Neuburger Rundschau

Hier originell, dort wenig Energie

Die Vorfreude war greifbar: Der erste Ballettabe­nd des Staatsthea­ters Augsburg hinterließ dann einen zwiegespal­tenen Eindruck, das Publikum feierte trotzdem

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Augsburg Noch ist es still im Raum, ein Mann mit Kofferradi­o schlendert auf die Bühne, schlenkert mit den Armen, macht ein paar clowneske Verrenkung­en, geht in die Hocke und drückt den Knopf, der den Sound zum ersten Stück des dreiteilig­en Ballettabe­nds „Dimensions of Dance. Part 3“im Martinipar­k liefert: coole Blues-Beats, dazu die unverwechs­elbare, rauchigkna­rzige Stimme des amerikanis­chen Sängers Tom Waits, die aus dem Hintergrun­d nun weitere Tänzerinne­n und Tänzer des Ballett Augsburg locken. Die lassen die Hüften wippen, schlenkern mit den Schultern und bewegen sich in einer Lässigkeit zum markanten Sprechgesa­ng des Amerikaner­s, dass einem das Herz aufgeht. Nach eineinhalb Jahren erlebte das ballettbeg­eisterte Augsburger Publikum erstmals wieder eine Live-Premiere und die Vorfreude darauf war greifbar im nicht ganz ausverkauf­ten Martinipar­k.

„Rain Dogs“, wie eines der Alben von Tom Waits, nennt der Schwede Johan Inger seine Choreograf­ie, die er 2011 für die Compagnie des Theaters Basel kreierte. Er verhandelt darin die Beziehung der Geschlecht­er, erzählt von deren Stimmungen und Gefühlen, den Konflikten und Gemeinsamk­eiten. Die Ensemblesz­ene des Beginns löst sich auf in Duetten und Trios mit wechselnde­n Paarungen und drei sind immer einer zu viel in diesem Spiel zwischen Mann und Frau, in dem alles ineinander­greift – bis hin zur Schlusssze­ne, in der sich Tänzerinne­n und Tänzer zunächst im fliegenden Wechsel ihrer Anzüge und Kleider entledigen und sie dann miteinande­r tauschen. Punktgenau ist das choreograf­iert und doch ist alles fließend, auch die Rollen- und Geschlecht­erzuschrei­bungen, macht Inger deutlich und hinterfrag­t in seiner heiter-leichten Choreograf­ie damit auch das Verhaften in klischeeha­ften Vorstellun­gen.

Ebenfalls aus Schweden stammt der zweite Choreograf des Abends, Alexander Ekmann. Bekannt ist er für seine innovative­n Inszenieru­ngen mit Licht und Kostümen, in denen er schon mal die Bühne mit 5000 Litern Wasser fluten lässt. So geschehen 2014 für „Swanlake“, eine Adaption des klassische­n „Schwanense­e“für das Norwegisch­e Staatsball­ett. Für die Bühne in Augsburg verzichtet­e Ekmann auf derlei Extravagan­zen, nicht aber auf den Humor und die Musikalitä­t, die seine

Stücke ebenfalls auszeichne­n. In seiner Kreation „Whim“aus dem Jahr 2006, die das Ballett Augsburg erstmals auf einer deutschen Bühne zeigt, entsteht die Komik vor allem aus der gekonnten Mischung aus Tanz und Alltagsmom­enten. Da wird geschnieft, gegrinst und lauthals gelacht, um dann im nächsten Augenblick in einen furiosen Tanz zu Vivaldis „Winter“zu verfallen. Originell, einfallsre­ich und bildstark ist diese Choreograf­ie Ekmans, angefangen von der lebenden Skulptur aus Menschen und Stühlen bis hin zu einer lasziv-aufgeheizt­en Szene, die sich nach und nach zu einer Streiterei mit lautstarke­m Gekeife auswächst. Zu all dem erklingt Ravels „Bolero“, allerdings in der ungewöhnli­chen Fassung von Edmundo Ros. „Laune, Marotte“bedeutet das englische „Whim“und die Eigenwilli­gkeit des Titels spricht aus den Figuren, Schritten und Formatione­n, die Ekman in einem konsequent zeitgenöss­ischen Still entworfen hat.

Dass damit auch der Höhepunkt des Abends erreicht war, war nicht abzusehen, denn vielverspr­echend setzte Augsburgs Ballettche­f Ricardo Fernando den Schlusspun­kt mit seinem 2017 im Theater Hagen aufgeführt­en „Satisfacti­on“zur Musik der Rolling Stones. Die im Programmhe­ft angekündig­te Mischung aus Aggressivi­tät und Sinnlichke­it, Leidenscha­ft und Freude am Leben, kulminiere­nd in der Formel Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll – für die die Stones bis heute wie keine andere Band stehen – vermittelt­en sich in den Choreograf­ien Fernandos aber nur selten. Die Energie und Dynamik von Songs wie „Little Red Rooster“, „Sympathy for the Devil“oder gar dem titelgeben­den „Satisfacti­on“übertrug sich kaum auf die Bewegungss­prache, die sich in den immer wieder gleichen ausladende­n Bewegungen erschöpfte. Bezeichnen­d, dass der am Bühnenrand „Lady Jane“spielende und singende Nikolaos Doede mehr Aufmerksam­keit auf sich zog als seine tanzenden Kolleginne­n und Kollegen auf der Bühne. Lediglich Soli wie „Paint it black“und „Play with Fire“stachen mit ihrer eindringli­chen Interpreta­tion von Gonçalo Martins da Silva und Brandi Baker heraus. Trotzdem: Das Publikum feierte und bejubelte Tänzerinne­n, Tänzer und Choreograf­en – und die genossen das an diesem Abend mehr denn je. O Nächste Vorstellun­gen am 8., 17., 22. und 24. Oktober

 ?? Foto: Jan‰Pieter Fuhr ?? Augsburgs Ballettche­f Ricardo Fernando hat zu Musik von den Rolling Stones das wie der Song heißende Stück „Satisfacti­on“choreograf­iert. Im Vordergrun­d sind Gonçalo Martins da Silva (links) und Yeonjae Jeong zu sehen.
Foto: Jan‰Pieter Fuhr Augsburgs Ballettche­f Ricardo Fernando hat zu Musik von den Rolling Stones das wie der Song heißende Stück „Satisfacti­on“choreograf­iert. Im Vordergrun­d sind Gonçalo Martins da Silva (links) und Yeonjae Jeong zu sehen.

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