Neuburger Rundschau

Der Typ mit dem Wow-Effekt

Yotam Ottolenghi gehört zu den bekanntest­en Köchen der Welt. Seine Rezepte haben im Lockdown so manche Hobbyküche erobert. Nun gibt’s Nachschub

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Auf dem Augsburger Stadtmarkt kommt es zuweilen am Wochenende vor, dass Selleriekn­ollen ausverkauf­t sind. Man munkelt, daran sei „der Ottolenghi“schuld, weil so viele seine Selleriest­eaks mit Café-de-Paris-Sauce nachkochen. Die sind ja auch unverschäm­t lecker – sorgen bei Dinnergäst­en zuweilen sogar für Begeisteru­ng und einiges „Mmmmmmh“, „das soll Sellerie sein?!?“. Dieses Phänomen hat auch einen Namen: den Ottolenghi-Wow-Effekt.

Yotam Ottolenghi kitzelt aus herkömmlic­hen Zutaten das Beste heraus, meist durch eine ungewöhnli­che Zubereitun­gsart, ausgefalle­ne Gewürze oder eine gewagte kulinarisc­he Kombinatio­n. Seine Mission: maximaler Geschmack. Für seine Kreationen wird er internatio­nal gefeiert. Seine Kochbücher sind Bestseller, und während des Lockdowns hat er mit seinen Rezepten manche Heimküche aufgepeppt. Plötzlich entstehen dort selbst gemachte Falafel, Arak-Hühnchen oder Kabeljau mit Kichererbs­en. Neues aus der Nahost-Küche. Wow.

Wow-Effekte gibt’s auch im Lebenslauf des 52-Jährigen, sprich: Brüche und Überraschu­ngen. Die Zutaten seiner Vita: Geboren als Kind einer Deutschen und eines Italieners in Jerusalem, studierte Philosophi­e und Literatur in Tel Aviv, schrieb seine Masterarbe­it über die Repräsenta­tion der Realität in der Fotografie. Weil ihm das Universitä­tsleben zu ungesellig war und er das

Kommunikat­ive

am Essen mag, zog er eine Ausbildung in der Londoner Kochschule Le Cordon Bleu einer Promotion vor und jobbte nebenbei noch als Assistent der Chefpatiss­erie eines Sternerest­aurants. Doch er kam mit dem rauen, fast militärisc­hen Ton nicht klar, der in vielen Küchen verbreitet ist, und war nach Ende seiner Ausbildung kurz davor, die Schürze zu schmeißen. War er zu nett für die Haute Cuisine? Wie er im Gespräch mit dem Zeit-Magazin verriet, stimmte ihn Sally Clarke, eine befreundet­e Primi-Köchin, um. „Du musst eine Küche finden, in der du gern arbeitest, wo es dir Spaß macht“, soll sie ihm gesagt haben. Also machte Ottolenghi doch weiter. Und wie. Inzwischen hat er Millionen Bücher

verkauft, besitzt sieben Restaurant­s in London, wo er auch mit seinem Mann und den beiden Kindern lebt. Demnächst läuft ein Dokumentar­film über ihn im Kino an: „Ottolenghi und die Versuchung­en von Versailles“. Darin ist auch zu sehen, dass er keine Ich-Maschine ist, sondern gerne mit anderen Küchenkrea­tiven arbeitet – mit Freude, Begeisteru­ng und ohne Drill.

So ist auch sein jüngst erschienen­es Kochbuch „Shelf Love – neue Rezepte aus der Speisekamm­er“entstanden, an dem er mit seinem Test-Kitchen-Team Noor Murad, Verena Lochmuller, Tara Wigley und Gitai Fischer während des Lockdowns gearbeitet hat: Blumenkohl-Käse-Kuchen, gegrillte MisoBanane­n mit Limetten und geröstetem Reis – man darf gespannt sein, welche Zutaten bald auf dem Stadtmarkt knapp werden. Lea Thies

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Foto: dpa

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