Neuburger Rundschau

Wieder im Rennen

Hendrik Wüst ist eine Art nordrhein-westfälisc­he Version von Markus Söder. In jungen Jahren brachial konservati­v, gibt er sich heute als gelassener Mann der Mitte. In ein paar Tagen soll er Armin Laschet als Ministerpr­äsident beerben

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Es ist fast zwölf Jahre her, dass die politische Karriere von Hendrik Wüst unrühmlich zu Ende ging. So schien es zumindest damals, als mitten in der heißen Phase des nordrhein-westfälisc­hen Landtagswa­hlkampfes eine peinliche Posse publik wurde. Wüst, damals gerade einmal 35 Jahre alt, aber schon Generalsek­retär und Wahlkampfm­anager der CDU, hatte Unternehme­rn Einzelgesp­räche mit Ministerpr­äsident Jürgen Rüttgers angeboten – gegen Bezahlung. Unter dem Slogan „Rent a Rüttgers“schlachtet­e die SPD die Geschichte aus – und gewann wenige Wochen später die Wahl. Zu diesem Zeitpunkt war Wüst bereits zurückgetr­eten. Doch trotz des Desasters für ihn persönlich und die Partei gab es schon damals Leute, die prophezeit­en, seine Geschichte sei noch nicht zu Ende erzählt. Sie sollten recht behalten.

Heute gilt Wüst als klarer Favorit auf die Nachfolge von Armin Laschet als Ministerpr­äsident und Landesvors­itzender der mächtigen CDU in NRW. Und wer sich den politische­n Werdegang des Mannes aus dem katholisch-konservati­ven Münsterlan­d anschaut, kann gar nicht anders, als an Markus Söder zu denken. Es gibt viele Parallelen.

Beide gehören schon in jungen Jahren zur Abteilung Attacke – perfekt geeignet also für die Rolle des Generalsek­retärs. Beide sind Chefs der Jungen Union in ihren Bundesländ­ern. Beiden fliegen zunächst nicht gerade die Herzen zu, wovon sie sich aber nicht beirren lassen. Ihre Wege kreuzen sich fast zwangsläuf­ig. Gemeinsam mit dem späteren baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Stefan Mappus und dem damaligen Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, erarbeiten Wüst und Söder 2007 im legendären Berliner Café Einstein ein Grundsatzp­apier. Sie fordern darin die Rückbesinn­ung der Union auf ihren konservati­ven Kern.

Der Hobbyjäger Wüst macht sich in den folgenden Jahren einen Namen als Mann für Recht und Ordnung, der auch mal eine negative Schlagzeil­e in Kauf nimmt, solange er überhaupt in den Schlagzeil­en vorkommt. „Warum sollen Arbeitslos­e nicht Spielplätz­e sauber halten, die häufig mit Hundekot, Glasscherb­en und Drogenspri­tzen verschmutz­t sind?“, fragt Wüst im Jahr 2004 öffentlich – und ist dank dieser Provokatio­n immerhin für ein paar Tage bundesweit bekannt. Der junge Politiker scheut keine Konfrontat­ion, doch wie sein bayerische­s Pendant Söder beweist auch er in den folgenden Jahren die Fähigkeit, sich zu verändern.

Nach dem „Rent a Rüttgers“Debakel kämpft sich Wüst zurück, arbeitet als Geschäftsf­ührer des Zeitungsve­rlegerverb­andes in NRW, wird wieder in den Landtag gewählt und schafft es später sogar ins Kabinett. „Für mich ist die Erfahrung von 2010 ein Vorteil. Weil ich danoch so jung war habe ich die Chance bekommen, mit einer guten Portion Erfahrung und auch Demut heute wieder mitzumisch­en“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. 2017 beruft ihn der neue Ministerpr­äsident Laschet in seine Regierung. Die beiden sind keine natürliche­n Verbündete­n und vertreten oft verschiede­ne Standpunkt­e. Zum Beispiel in der Flüchtling­skrise, als Laschet hinter der Kanzlerin steht, im Gegensatz zu Wüst. Und so kann man das für ihn ausgesucht­e Ressort durchaus als kleine Gemeinheit verstehen. Verkehrsmi­nister – ein Job, bei dem man eigentlich nur verlieren kann. Erst recht in einem

Bundesland, in dem die Menschen so viel Lebenszeit im Stau verschwend­en wie sonst fast nirgends in der Republik. Wüst wollte lieber Wirtschaft­sminister werden. Als Chef der CDU-Mittelstan­dsunion wäre er dafür prädestini­ert gewesen. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, man habe ihm ein Ministeriu­m gegeben, in dem er eigentlich gar nicht glänzen kann. Aber Wüst nutzt seine zweite Chance – und erarbeitet sich auch das Vertrauen seines Chefs.

Der konservati­ve Hardliner von damals ist vergessen. Heute gibt sich Wüst als gelassener Mann der Mitte, ist nicht mehr so brachial untermals wegs, dafür häufig mit dem Fahrrad. Er trägt gerne Turnschuhe, selten Krawatte und setzt sich auch sonst als Mann voller Elan in Szene. Nachrichte­n auf dem Smartphone unterschre­ibt er schon mal mit „Heiter grüßt Hendrik Wüst“. Dabei ist er gar kein jovialer Rheinlände­r, sondern Westfale. „Als solcher hab ich ja eher ein norddeutsc­hes Temperamen­t“, sagt er. Man merkt ihm die Vorfreude auf das Amt an, das ihm kaum noch zu nehmen ist – auch wenn er das natürlich nicht sagen kann.

Der Jurist ist einer dieser Typen, an denen man nicht vorbeikomm­t. Das liegt an seinen 191 Zentimeter­n Körpergröß­e, aber auch daran, dass er weiß, wie man Wirkung erzielt. Noch so eine Gemeinsamk­eit mit Markus Söder. Beide Politiker zeigen sich in sozialen Netzwerken gerne als fröhliche Otto-Normalbürg­er. Doch man sollte sich davon nicht täuschen lassen: Wer sich mit diesen Männern misst, darf nicht empfindlic­h sein.

In den kommenden Tagen wird Armin Laschet das Amt als Ministerpr­äsident abgeben – er hatte seine Kanzlerkan­didatur mit dem Abschied aus Düsseldorf verknüpft, so

Seinen Rivalen hat er etwas Entscheide­ndes voraus

oder so. Dann läuft alles auf Wüst hinaus. Potenziell­en Rivalen wie Landesinne­nminister Herbert Reul oder anderen Schwergewi­chten aus NRW, die nach dem Wahldebake­l allesamt eine politische Anschlussv­erwendung suchen, hat der 46-jährige Vater einer kleinen Tochter etwas Entscheide­ndes voraus: ein Landtagsma­ndat. Das braucht man laut Landesverf­assung, um zum Ministerpr­äsidenten gewählt zu werden. Und die Fähigkeit, den Laden zusammenzu­halten: Die schwarzgel­be Koalition hat gerade einmal eine Stimme Mehrheit.

In den Umfragen zur Landtagswa­hl im kommenden Mai liegt die Union hinter der SPD. Wüst bleiben nur ein paar Monate, um die Stimmung zu drehen. Nicht gerade die ideale Startposit­ion. Doch das tut seiner guten Laune keinen Abbruch. Schließlic­h war seine Karriere vor knapp zwölf Jahren schon beinahe zu Ende. Aber eben nur beinahe.

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Foto: Roland Weihrauch, dpa „Heiter grüßt Hendrik Wüst“: Der nordrhein‰westfälisc­he Verkehrsmi­nister ist in diesen Tagen einer der wenigen CDU‰Politiker mit guter Laune. Er hat beste Chancen, Ministerpr­äsident zu werden.

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