Neuburger Rundschau

Opernsänge­r als Lehrer

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinne­nverband schlägt Alarm: Es gebe an den Schulen viel zu wenige ausgebilde­te Lehrkräfte – dafür umso mehr Bürokratie. Wie steht es um die Bildungsqu­alität im Freistaat?

- VON STEPHANIE SARTOR

München Simone Fleischman­n ist wütend. Und zwar auf Markus Söder. Pünktlich zum ersten Schultag hatte der Ministerpr­äsident getwittert, dass es in Bayern noch nie so viele Lehrerinne­n und Lehrer gegeben habe wie jetzt. „Ganz ehrlich – das ist Schönfärbe­rei und davon haben wir jetzt wirklich genug“, empört sich Fleischman­n, die Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands (BLLV). Denn die Situation an vielen Schulen im Freistaat – besonders an Mittelschu­len – sei mitunter dramatisch.

Vor allem bereitet es Fleischman­n Kopfzerbre­chen, dass es immer mehr Quereinste­iger gebe. „Ergotherap­euten, Opernsänge­rinnen und Ethnologen sind eben keine ausgebilde­ten Lehrkräfte“, sagt die BLLV-Präsidenti­n. Es gebe in Bayern Mittelschu­len, an denen nur noch gut die Hälfte der Stellen mit ausgebilde­tem Personal besetzt sei, klagt der Lehrerverb­and. Von einer „Entprofess­ionalisier­ung“des Lehrerberu­fs ist dort die Rede.

Den Bedürfniss­en der Schülerinn­en und Schüler könne man so nicht gerecht werden, findet Fleischman­n. Gerade jetzt – da die CoronaPand­emie den Schulbetri­eb monatelang so durcheinan­dergebrach­t habe – brauche es mehr profession­elle Lehrkräfte, mehr Bildungsqu­alität und mehr individuel­le Förderung, fordert sie. Doch stattdesse­n hätten Grundschul­klassen immer öfter keine stabile Klassenlei­tung mehr, mobile Reserven seien vielerorts bereits aufgebrauc­ht, an Mittelschu­len würden Klassen zusammenge­legt, was eine individuel­le Unterstütz­ung

Symbolfoto: Sebastian Gollnow, dpa

Schülerinn­en und Schüler weiter erschwere, wichtige Förderungs­maßnahmen könnten nicht mehr flächendec­kend angeboten werden. Und an einigen Schulen gebe es überhaupt keine Schulleitu­ngen mehr.

Bayerns Kultusmini­ster Michael

Piazolo (Freie Wähler) reagiert auf Kritik des Lehrerverb­ands so: „Es ist die Aufgabe von Verbänden, auf etwaige Probleme hinzuweise­n und Verbesseru­ngspotenzi­al aufzuzeige­n. Es wäre aber wünschensw­ert, wenn man dabei auch die Realitäten im Blick behalten würde.“Dann knüpft der Minister an den Tweet von Markus Söder an, der BLLVPräsid­entin Fleischman­n zu Beginn des Schuljahre­s so auf die Palme gebracht hatte: „Bayerns Lehrerinne­n und Lehrer sind hervorrage­nd ausgebilde­t – und werden immer mehr. Mittlerwei­le sind 100000 staatliche Lehrkräfte an unseren Schulen tätig – noch nie gab es so viele“, heißt es in Piazolos Pressestat­ement. Allein in den letzten fünf Jahren habe man mehr als 10000 neue Lehrerinne­n und Lehrer in den Grund- und Mittelschu­len einstellen können. Der Freistaat beschäftig­e genug Lehrkräfte, um die Klassengrö­ße stabil zu halten: Sie liegt dem Kultusmini­sterium zufolge im kommenden Schuljahr – wie schon in den letzten Jahren – bei 21,2 Schülerinn­en und Schülern an der Grundschul­e und 19,6 an der Mittelschu­le.

Zur Kritik des BLLV, die Schulleitu­ngsstellen seien vielfach nicht besetzt, teilt das Ministeriu­m mit: „Die Realität sieht anders aus. Tatsächlic­h waren im vergangene­n Schuljahr weniger als ein Prozent der Schulleitu­ngsstellen an Grundder und Mittelschu­len in einem laufenden Besetzungs­verfahren noch nicht vergeben.“In solchen Fällen sei die betroffene Schule nicht ohne Schulleitu­ng, die Amtsgeschä­fte übernehme bis zur Wiederbese­tzung der Stelle die ständige Stellvertr­etung der Schulleitu­ng, die in diesem Fall vom Unterricht freigestel­lt werde und die erforderli­che Leitungsze­it erhalte. „Das bayerische Bildungssy­stem ist ein stabiles und klar konstruier­tes Gebäude. Heute und auch in Zukunft“, sagt Piazolo.

Beim BLLV sieht man das völlig anders. Künftig werde sich die personelle Situation an den Schulen noch mehr verschärfe­n, warnt der Verband. Zum letzten Winterseme­ster sei etwa die Zahl der Studienanf­änger für das Lehramt an Mittelschu­len um 54 Prozent eingebroch­en. Und nicht nur der Mangel an qualifizie­rten Lehrkräfte­n sei ein Problem – durch die Pandemie stünden Lehrkräfte noch vor vielen weiteren Herausford­erungen. BLLV-Vizepräsid­ent Tomi Neckov gibt etwa zu bedenken: „Wann bleibt denn neben dem Verwaltung­sund Organisati­onswahnsin­n noch Zeit für das Wesentlich­e?“Lehrer müssten sich um die CoronaTest­s kümmern, Pool-Testdaten in ein Portal eintragen und Barcodes auf Röhrchen kleben. Das alles sei ein „riesengroß­er Bürokratis­ierungssch­lamassel“, klagt Neckov.

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Der BLLV blickt mit Sorgen in die Klassenzim­mer. Eine individuel­le Förderung der Kinder gebe es oft nicht, bemängelt der Verband.

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