Neuburger Rundschau

„Esoterik kann höchst gefährlich sein“

Der Sektenbeau­ftragte der evangelisc­hen Kirche, Matthias Pöhlmann, warnt vor den Abgründen eines Alltagsphä­nomens und stellt besorgt fest: In unserer Gesellscha­ft gibt es ein enormes Wut- und Protestpot­enzial

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Pöhlmann, sind Sie empfänglic­h für Esoterik?

Matthias Pöhlmann:

Nein, gar nicht.

Was zählen Sie eigentlich dazu? Unter Esoterik fällt so vieles: Traumfänge­r, „belebtes“Wasser ...

Pöhlmann: Ihr besonderes Kennzeiche­n ist ihr Anspruch auf höhere Erkenntnis. Es geht um ein höheres, absolutes Wissen, das nur sensitiven oder erleuchtet­en Menschen zugänglich sei. Daraus werden ganze Weltbilder entwickelt oder konkrete Ratschläge abgeleitet.

Man könnte doch sagen: Wenn jemand Freude daran hat, wenn es ihm gar hilft – dann ist es ja wunderbar! Pöhlmann: Man muss in der Tat differenzi­eren. Problemati­sch wird es immer, wenn zum Beispiel Heilungsan­gebote gemacht werden und gleichzeit­ig empfohlen wird, auf fachärztli­che Hilfe zu verzichten. Esoterik bewegt sich zwischen den Polen Alltagsphä­nomen und Krisensymp­tom. In den vergangene­n Jahren ist Esoterik verstärkt politisch geworden.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über „rechte Esoterik“. Es geht unter anderem um die „Querdenken“-Bewegung oder die Sekte OCG und ihr Internetpo­rtal kla.tv. Beide verbreiten Verschwöru­ngserzählu­ngen. Ist Esoterik das verbindend­e Element? Pöhlmann: Esoterik und Verschwöru­ngserzählu­ngen stellen ein Zwillingsp­aar dar, und das lässt sich bei vielen Gruppierun­gen oder Bewegungen beobachten. Esoterik ist überdies ein Einfallsto­r für problemati­sche politische Überzeugun­gen. Schon Mitte der 90er Jahre tauchten in Deutschlan­d Bücher auf, die Esoterik zum Beispiel mit antisemiti­schen Inhalten verknüpfte­n – bis zur Behauptung, die Juden seien selbst am Holocaust schuld gewesen.

Gibt es auch Esoterik mit linksextre­men Inhalten?

Pöhlmann: Das habe ich nicht beobachten können. Ich habe dagegen festgestel­lt, dass Rechtsextr­eme Esoterik als Trojanisch­es Pferd benutzen. Es gibt hier zahlreiche Verbindung­en und auch personelle Vernetzung­en. Es ist ja immer noch die Vorstellun­g verbreitet, dass Esoterik

harmlose Spinnerei sei. Aber das ist sie nicht. Sie kann höchst gefährlich sein.

Was war die gefährlich­ste Gruppierun­g oder Bewegung, die Ihnen bislang begegnet ist?

Pöhlmann: Ich denke da an die Anastasia-Bewegung, die auch im Allgäu – in Unterthing­au im Kreis Ostallgäu – mit einem Projekt vertreten ist. Sie stützt sich auf die gleichnami­ge zehnbändig­e Buchreihe. Darin gibt es antisemiti­sche Überzeugun­gen und antidemokr­atische Einstellun­gen. Unter dem Stichwort „Familienla­ndsitz“verfolgt die Anastasia-Bewegung ökologisch­e, naturnahe landwirtsc­haftliche Projekte. Eigentlich aber will sie ein innerweltl­iches Paradies schaffen. Sie schottet sich ab, und einzelne Wortführer sind mit der rechtsextr­emen Szene verbunden. Der Betreiber des Anastasia-Projekts im Ostallgäu kam übrigens auch schon in einem Film aus dem „Querdenken“-Umfeld vor.

Wurden Sie persönlich schon einmal angegangen?

Pöhlmann: Ich habe mal im Harz einen Vortrag über die Anastasia-Bewegung gehalten, dort hat sie ein größeres Siedlungsp­rojekt. Ich musste den Vortrag unter Polizeisch­utz halten.

In all diesen Bewegungen herrscht auch eine Wissenscha­ftsfeindli­chkeit. Dabei macht die Forschung in immer kürzeren Zeiträumen immer größere Fortschrit­te. Und dennoch wird sie regelrecht verteufelt.

Pöhlmann: Menschen haben keine Probleme damit, sich in unterschie­dlichen Weltbilder­n zu bewegen. Sie nutzen also die Errungensc­haften der Wissenscha­ft und moderne Technologi­en, zugleich tauchen sie tief in Gegenwelte­n ein. Früher hat man gedacht, das sei ein großer Widerspruc­h, doch das ist es ganz offensicht­lich nicht mehr.

Für wie groß halten Sie die Zahl derjenigen, die empfänglic­h sind für „rechte Esoterik“?

Pöhlmann: Das kann man schlecht erfassen. Aber ein rechter Esoteriker wie Erich Hambach zum Beispiel hatte kein Problem, Ende 2019 die Erdinger Stadthalle mit 800 Beeine

sucherinne­n und Besuchern voll zu bekommen.

Bei „Querdenken“-Demos gegen die staatliche­n Anti-Corona-Maßnahmen gingen Tausende in ganz Deutschlan­d auf die Straßen. Darunter Eltern mit Kindern, Grünen-Wähler, Verschwöru­ngsgläubig­e – und Rechtsextr­eme. Pöhlmann: Das war in dieser Form tatsächlic­h neu. Doch zuvor bereits hatte es Verbindung­slinien gegeben – und auch die Verschwöru­ngserzählu­ngen, die diese bunte Misstrauen­sgemeinsch­aft teilt, gab es. Michael Ballweg, eine der Führungsfi­guren der „Querdenken“-Bewegung, sagte von sich selber, dass er bestimmte esoterisch­e Ansätze gut finde. Im Januar 2020 besuchte er ein Esoterik-Retreat, eine esoterisch­e Veranstalt­ung, in Dubai. Im Juli 2021 war er Überraschu­ngsgast bei einer HambachVer­anstaltung.

Allerdings kann die „Querdenken“-Bewegung offensicht­lich nicht mehr so mobilisier­en wie noch im vergangene­n Jahr. Hat sie ihren Zenit überschrit­ten?

Pöhlmann: Ja, das sieht man unter anderem an den Teilnehmer-Zahlen von Demonstrat­ionen. Mich besorgt jedoch, dass die Bewegung sich sehr stark radikalisi­ert. Demos werden verboten, Facebook löschte jüngst „Querdenken“-Konten – dadurch steigt die Frustratio­n. Der Druck im Kessel wird größer. Und viele sind wütend.

Das würde bedeuten, dass nach „Querdenken“eine neue Bewegung entstehen könnte, die der Wut und den Wütenden Ausdruck verleiht.

Pöhlmann: Das stimmt. Die vorhandene diffuse Wut und Frustratio­n wird sich neue Kanäle und Sprachrohr­e suchen. Es gibt in unserer Gesellscha­ft ein gewisses Wutpotenzi­al und Wütende. Das hat man schon bei Pegida gesehen, wo es um die Flüchtling­spolitik ging. Als nächstes könnte das Thema Klimawande­l und seine Folgen drankommen. Klimawande­l-Leugner gibt es ja zuhauf. Und die sogenannte Neue Rechte und Rechtsextr­eme versuchen bereits, sich da dranzuhäng­en. Auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram lassen sie alle ihrer Wut freien Lauf. Politik, Justiz und Anbieter müssten stärker gegen Hetze und verbreitet­en Menschenha­ss in diesen sozialen Medien vorgehen.

Würden Sie sagen, all das hatte einen Einfluss auf den Bundestags­wahlkampf und die Bundestags­wahl? Pöhlmann: Das ist noch genauer zu analysiere­n. Aber man kann davon ausgehen, dass es ein enormes Wutund Protestpot­enzial gibt. Im Vorfeld der Wahl hat man ja gesehen, dass die AfD versuchte, an „Querdenken“-Positionen anzudocken. Es ist sogar eine Partei aus dem „Querdenker“-Umfeld entstanden, die „Basis“.

OMatthias Pöhlmann: Rechte Esote‰ rik. Wenn sich alternativ­es Denken und Extremismu­s gefährlich vermischen. Ver‰ lag Herder, 304 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 12. Oktober.

Pöhlmann, geboren 1963 in Hof/Saale, ist Sekten‰ beauftragt­er der Evange‰ lisch‰Lutherisch­en Kirche in Bayern.

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Symbolfoto: Tino Plunert, dpa Demonstran­t mit Aluhut bei einer „Querdenken“‰Veranstalt­ung.
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