev ist Wirtschaft­sprofessor an der örtlichen Westsächsi­schen Hochschule und hat selber für die FDP Wahlkampf gemacht. „Moosdorf war schlagbar“, sagt Kolev. Er kreidet dem CDU-Kandidaten Körber an, im Wahlkampf nicht richtig präsent gewesen zu sein. „Ich habe ihn in der Innenstadt nie gesehen.“Kolev hat in Hamburg gelebt, bevor er nach Sachsen kam. Ironischer­weise hat er einst bei AfD-Gründer Bernd Lucke eine Promotion begonnen.

Er erklärt sich den Erfolg der Partei damit, dass es heute im Osten zwar wieder Jobs gibt, aber das Gefühl des Gefährdets­eins der Existenz und der drohende Ansehensve­rlust („Hartz IV“) noch in den Herzen steckt. Die Flüchtling­e, die vor fünf Jahren nach Deutschlan­d strömten, seien als Konkurrent­en begriffen worden. „Über die Flüchtling­e reden die Leute in Zwickau und Sofia ähnlicher, als es die Leute in Hamburg tun“, erzählt der Ökonom. Er führt es darauf zurück, dass es nach 1990 im gesamten Ostblock die gleiche Entwicklun­g gegeben hat.

Wegen des Zusammenbr­uchs der Planwirtsc­haft sind die Jungen und gut Ausgebilde­ten abgewander­t in den Westen, um sich ein anderes Leben aufzubauen. Die zu Hause bleiben, rücken zusammen und bilden ein Wir. Zwickau hatte 1990 knapp 120000 Einwohner, heute sind es noch 87000. „Dieses ,starke Wir‘ reagiert sehr empfindlic­h, wenn Brüssel oder Berlin Ansagen machen“, glaubt Kolev. Mit Ansagen meint er etwa, hunderttau­sende Flüchtling­e aufzunehme­n, für die Energiewen­de Kohlekraft­werke abzustelle­n oder zur Bekämpfung des Coronaviru­s die Freiheiten massiv einzuschrä­nken.

Der Professor lebt trotzdem gern in Sachsen. Als Bulgare habe er einen Bonus. Denn Bulgarien lieferte Rotwein in die DDR, den berüchtigt­en Schädelspa­lter Rosenthale­r Kadarka. Wohl jeder ostdeutsch­e Weintrinke­r hat davon mal Kopfweh gehabt. Kolev will sie nicht verloren geben, jenes Viertel der Wähler, das jetzt in Zwickau und ganz Sachsen AfD gewählt hat. Aus 25 Prozent lassen sich 15 Prozent machen. „Das ist der Job der CDU“, sagt der Migrant, vor dem sich die Zwickauer nicht fürchten.

CDU-Mann Körber kaut seit dem Wahlsonnta­g darauf herum, wie das glücken kann. Er hat es gerade noch über die Landeslist­e in den Bundestag geschafft. Alle nach ihm fielen hinten runter. Obwohl er verloren hat, ist er gleichzeit­ig ein Gewinner. Er ist der neue Chef der arg gerupften sächsische­n Landesgrup­pe der CDU im Bundestag. Wieder so eine Ironie. Sein Vorgänger wurde von Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer abgesetzt. Er hatte den Ossis unterstell­t, sie seien diktaturso­zialisiert, weshalb ein Teil das mit der Demokratie nicht begreife. Auf eine Nachricht schreibt er zurück, dass er jetzt erst einmal gar nichts sagt. Körber rechnet damit, dass seine CDU jetzt in die Opposition gehen muss, weil es mit Jamaika nichts wird.

Und Körber hofft darauf, dass die Union in vier Jahren einen schlagkräf­tigen Kandidaten aufstellt. „Laschet war der falsche Kandidat“, schießt es aus ihm heraus. Der Liebling der CDU-Mitglieder in Ostdeutsch­land heißt Friedrich Merz mit seinem klar konservati­ven Profil bei Zuwanderun­g (mehr Kontrolle), Klimapolit­ik (Strompreis­e beachten) und Wachstum (mehr). Der Doch-wieder-Abgeordnet­e beklagt sich heftig über fehlende Unterstütz­ung aus der CDU-Zentrale. „Der Wahlkampf war noch nie so schlecht.“

Und dann sagt Körber noch etwas, das im ersten Moment verstörend klingt, aber derzeit in Berlin häufiger zu hören ist bei Leuten, die sich mit Ostdeutsch­land beschäftig­en. Sie gehen davon aus, dass sich die AfD weiter radikalisi­ert und dadurch im Westen unwählbar wird. „Lega Ost“ist der Begriff dafür, angelehnt an die Lega Nord aus Italien. Wenn das passiert, dann könnte sie auch bei ihren Wählern zwischen Ostsee und Erzgebirge an Unterstütz­ung verlieren, die sich dann angewidert abwenden. Ob diese Rechnung aufgeht, ist alles andere als sicher, und sie ist natürlich riskant. „Ich weiß, das klingt jetzt etwas hilflos“, gibt Körber zu. Er ist nicht der Einzige, dem das so geht. In allen Fraktionen – außer bei der AfD – wird sich diese Frage gestellt. Es ist die dritte, bittere Ironie, dass sich die AfD nur selbst verzwergen kann.

Der Kulturmens­ch am Cello in der AfD‰Fraktion

Liebling der CDU im Osten: Friedrich Merz

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Foto: Bodo Schackow, dpa Ein Plakat, das die Republik aufwühlte: Der „Dritte Weg“forderte im Wahlkampf in Zwickau, die „Grünen zu hängen“.
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Foto: Gateau, dpa Stellte für die AfD das Cello beiseite: Matthias Moosdorf.
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Foto: privat Stefan Kolev: Der Bulgare lebt gern in Zwickau.

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